Süddeutsche Zeitung

Ottobrunn:Wahlhelfer nicht über Infektion unterrichtet

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Obwohl eine Mitarbeiterin des Einwohnermeldeamts an Covid-19 erkrankt war und mehrere Rathausmitarbeiter in Quarantäne geschickt wurden, hat die Gemeinde 60 Ehrenamtliche Stimmen auszählen lassen.

Von Stefan Galler und Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Nahezu 9000 Ottobrunner haben bei der ersten Runde der Bürgermeisterwahl vor eineinhalb Wochen ihre Stimme abgegeben, etwa 60 Wahlhelfer waren im Einsatz und dazu zahlreiche Gemeindemitarbeiter. Darunter auch der Wahlleiter der Gemeinde, der drei Tage später, am Mittwoch vergangener Woche, positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Eine Mitarbeiterin des Einwohnermeldeamtes war sogar bereits am Mittwoch vor der Wahl positiv getestet worden. Deshalb wird nun Kritik an der Gemeindeverwaltung um Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) laut. Die Gemeinde habe einen "unfreiwilligen Beitrag zum Anstieg der Covid-19 Infizierten" geleistet und die freiwilligen Wahlhelfer "sozusagen ins offene Messer laufen" lassen, schreibt ein SZ-Leser, dessen Tochter Wahlhelferin in Ottobrunn war und mittlerweile Husten und Fieber hat.

Den Vorwurf lässt Bürgermeister Loderer nicht stehen, er spricht von "übelster Verleumdung". Seine Verwaltung habe stets nach allen Richtlinien des Robert-Koch-Instituts gehandelt. Als die Mitarbeiterin fünf Tage vor der Wahl erste Symptome gezeigt habe, sei sie sofort angewiesen worden, zuhause zu bleiben; auch ein Test sei sofort in die Wege geleitet worden, sagt Loderer. Danach hätten er selbst sowie alle Abteilungsleiter die Kollegen abgefragt, ob sie Kontakt zu der Mitarbeiterin gehabt hätten. "Wir haben alle Kontaktpersonen der Kategorie 1 sorgfältig ermittelt und nach Hause geschickt", sagt Loderer. "Auch ihre Kolleginnen aus dem Einwohnermeldeamt."

Auch Loderer selbst arbeitet inzwischen im Homeoffice

Der Wahlleiter der Gemeinde Ottobrunn sei nicht in die Kategorie 1 eingestuft worden, weil er zu der Mitarbeiterin wenig bis kaum Kontakt hatte, sagt der Bürgermeister. "Er hat auch keine Symptome gezeigt", so Loderer am Dienstag auf Nachfrage der SZ. "Bis vergangenen Dienstag, auch dann haben wir sofort einen Test veranlasst, der dann positiv ausgefallen ist." Seitdem arbeiten weite Teile der Belegschaft - auch Loderer selbst - aus dem Home-Office. Die zweite Runde der Landratswahl organisiert derweil Hauptamtsleiter Wolfgang Walter mit einem kleinen Team im Rathaus. "Ich habe den Vorwurf in den letzten Tagen öfter gehört, wir hätten das ganze Rathaus schnell schließen müssen", sagt Loderer. "Aber das geht nicht so einfach, nur auf einen vagen Verdacht hin. Wir haben uns immer an alle Vorgaben gehalten."

Unterdessen sagt ein Wahlhelfer, der namentlich nicht genannt werden will, dass er bis zum Wahltag keinerlei Informationen über einen positiven Test aus der Gemeindeverwaltung erhalten habe. "Ich habe erst einige Tage später von einem Nachbarn gehört, dass es nun entsprechende Meldungen in der Presse gab." Er habe sich daraufhin am vergangenen Freitag per Mail ans Rathaus gewandt und nachgefragt, wie sich die Wahlhelfer nun zu verhalten hätten. Außerdem habe er seinen Unmut darüber geäußert, erst aus der Presse von dem Infektionsfall erfahren zu haben. "Wir haben einen halben Tag in den Wahllokalen und dann abends in den Büros im Rathaus zum Auszählen zusammen gesessen, zudem war unser Wahlraum so klein, dass es schlicht unmöglich war, anderthalb Meter Abstand zueinander zu halten", sagte er der SZ.

Ein Arzt erhebt schwere Vorwürfe gegen die Verwaltung

Erst am gestrigen Dienstag habe er auf seine Anfrage eine Antwort erhalten. Darin heißt es, der Wahlhelfer sei "keine Kontaktperson I" und müsse sich daher aufgrund der Wahlhelfertätigkeit nicht in häusliche Quarantäne begeben. Die Gemeindeverwaltung habe "nach Bekanntwerden der Infektionen mit größter Sorgfalt und schnellstmöglich die Kontaktpersonen der infizierten Mitarbeiter ermittelt", teilt die Gemeindeverwaltung in dem von Hauptamtsleiter Walter unterzeichneten Schreiben mit. Dabei habe man "an alle Wahlhelfer gedacht und für alle Wahlhelfer genau geprüft, wer von Ihnen im Verhältnis zum infizierten Personenkreis als KP I anzusehen ist". Jenen Personenkreis habe man "unverzüglich informiert". Wer von der Gemeindeverwaltung nicht kontaktiert wurde, könne davon ausgehen, "dass er oder sie keine KP I ist".

Für den Vater der erkrankten Wahlhelferin greifen die Erklärungsversuche aus dem Rathaus nicht. Der pensionierte Allgemeinarzt wirft dem Bürgermeister und der Gemeindeleitung vor, "aus Ignoranz, Naivität oder Bequemlichkeit leichtfertig die Gesundheit der Helfer aufs Spiel gesetzt" zu haben. Es sei "eigentlich schon kriminell", dass die Wahlhelfer nicht über die Infektion der Gemeindemitarbeiterin informiert wurden und deshalb in der Zwischenzeit "ihre zwar eingeschränkten, aber üblichen sozialen Kontakte hatten".

Im Falle seiner Tochter, einer Mutter von zwei Kindern, seien am vergangenen Donnerstag alle gängigen Symptome einer Coronaerkrankung aufgetreten: Fieber, trockener Husten und der Verlust des Geruchssinns. Ein Test sei allerdings negativ ausgefallen, mittlerweile gehe es der Wahlhelferin auch schon wieder besser.

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SZ vom 25.03.2020
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