Süddeutsche Zeitung

Aying:Frau Bieringer und die süße Kunst

Lesezeit: 3 min

Plätzchenbacken will gelernt sein. Die frühere Köchin der Familie Inselkammer zeigt Lernwilligen, wie das vorweihnachtliche Naschwerk gelingt. Merke: Ist der Teig zu dünn, wird der Hausfreund zu dürr.

Von Christina Hertel, Aying

"Grüß Gott. Ich bin die Frau Bieringer und i bin a bisserl bayerisch." Was für eine Ansage. Aber eigentlich ist damit auch alles Wesentliche gesagt. Es kann losgehen.

Bieringer leitet einen Plätzchenbackkurs in Aying. Winter für Winter zeigt sie in der Küche des Herrenhauses, wie Spitzbuben, Hausfreunde, Vanillekipferl gelingen. Was gibt es sonst noch über sie zu sagen? Frau Bieringer heißt Christa mit Vornamen, aber das kann man eigentlich gleich vergessen. So nennt sie keiner, alle sagen - wie sie es selbst eben auch macht - die Frau Bieringer.

Ihr halbes Leben lang kochte Bieringer für die Brauer-Familie Inselkammer

Sie kommt aus Aying und hat ihr halbes Leben für die Brauer-Familie Inselkammer gekocht. Mittlerweile ist sie Anfang 80 und sieht aus wie eine liebe Oma, die sich alle wünschen, aber nur die wenigsten haben. Im Prinzip ein gutes Alter, um die Füße hochzulegen. Doch Frau Bieringer macht weiter mit dem, was sie besonders gut kann: Plätzchen backen.

Vorne weg muss man eines klarstellen: niemand, der an dem Kurs teilnimmt, ist ein Anfänger. Alle fünf Frauen habe schon die ein oder andere Stunde in der Küche verbracht. Auch Plätzchen haben sie schon alle einmal gebacken. Sie sind aus einem anderen Grund da. "Die Gesellschaft ist so nett", sagt Uschi Schwarz, sie ist Rentnerin aus München und wird heute die Hausfreunde backen - was auch immer das sein soll. "Also da kann ich mir jetzt gar nicht so recht was drunter vorstellen", meint sie anfangs. Frau Bieringer zeigt ihr ein Bild.

Die Gutsküche des Brauereigasthofs in Aying verwandelt sich im Dezember in eine Plätzchenbackstube. Christa Bieringer (2. von rechts) weiß manchen Trick.

Anfang 80 ist sie inzwischen und hat ihr halbes Leben für die Familie Inselkammer gekocht und gebacken.

Bei den Plätzchen geht ihr seit einigen Jahren Sandra Weber (links) zur Hand.

Plätzchenbacken ist für viele Menschen wohl auch deshalb so etwas Besonderes, weil es sie an ihre Kindheit erinnert, als die Welt noch in Ordnung war.

Und mit Frau Bieringer kann man sich noch besser in diese Zeiten zurückversetzten als mit jeder Weihnachts-CD.

Hausfreunde sind im Prinzip zwei mit Marmelade und Marzipan zusammengeklebte Plätzchen, in Schokolade getunkt und mit einer Nuss oben drauf. Schwarz ist inzwischen schon beim Ausrollen angekommen. Bieringer streicht über den glatten Teig, prüfend und gleichzeitig liebevoll. Jetzt kann das Ausstechen losgehen.

Plätzchenbacken erinnert viele an ihre Kindheit

Plätzchenbacken ist für viele Menschen wohl auch deshalb so etwas Besonderes, weil es sie an ihre Kindheit erinnert, als die Welt noch in Ordnung war. Und mit Frau Bieringer kann man sich noch besser in diese Zeiten zurückversetzten als mit jeder Weihnachts-CD. Sie ist bei dem Kurs so etwas wie eine Mutter - streng, aber mit viel Herz. "Hallo, hallo! Des is nix. Machen'S des net gar so dürr", ermahnt sie Christine Philippi, eine große, blonde Frau, die gerade Vanillekipferl formt. Sie guckt ein bisschen verdutzt, macht die nächsten aber tatsächlich etwas dicker.

Bieringer hat bei dem Kurs noch eine Unterstützerin: Sandra Weber. Sie ist ihre Nachfolgerin und gleichzeitig ihr komplettes Gegenteil. Weber kocht wie Bieringer damals für die Familie Inselkammer. Aber sie ist jung, dynamisch und gar nicht bayrisch. Weber kommt ursprünglich aus Thüringen. Und so wie niemand weiß, dass Frau Bieringer mit Vornamen Christa heißt, weiß niemand, dass Sandras Nachname Weber ist. Trotz der ganzen Unterschiede sind die beiden ein Team. Zusammen geben sie die Kurse und sie backen für die Familie Inselkammer Plätzchen - Hunderte, an mehreren Tagen, immer vormittags.

Wenn die beiden dann irgendwann genug hätten von pappenden Händen und mehligen Haaren, wäre das nur verständlich. Aber so ist das nicht. Sandra Weber holt ihr Handy raus. Mit ihrer Freundin hat sie neulich auch gebacken. Weber wischt durch ihre Bildergalerie: Schokoplätzchen, Spritzgebäck, Makronen, Plätzchen verziert mit bunten Zuckerkügelchen in bestimmt zehn verschiedenen Variationen.

Es dauerte, bis die Plätzchen vom Christbaum auf den Teller wanderten

Was ist da los? Warum sind die Menschen ausgerechnet in der Weihnachtszeit so versessen aufs Backen? Vielleicht ist ein kurzer Exkurs nötig. Plätzchen gibt es im Prinzip seit Jahrhunderten. Schon die alten Ägypter und Römer buken kleine Kuchen - als Opfergabe. Denn längt nicht alle besaßen ein Tier zum Opfern, also wurde es sozusagen nachgebaut. Auch die Mönche in den Klöstern buken - allerdings christliche Motive.

Aber erst im 19. Jahrhundert begannen die Menschen Weihnachten so zu feiern, wie man das Fest heute kennt. Mit Christbaum und allem drum und dran. An den hängte man Plätzchen - bis sich die Leute Kugeln aus Glas leisten konnten und das Gebäck zurück auf die Teller wanderte. Heutzutage könnten die Menschen ihre Plätzchen eigentlich auch kaufen - genauso wie den Strickpullover. Doch Selbermachen liegt eben im Trend, in der Gruppe erst recht.

Wieder zurück in Bieringers Küche. An der Wand hängen alte Gugelhupf-Formen, Schopflöffel und Kellen - alles sehr gemütlich, und die meiste Zeit des Jahres ist es hier still. Das Herrenhaus des Gasthofs wurde aufwendig renoviert zum Hotel. Seitdem wird die Küche nur noch zu besonderen Anlässen benutzt. Und irgendwie ist so ein Backkurs auch ein besonderer Anlass - zumindest in Aying. Es gibt Häppchen mit Wachteleiern, Lachs und Avocado. Bieringer rührt sie nicht an. Sie ist zu beschäftigt. Sandra Weber hält ihr ein Blech voller frisch gebackener Plätzchen hin: "Passt das, Frau Bieringer?" Diese drückt auf ein Plätzchen und nickt. Es passt - und es schmeckt.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2016
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