Süddeutsche Zeitung

Forschung:Wie künstliche Intelligenz das Leben verbessern soll

Lesezeit: 4 min

Start-ups und Konzerne arbeiten an Programmen, die bessere Entscheidungen treffen sollen als der Mensch. Das wird auch das Leben in den Städten verändern.

Von Pia Ratzesberger

Es geht jetzt hoch nach oben, immer weiter nach oben, in einem Aufzug aus Glas. Die Stadt liegt schon im Dunkeln. Man sieht die Lichter der Autos, man sieht den Stau am Mittleren Ring, und wenn man dann im 23. Stock aussteigt, steht eine Frau vor einem Bildschirm und sagt: "Diese Karte von München zeigt, wo in der nächsten Stunde eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Unfall besteht."

Die Autofahrer wissen von nichts, diese Frau aber hat schon eine Ahnung davon, was in der Zukunft passieren könnte - und das beschreibt ganz gut, was in diesem Turm im Norden von München gerade vor sich geht. Der Konzern IBM hat dort sein erstes Hauptquartier außerhalb der USA eröffnet, am Empfang unten steht Watson IoT. Watson nennt IBM sein Computerprogramm für künstliche Intelligenz und in München geht es vor allem um das Internet of Things - also um die Vernetzung verschiedener kluger Systeme.

Es ist einer von Dutzenden Orten in der Stadt, an denen momentan an künstlicher Intelligenz gearbeitet wird. Diese Art von Software soll einmal bessere Entscheidungen treffen als der Mensch und in manchen Fällen können Programme das heute schon. Die neue Technologie wird nicht nur die Wirtschaft verändern, sondern das Leben aller Menschen; sie wird in einer Reihe stehen mit der Erfindung der Dampfmaschine oder des Telefons. Künstliche Intelligenz, kurz KI, wird verändern, wie wir arbeiten, wie wir miteinander sprechen und wie wir uns fortbewegen - und wie schnell das geht, wird sich nicht nur in den USA entscheiden, sondern auch in Deutschland. Auch in München.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hatte vor ein paar Monaten angekündigt, 280 Millionen Euro in die Forschung von KI zu investieren. Erst Anfang des Jahres hat BMW ein Forschungszentrum zum autonomen Fahren eröffnet, auch das ist nur möglich mit künstlicher Intelligenz. Im Frühjahr kam der frühere Chef von Google in die Stadt, Eric Schmidt, um zu verkünden, dass Google und die Technische Universität München (TUM) bei dem Thema von nun an eng zusammenarbeiten wollen. In seinen Büros am Arnulfpark arbeitet das Unternehmen an KI, wie auch Microsoft und Infineon, wie Siemens und Linde, wie letztlich Unternehmen aller Branchen.

IBM hat in seinen neuen Büros deshalb eine Art Showroom eingerichtet. Dort sollen die Kunden sehen können, was mit KI alles möglich ist - der Konzern will seine Software schließlich verkaufen. Die Managerin Heike Kammerer führt dann durch die Räume, vorbei an einem Roboter, der innerhalb von 30 Millisekunden erkennen kann, wenn ein Türgriff aus der Produktion verkratzt ist. Vorbei an Mülltonnen mit Sensoren, die erst geleert werden müssen, wenn sie auch wirklich voll sind. Vorbei an Bildschirmen, auf denen Sozialdienste ablesen können, in welcher Wohnung gerade die Badewanne volläuft und in welcher die Haustüre offen steht. Und dann schließlich zu der Karte von München, auf der man erkennen kann, an welchen Orten die Gefahr für einen Unfall in der nächsten Stunde besonders hoch ist.

Die Polizei habe ihnen Unfalldaten aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 überlassen, sagt Kammerer. Diese Daten habe IBM dann mit anderen Informationen aus der gleichen Zeit verbunden, mit Daten zum Wetter, zum Verkehr und zu Events in der Stadt. Die Karte sei nur ein Beispiel, um zu zeigen, was möglich ist - aber sie lässt erahnen, wie die Zukunft der Städte einmal aussehen könnte. Wenn man einen der Mitarbeiter bei IBM fragt, warum er Software-Architekt geworden ist, formuliert Tobias Stöckel es so: "Ich fand spannend, wie sich die IT mittlerweile in jeden Lebensbereich vorwagt." Man könnte das auch anders nennen - wie sie sich in jeden Lebensbereich vordrängt.

Wenn man wissen will, wie wichtig künstliche Intelligenz in der Wirtschaft gerade wird, muss man nur einmal versuchen, einen Termin mit Andreas Liebl auszumachen. Er leitet an der UnternehmerTUM, dem Gründerzentrum der TUM, eine Initiative für künstliche Intelligenz. Eben das Programm, in das auch Google investiert hat. Liebl hat in diesen Tagen viel zu tun, zu seinen Partnern gehören unter anderem Allianz und Telekom, viele Unternehmen mit einem bekannten Namen. Wenn man am Morgen das Gebäude der UnternehmerTUM betritt, sitzen die ersten schon auf den Sofas, die Laptops auf den Knien. Im Regal sind die Namen der Firmen zu lesen, deren Geschichte auch in Garching begann. Flixbus zum Beispiel oder Tado. Im ersten Stock macht sich Andreas Liebl den ersten Kaffee des Tages, und im Zimmer gegenüber hängt ein Schild an der Türe, auf dem steht: "Achtung, sensible Daten! Dieser Raum ist vorübergehend gesperrt!". Liebl lächelt dann nur. Was genau in dem Raum passiert, darf er nicht sagen. Nur, dass dort die wichtigsten Daten einer Firma lagern - und alleine der Rechner 70 000 Euro wert ist.

Viele Unternehmen haben jetzt mit KI begonnen, aber Liebl geht das noch zu langsam. Die meisten Firmen verbesserten erst kleine Dinge, etwa die Kratzer in den Türgriffen, dabei könnte man doch die ganze Produktion neu denken. Die Kühlung der Rechenzentren von Google zum Beispiel steuere jetzt eine künstliche Intelligenz, sagt Liebl. Mit der habe man 40 Prozent Energie eingespart und solche Zahlen schweben ihm auch für deutsche Firmen vor. Liebl und seine knapp 30 Mitarbeiter begleiten Firmen und entwickeln Prototypen mit ihnen, schulen auch Mitarbeiter. Sie wollen das Wissen teilen. Sie veröffentlichen viel im Internet, wollen eine Debatte in der Gesellschaft anstoßen. "Wenn die Menschen Angst vor einer Superintelligenz in der Zukunft haben, verkennen sie Chancen, die KI jetzt bietet", sagt Liebl.

Vor ein paar Wochen ging es im Münchner Tatort um solch eine Superintelligenz, um eine Software, die der Mensch nicht mehr unter Kontrolle hat. Die Kommissare Leitmayr und Batic mussten in einem Mordfall dann einen Computer an Stelle eines menschlichen Zeugen befragen. Andreas Liebl hat sich den Tatort nicht angesehen. Einer seiner Mitarbeiter schon. Er sagt, man müsse doch nur mit Siri oder mit Alexa reden, um zu verstehen, dass man von der Superintelligenz noch weit entfernt sei. Wie er den Tatort fand? "Esoterisch."

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Quelle:
SZ vom 15.12.2018
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