Süddeutsche Zeitung

Umweltpolitik:Exoten sollen Klimawandel trotzen

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Weil viele heimische Arten extreme Wetterlagen auf Dauer nicht aushalten, werden in Pullach künftig gezielt Bäume aus Amerika, Asien, Afrika und Südeuropa gepflanzt.

Von Michael Morosow, Pullach

Seit jeher haben Linde, Esche, Ahorn und Hainbuche einen Stammplatz in deutschen Städten und Gemeinden. In Pullach läuft ihre Zeit ab. Weil sie dem Klimawandel nicht gewachsen sind, werden sie nach und nach aus dem Gemeindegebiet verschwinden und durch robustere Baumarten ersetzt, die Hitze, Trockenheit und Frost standhalten können - und die das Ortsbild maßgeblich verändern werden: Amber- und Tulpenbäume aus Nordamerika, Zürgelbäume aus Afrika, Zerreichen aus Südtirol, Schnurbäume aus Japan und weitere Exoten zumeist aus südlichen Gefilden, die hierzulande noch nicht verwurzelt sind.

Der Gemeinderat hat in dieser Woche einstimmig das von der Grünen-Fraktion im Oktober 2019 beantragte und von der Verwaltung ausgearbeitete Baummanagementkonzept goutiert und beschlossen, dafür 60 000 Euro in den laufenden Haushalt zu stellen. Ziel dieses neuen Konzeptes sei es, den gesamten Baumbestand der Gemeinde in den nächsten Jahren sukzessive in einen robusten, vielfältigen, artenreichen und klimaresistenten Bestand umzuwandeln, um auch langfristig einen Altbestand an Bäumen für die Zukunft zu garantieren, heißt es dazu in der Sitzungsvorlage der Rathausverwaltung.

Eingestimmt wurde das Gremium durch einen Vortrag von Umweltamtsleiter Bernhard Rückerl, der nicht nur Details des Baummanagementkonzeptes vorstellte, sondern sich auch über die Veränderungen meteorologischer Parameter ausließ und den Jetstream sowie die Auswirkungen der Rosby- und des Petoukhov-Effekte auf das Klima erläuterte. Sein Fazit: Viele heimische Bäume im Ort kommen mit den sich häufenden Hitzeperioden und Stürmen nicht mehr zurecht und man muss sich über kurz oder lang von ihnen verabschieden. Unterfüttert wurde sein Vortrag mit Fotografien von Bäumen, die sichtbar unter Hitze, Pilzbefall oder ihrem hohen Alter leiden. Rückerls Stellvertreter Wolfgang Baumgartner war zuletzt viel unterwegs im Gemeindegebiet, suchte er dieses doch nach geeigneten Flächen für Neupflanzungen ab.

Als erstes werden die "Lücken" entlang von Straßen und in den Parks geschlossen, dann die dazu geeigneten Freiflächen mit Bäumen bepflanzt, aber nicht zu dicht, weil es zu keiner "Verwaldung" kommen soll. Eine solche ist dagegen ausdrücklich im Gemeindewald gewünscht, vor dem die Baumoffensive nicht Halt macht. Hier sollen heimische Hölzer wie die Weißtanne oder Eibe gepflanzt werden, um so das Artenspektrum zu erweitern und den Übergang zum klimatoleranten Mischwald zu erreichen, wie es in einer Pressemitteilung aus dem Rathaus dazu heißt. Außerdem sollen diese tief wurzelnden Baumarten das Risiko für Erosion und Hangrutschungen verringern. Amtsleiter Rückerl stimmte denn auch noch einen Abgesang auf die klassischen Alleen an, die aus einer einzigen Baumart bestehen und erwiesenermaßen für Krankheiten anfälliger sind als durchmischte Baumreihen. "Wird es künftig nicht mehr geben", sagte Rückerl.

Was die Platzierung der neuen, robusteren Bäume anbelangt, regte Cornelia Zechmeister von der Wählergruppe Wir in Pullach an, dass Früchte tragende Gehölze ausschließlich auf Rasenflächen, nicht aber in Fußgängerbereichen gepflanzt werden sollten. Wenn Früchte auf Gehwege fielen, bestehe Unfallgefahr. Auch Esskastanien am Jakobusplatz fände sie problematisch. Ihr Fraktionskollege Reinhard Vennekold lenkte den Blick auf private Bauherren, die ihre Flächen versiegeln, während die Gemeinde dem Klimawandel Rechnung trage. "Baurecht vor Baumrecht" dürfe nicht länger gelten, hier müsse ein Umdenken einsetzen, sagte Vennekold.

Laut Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) wird die Gemeinde Pullach nun auch konsequenter prüfen, ob private Bauherren ihrer Verpflichtung zur Nachpflanzung auch wirklich nachkommen. Dass sich nicht alle an Vorschriften halten, hat sich dabei kürzlich gezeigt. In einer "hinterhältigen Aktion" habe ein Privatmann eine riesige, ortsbildprägende Douglasie unrechtmäßig gefällt, hieß es in der Sitzung. Dass die meisten Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Plänen der Gemeinde aufgeschlossen seien, darauf verwies Grünen-Gemeinderätin Marianne Stöhr. Bei allem Verständnis für sachliche Ordnung, so Stöhr, müsse man die Nähe zum Bürger suchen. "Warum kein Bürgerbegehren pro Bäume pflanzen", fragte sie rhetorisch.

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SZ vom 12.02.2021
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