Süddeutsche Zeitung

Glockenbachviertel:Das Glasscherbenviertel

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Die ganze Nacht Lärm vor der Haustür, am Morgen dann Scherben und Müll: Die Anwohner im Glockenbachviertel sind genervt.

Sebastian Krass

Er kommt wie gerufen. Eine ganze Weile schon hat Alexandra Wanitschke ihr Leid geklagt. Seit 19 Jahren führt sie hier das Obst- und Gemüsegeschäft, seit elf Jahren wohnt sie auch in diesem Haus am Anfang der Thalkirchner Straße, oben unterm Dach. Sie weiß also, wovon sie spricht, wenn sie sagt: "Seit zwei Jahren ist es richtig schlimm geworden hier, kaum noch auszuhalten."

Die ganze Nacht Lärm, klagt sie, und am Morgen dann der Müll vor der Tür, die zerbrochenen Flaschen und im Hauseingang oft verschiedenste menschliche Ausscheidungen, die Wanitschke in aller Deutlichkeit benennt. Und jede Kundin, jeder Kunde im Laden stimmt ein ins Lied.

"Ich habe eigentlich einen guten Schlaf, aber inzwischen ist es echt belastend, auch weil es inzwischen eigentlich die ganze Woche durchgeht", sagt eine. "Es ist, als wäre jeden Tag Karneval", sagt eine andere. "Heute morgen habe ich an der Tiefgaragenausfahrt 15 Minuten lang die Scherben weggekehrt, bis ich durchkonnte."

Und dann kommt plötzlich der Übeltäter leibhaftig herein, der Mann, den Wanitschke und etwa 30 andere Nachbarn im Sommer wegen Ruhestörung angezeigt haben. Er hat ein Plastikeimerchen dabei und will ein paar Limonen kaufen, für sein Lokal gegenüber. So einfach kommt Markus Frankl, der Wirt der Schnellen Liebe, nicht davon: "Jetzt erzähl mal, was sagst du dazu?"

Der Ton ist ganz ohne Schärfe, freundlich sogar. Man mag sich, irgendwie. Und Frankl lässt sich nicht lange bitten: "Schlimm ist das alles", sagt auch er. "Ich kann immer nur sagen, dass ich mich bemühe, es draußen möglichst ruhig zu halten ab 23 Uhr." Er habe inzwischen eine zweiseitige Stellungnahme zu der Anzeige abgegeben und warte, ob ein Bußgeldbescheid kommt - weil vielleicht nicht immer alles ganz ordnungsgemäß gelaufen ist.

"Aber es gibt auch Sachen, die ich nicht beeinflussen kann, die auch mir schaden", sagt Frankl. "Das Rauchverbot macht allen hier das Leben noch viel schwerer." Doch auch das wirkt sich nur deshalb so sehr aus, weil in den vergangenen Jahren auf dem kleinen Gebiet, wo Müllerstraße und Thalkirchner Straße voneinander abzweigen, die Dichte nachtaktiver Lokale extrem zugenommen hat: Zum Kraftakt hinzugekommen sind das neue Pimpernel, die Erste Liga, die Schnelle Liebe, seit neuestem die Blumenbar - und dazu gibt es noch mehrere Imbisse, die teilweise fast rund um die Uhr aufhaben.

Das zieht Nacht für Nacht - und ganz besonders natürlich am Wochenende - feierfreudige Scharen an, die entweder vor den Clubs anstehen oder sich auch einfach eine Zeitlang auf der Straße einrichten, dort essen und trinken und in gehobener Lautstärke den Fortgang des Abends besprechen oder auch mal ein Lied anstimmen - alles im öffentlichen Raum.

Dass bei solchen Versammlungen dann auch Müll abfällt, gehört wohl zu den Gesetzmäßigkeiten menschlichen Zusammenlebens. "Die Leute können ja saufen, aber sie müssen nicht auch noch ihre Flaschen zerdeppern", sagt eine Anwohnerin, wohlwissend um ihre Machtlosigkeit. Für diese Probleme können auch die Wirte herzlich wenig - außer dass sie legalerweise ein Lokal betreiben, das indirekt weiteren Unbill anzieht.

Hier setzt auch Alexander Miklosy (Rosa Liste) mit einem Appell für die Zukunft an. "Jeder Metzgerladen, der hier in der Gegend zumacht, wird ein Gastronomiebetrieb. Da sollte das Planungsreferat einen Riegel vorschieben", sagt der Vorsitzende des Bezirksausschusses 2 Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt (BA). "Wir wünschen uns einen Kneipenstopp." Auch er weiß, dass das die akuten Probleme der Anwohner nicht löst.

Um die Belastung durch den Müll zu mindern, könne man beantragen, das Gebiet in eine höhere Reinigungsklasse zu versetzen. Dann würden die Kehrmaschinen so oft vorbeikommen wie in der Fußgängerzone. "Aber", gibt Miklosy zu bedenken, "die Straßenreinigung bezahlen die Hausbesitzer und legen das über die Nebenkosten um. Die Mieter müssten also dann eine höhere Miete zahlen wegen der Feierei vor ihrer Tür."

Gegen den Lärm, der direkt durch die Lokale und Clubs entsteht, könne man schon eher etwas unternehmen, sagt Miklosy. Er erinnert sich an Fall "Los Bandidos", ein Lokal weiter unten an der Ecke von Thalkirchner und Reifenstuelstraße. Dort hätten die Anwohner Unterschriften gesammelt und diese beim BA eingereicht. "Dann hat die Bezirksinspektion schnell Abhilfe geschaffen." Im Extremfall sei bei solchen Fällen sogar eine Sperrzeitverlängerung denkbar.

"Aber dafür brauchen wir auch mal etwas Schriftliches, und meist höre ich nur mündliche Klagen", sagt Miklosy. Obsthändlerin Wanitschke gibt zu, "dass die Leute immer viel schimpfen, aber dann ihren Hintern nicht hoch kriegen". An diesem Donnerstag veranstaltet der BA eine Bürgerversammlung (19 Uhr, Zunfthaus, Thalkirchner Straße 76). Alexandra Wanitschke überlegt sich, auch hinzugehen - wenn ein paar Nachbarn mitkommen.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2010
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