Süddeutsche Zeitung

Grünwald:Keine Kaffeetrinker, kein Fair-Trade-Siegel

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Grünwald könnte "Fairtrade-Town" werden. Doch dem stehen die Gewohnheiten von Bürgermeister Jan Neusiedl und seiner Parteifreunde im Weg - zum Leidwesen ecuadorianischer Bauern.

Glosse von Claudia Wessel

Manchmal scheitert die Rettung der Welt an kleinen Dingen. Würde beispielsweise Jan Neusiedl Kaffee trinken, könnten einige Kleinbauern mehr in Ecuador überleben. Dann nämlich würde der Grünwalder CSU-Bürgermeister sicherlich auch dafür sorgen, dass in jeder Gemeinderats- und Ausschusssitzung Kaffee ausgeschenkt wird. Es würden Tassen und Teller auf jedem Platz stehen, große Thermoskannen herumgereicht. Einer würde dem anderen winken, doch mal den Stoff rüberzureichen, bevor noch weitere zehn Tagesordnungspunkte kommen.

Es wäre dann auch kein Problem, eine der strengen Bedingungen zu erfüllen, um zur "Fairtrade-Town" ernannt zu werden. Diese nämlich lautet: "Bei allen Sitzungen des Rates und der Ausschüsse sowie im Büro des Bürgermeisters wird fair gehandelter Kaffee ausgeschenkt und ein weiteres Produkt aus fairem Handel verwendet." Doch leider musste jetzt der Grünen-Antrag, Grünwald zur Fairtrade-Gemeinde werden zu lassen, abgelehnt werden. Nicht etwa wegen der in der Beschlussvorlage von der Verwaltung detailliert aufgelisteten groben Nachteile dieser Selbstverpflichtung. Auch nicht, weil die Lokalpolitiker sich weigerten, Ingrid Reinhart von den Grünen zu glauben, wonach die Stiftung Warentest das Fairtrade-Siegel als "sehr vertrauenswürdig" einstuft.

Man hätte es sogar auch noch geschafft, genügend Geschäfte und Gaststätten in Grünwald zu finden, die Fairtrade-Produkte verwenden, auch in Schulen und Kirchengemeinden wäre man eventuell fündig geworden. All das aber wäre für die Katz gewesen, wie die CSU-Fraktion einhellig bedauerte, denn das mit dem Kaffeetrinken sei leider nicht zu machen. Weil weder Jan Neusiedl noch seine Parteifreunde das koffeinhaltige Aufputschmittel in nächtlichen Sitzungen vertragen, ohne danach die ganze Nacht schlaflos dazuliegen, müssen die ecuadorianischen Bauern eben zurückstehen. Glücklicherweise scheinen die Bürgermeister von Pullach, Unterschleißheim, Gräfelfing und Neubiberg härter gesotten. Diese Kommunen tragen schon den Titel "Fairtrade-Town".

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Quelle:
SZ vom 25.10.2019
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