Süddeutsche Zeitung

Beerdigungen:Heimat über den Tod hinaus

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Die Sargpflicht in Bayern ist seit 1. April aufgehoben, was Bestattungen nach islamischem Ritus ermöglicht. Muslime im Landkreis sehen darin einen großen Schritt zur besseren Integration.

Von Irmengard Gnau

Als Husein Durmics Vater vor einigen Jahren starb, fuhr der Sohn nach Bosnien, wo er geboren ist, um den Vater dort zu Grabe zu tragen. In einem weißen Leintuch ohne Nähte ließen Durmic und nahe Verwandte den Vater in die Grabstatt hinab, wie es im islamischen Glauben Tradition ist. Für sich selbst kann sich Durmic vorstellen, einmal in Ottobrunn seine letzte Ruhestätte zu finden, wo er seit Jahrzehnten mit seiner Frau und den drei inzwischen erwachsenen Kindern lebt. Denn schon bald könnte es im Landkreis möglich sein, sich wie bei Muslimen üblich nur in einem Leintuch und ohne Sarg bestatten zu lassen.

Am 1. April ist eine Änderung der bayerischen Bestattungsordnung in Kraft getreten; diese hebt unter anderem die Sargpflicht auf bayerischen Friedhöfen auf - im vorvorletzten der deutschen Bundesländer. Nun fordern nur noch Sachsen und Sachsen-Anhalt verpflichtend einen Sarg. Die islamischen Gemeinden im Landkreis haben die Nachricht mit großer Freude aufgenommen. "Das ist eine grandiose Botschaft seitens der bayerischen Staatsregierung an die muslimischen Einwanderer erster Stunde.

Die Menschen in dritter, vierter Generation wollen sich hier beerdigen lassen

Dieses Gesetz ist für die muslimische Community ein ernsthaftes Zeichen der Anerkennung und wird mit Sicherheit ein erhöhtes regionales Zugehörigkeitsgefühl bewirken", sagt Ali Danabas, der Integrationsbeauftragte des Landkreises. Viele Muslime hätten sich bisher für eine Bestattung in ihrem Herkunftsland entschieden, auch weil eine Sargpflicht ihren religiösen Riten am Ende des Lebens entgegenstehe. Die Frage sei schon lange ein Thema, bestätigt Aly Hassanein vom Garchinger Integrationsbeirat. Viele hätten schon auf diese Entscheidung gewartet. Gerade türkisch-stämmige Muslime lebten heute oft in der dritten oder vierten Generation im Landkreis. "Diese Menschen wollen sich nicht in der Türkei bestatten lassen, sondern hier, wo ihre Kinder und Enkel leben", sagt Hassanein, der selbst in Ägypten geboren ist.

Damit die Neuerung auch in den Kommunen Wirklichkeit wird, müssen diese jedoch erst ihre Friedhofssatzung entsprechend ändern. Einige Kommunen bemühen sich schon länger, auf die Wünsche ihrer islamgläubigen Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Die Gemeinde Ottobrunn hat bei der Erweiterung ihres Friedhofs vor einigen Jahren ein entsprechendes Grabfeld eingerichtet. Auch in Garching können sich Muslime in einem bewusst nach Osten, zum Pilgerort Mekka hin, ausgerichteten Grab bestatten lassen. Die Stadt will ihren Bürgern nun möglichst bald auch eine Bestattung ohne Sarg ermöglichen. "In unserem bunten und pluralistischen Garching pflegen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger viele religiöse Traditionen. Und einen Wunsch, der hinsichtlich der letzten Ruhe legitim ist, wollen wir respektieren", sagt Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD). Sobald der Städtetag juristische Fragen zur Umsetzung geklärt hat und es klare Vorgaben gibt, will die Stadt ihre Friedhofssatzung anpassen.

In Ottobrunn steht das Thema sogar schon auf der Tagesordnung. Im Juni wird sich der Gemeinderat mit der Änderung befassen, so ist es vorgesehen. Von ersten Juli an könnten dann Bestattungen im Leintuch stattfinden. Der Wunsch danach sei bisher bei jeder islamischen Bestattung geäußert worden, erklärt die leitende Standesbeamte, es sei der Gemeinde nur bisher leider nicht möglich gewesen, dem Wunsch nachzukommen.

Husein Durmic, der dem Deutsch-Islamischen Kulturkreis in Ottobrunn vorsteht, schätzt das Bemühen der Gemeinde um ihre muslimischen Bürger sehr. Auch bei der Einrichtung des muslimischen Gräberfelds sei man eingebunden worden. Mit der angepeilten neuen Regelung gehe diese Beziehung jetzt noch einen Schritt weiter, freut er sich. Mit der Ermöglichung von Bestattungen im Leintuch reagiere der Gesetzgeber proaktiv auf eine absehbare Entwicklung, lobt der Integrationsbeauftragte Danabas: "Gerade weil immer mehr Einwanderer sich im Landkreis München heimisch fühlen, werden auch in naher Zukunft immer mehr von ihnen ihren Lebensabend in Deutschland verbringen und sich hier bestatten lassen. So kommt das Gesetz einer Überforderung der gemeindlichen Friedhöfe zuvor."

Um zu verwesen, benötigt der Leichnam ein gewisses Maß an Sauerstoff

Dabei gehe es freilich nicht nur um Muslime; auch Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften eröffnet die geänderte Verordnung neue Möglichkeiten. "Im Landkreis München sind wir stark und vielfältig aufgestellt und könnten für eine bayernweite Weiterentwicklung eine Vorreiterrolle spielen", sagt Danabas.

Wie sich eine Bestattung ohne Sarg auf den Friedhöfen im Landkreis praktisch umsetzen lässt, die andere Bedingungen haben als Friedhöfe in vielen islamisch geprägten Ländern, dazu sieht Bestatter Thomas Schmid aus Ottobrunn allerdings noch einige offene Fragen. "Es braucht beispielsweise ein gewisses Maß an Sauerstoff, damit ein Leichnam verwest", sagt er. Ob dies etwa durch Holzbretter, die schräg über dem Leichnam ins Grab gelegt werden, sichergestellt werden kann, dazu erhofft er sich noch Handreichung. Bestatter Werner Schwarz aus Haar, stellvertretender Vorsitzender des bayerischen Bestatterverbands, verweist auf die Stadt München. Dort gibt es bereits seit dem Jahr 1959 ein muslimisches Gräberfeld, aktuell probt die Stadt die Bestattung ohne Sarg. Schon bald sollen die gewonnenen Erkenntnisse auch an die übrigen Mitglieder des Verbands weitergegeben werden.

Schwarz erwartet allerdings nicht, dass die Nachfrage nach sarglosen Bestattungen im Landkreis sofort stark ansteigt. Für die bayerischen Bestatter stünden andere Punkte der geänderten Verordnung erst einmal im Vordergrund, etwa dass die Frist bis zur Bestattung von vier auf acht Tage verlängert wurde.

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SZ vom 24.04.2021
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