Süddeutsche Zeitung

Pflege:Mit Digitalisierung und Akademisierung gegen die Personalnot

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Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek zeichnet in Ismaning ein düsteres Bild von der Situation in der Pflege. Die Lösungsansätze, die er präsentiert, bleiben eher allgemein.

Von Hannah Wilholt, Ismaning

"Wenn wir jetzt nicht handeln, wird das für uns alle nicht gut ausgehen." So beginnt der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) den Abend, und die Grundstimmung ist gesetzt. Holetschek ist am Dienstag der Einladung der Kreisverbände von Frauen- und Senioren-Union zum Fachgespräch "Gute Pflege in Bayern" nach Ismaning gefolgt. Neben ihm sitzen der Kirchheimer Bürgermeister und CSU-Landtagskandidat Maximilian Böltl, CSU-Bezirksrätin Karin Hobmeier und Anne-Kathrin Reinhold, Pflegedienstleiterin des ambulanten Pflegedienstes der Nachbarschaftshilfe Ismaning im Kulturzentrum Seidlmühle. Die eigentlich geplante Podiumsdiskussion entwickelt sich allerdings über weite Strecken zu einer Fragestunde mit dem Gesundheitsminister, obwohl Moderatorin Annette Reiter-Schumann von der Frauen-Union immer wieder versucht, auch die anderen Gäste zu Beiträgen zu animieren.

Vor dem Fragenhagel macht der CSU-Politiker klar: "Das Pflegethema ist für mich das wichtigste, das wir angehen müssen." Er kritisiert erneut die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und fordert statt Leistungsstufen die Klärung der Personalfrage sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Gehälter. Konkret schlägt er Springer-Pools vor, die aus Fachpersonal bestehen, das in Einrichtungen und Abteilungen mit personellen Engpässen entsendet werden kann, sowie Gemeindeschwestern, die kostenlos zu Hause beraten sollen. Holetschek plädiert für eine generalistische Pflegeausbildung, die Dokumentation soll digitalisiert und die Pflege bis zu 20 Prozent akademisiert werden.

Es ist viel zu tun. Das wird im weiteren Verlauf des Abends immer deutlicher. Trotz Böltls und Holetscheks Beteuerungen, dass es Aufgabe der Politik sei, wieder gut über den Beruf der Pflege zu sprechen, konzentrieren sich die Wortmeldung des Publikums ausschließlich auf die zahlreichen Probleme. Wiederholt werden die mangelnden Deutschkenntnisse von Beschäftigten aus dem Ausland kritisiert, ohne die die meisten Pflegedienste maßlos unterbesetzt wären. Auch Anne-Kathrin Reinhold merkt an, dass mehr als die Hälfte ihrer Pflegekräfte aus dem Ausland kämen.

Ebenso wird die Geldnot in unterschiedlichsten Formen immer wieder angesprochen: Fördergelder aus den vergangenen zwei Jahren seien noch nicht angekommen, die Tarifbindungspflicht treibe Pflegedienst-Betreiber in den Ruin, und die Frage der Refinanzierung, heißt die Erstattung der Ausgaben für Personal, bleibe weiterhin ungeklärt. Der Gesundheitsminister verweist auf Angebote wie das Pflegezeitgeld oder die Förderrichtlinie "Pflege so nah", die pflegerische Versorgungsstruktur im sozialen Nahraum der Pflegebedürftigen begünstigen soll. Außerdem regt er an, dass der Kirchheimer Bürgermeister eine Videoschalte mit den Krankenkassen zum Thema der Tarifbindungspflicht organisieren soll.

Ein Vorschlag aus dem Publikum, um dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist die Wiedereinführung des Zivildienstes. Obwohl sich Böltl für ein geschlechtsunabhängiges, verpflichtendes Dienstjahr für alle 18-Jährigen ausspricht, möchte er das zumindest nicht direkt mit dem Personalmangel begründen. Er sieht es als Chance, mehr Menschen an den Pflegeberuf heranzuführen und der Jugend einen anderen Bezug zum Staat zu geben. Statt auf Demos Forderungen zu stellen, sollten sie lieber selbst als Teil des Staates aktiv werden. Holetschek hält sich dazu hingegen bedeckt und spricht von einem möglichen Dialog mit Jugendlichen zu so einem Konzept.

Aus dem Publikum werden auch die Nöte der pflegenden Angehörigen angesprochen: Das gesamte System sei darauf aufgebaut, dass Frauen nicht erwerbstätig sind und zu Hause die Pflege übernehmen können. Da das zum Großteil nicht mehr der Fall sei, sei es für die meisten überhaupt nicht möglich, ihre Angehörigen zu pflegen. Hier verweist Karin Hobmeier auf die Pflegestützpunkte, die eine Anlaufstelle für Angehörige sind und alle Informationen zu Pflegeangeboten und möglichen Zuschüssen bieten.

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