Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Planegg:Stichwahl programmiert

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Acht Kandidatinnen und Kandidaten wollen in der prosperierenden 12000-Einwohner-Gemeinde Bürgermeister werden. Und doch fehlt es an Visionen oder wenigstens an neuen Konzepten zur Lösung altbekannter Probleme - etwa bei Verkehr, Wohnen und Gewerbe

Von Rainer Rutz

Sechs Wochen vor der Kommunalwahl in Planegg am 15. März steht ein Ergebnis schon fest: Es wird am 29. März eine Stichwahl geben. Bei einer Zahl von derzeit acht Kandidatinnen und Kandidaten, die allesamt Bürgermeister werden wollen, ist das schon eine rein mathematische Angelegenheit. Niemand geht davon aus, dass einer der acht Kandidaten, darunter sechs Frauen, auf Anhieb mehr als 30 Prozent der Stimmen bekommen wird. Gerätselt wird darüber, warum ausgerechnet Planegg einen vermutlich bayernweiten Rekord an Kandidaten hält - Planegg, die prosperierende 12 000-Einwohner-Gemeinde im satten Würmtal, seit Jahrzehnten schuldenfrei, mit bester Infrastruktur. Warum wollen also gerade hier so viele Menschen in die Politik einsteigen?

Von Politikverdrossenheit ist offenbar nichts zu spüren. Oder liegt das Geheimnis der Kandidatenschwemme darin, dass man gerade im Gegenteil des vorgeblichen "Vor-sich-Hinwurstelns" müde ist, neue Ideen präsentieren will, der soliden, aber eher wenig visionären Politik der vergangenen Jahre überdrüssig ist, auch mal neue Gesichter sehen will und neue Ansätze zur Lösung bestehender Probleme ausprobieren will? Ein kurzer Blick auf die bisher bekannten Programme der politischen Gruppierungen und ihrer Kandidaten spricht eher eine gewohnte Sprache: mehr und bezahlbare Wohnungen, ja klar; weniger Verkehr sowieso; Klimaschutz auch im Kleinen, muss sein, Geschenke aller Art für Jung und Alt - alle wollen das. Aber Visionen? Da hapert es doch gewaltig.

Es ist ja nicht so, dass die Gemeinde Planegg keine wirklichen Probleme hätte, auch wenn vieles hochstilisiert wird und an ein "Jammern auf höchstem Niveau" erinnert - etwa die angeblich unzureichende Unterbringung von Kindern im Keller eines Horts in Martinsried, über die man hier heftig und leidenschaftlich streitet. Nein, Planegg hat echte Probleme - und die müssten angegangen werden, auch mit ungewöhnlichen Konzepten.

Die Germeringer Straße beispielsweise: eine stark ausgelastete Verkehrsachse mitten durch bestes Wohngebiet, mit rund 20 000 Autos Tag und Nacht im oberen Feld vergleichbarer bayerischer Straßen gelegen. Ja, dort gibt es jetzt Tempo 30; alle politischen Gruppierungen rühmen sich, das durchgesetzt zu haben. Aber dadurch fährt nicht ein Auto weniger. Eine Untertunnelung des westlichen Teils der wichtigen West-Ost-Querverbindung von der Lindauer Autobahn in die Landeshauptstadt wäre eine Vision, gewiss. In Starnberg wird die Vision nach jahrzehntelangem Kampf gerade Wirklichkeit. Von den Planegger Kandidaten traut sich keiner an das millionenschwere Thema heran.

Der Kiesabbau: Zwar ist es gerade durch Kooperation vieler gesellschaftlicher Gruppierungen - vorläufig - geglückt, einen neuen Kiesabbau im Planegger Forst zu verhindern. Das ändert aber nichts daran, dass an vielen Stellen des Würmtals und Planeggs noch viele Jahre lang Kiesgruben ausgebeutet werden dürften - ein Blick aus dem Flugzeug zeigt eine zerklüftete Landschaft, zerstörte Wälder, offene Gruben. Ein Konzept gehört her, und als Ergebnis wünschen sich viele: kein Kiesabbau mehr im Erholungsgebiet des Ballungsraums München. Doch dazu hört man von politischer Seite noch wenig.

Oder: Die desolate Lage auf dem Wohnungsmarkt - in Planegg ist sie auch deshalb schlimmer als anderswo im Münchner Großraum, weil die Gemeinde kaum mehr eigene Flächen hat. Ideen? Nicht wirklich. Die 62-jährige Christine Berchtold sagt für die SPD auf einer perfekt gemachten Website: bezahlbaren Wohnraum schaffen, aber gleichzeitig Planegg erhalten, so wie es ist, was auch immer man darunter verstehen mag. Es ist diese imaginäre Angst vor dem angeblichen Volkswillen, vor umstrittenen "Bürgergutachten" und Bürgerbeteiligungsverfahren der vergangenen Jahre - eines davon mit der Aussage, nur noch ein bis maximal zwei Prozent Wohnungsbau pro Jahr zuzulassen: eine Vorstellung, die jeden Planer das Fürchten lehren muss. Hermann Nafziger, der es für die CSU zum vierten Mal als Bürgermeister-Kandidat versucht und den man, mangels innerparteilicher Einigung, in nicht-öffentlicher Versammlung zur Kandidatur ermutigen musste, sagt erst einmal gar nichts zum Thema, legt aber Wert auf ein "stabil bleiben". Soll heißen: Planegg soll so bleiben, wie es ist. Immerhin ist der 56-jährige Technische Projektleiter im Planegger Rathaus ein alter Hase mit viel Erfahrung. Bei der bisher letzten Stichwahl schaffte er gegen den amtierenden Bürgermeister Heinrich Hofmann von der SPD 44 Prozent. Ein Ergebnis, das ihn jetzt wieder hoffen lässt.

Angelika Lawo, ein ganz neues Gesicht im Kandidatenkreis, hat sich für die Grüne Gruppe 21 aufstellen lassen. Die Gruppe hat es, weil es seit zwei Jahren mit der Neugründung von Bündnis 90/Die Grünen nun Konkurrenz gibt, nicht gerade einfach. Grüne Themen müssen die Politiker nun mit anderen teilen. Die Studienrätin sagt erfrischend: In kommunalpolitische Themen müsse sie sich erst einmal einarbeiten. Oder Philipp Pollems: Überraschenderweise von der FDP statt des erwarteten Peter von Schall-Riaucour aus dem Hut gezaubert, hat bei seiner ersten Vorstellung ein beliebtes Planegger Thema angeschnitten: die Bahnhofstraße. Der 54-jährige Unternehmer, weltgewandt und eloquent, tritt als freier Kandidat an und hält sich nicht an Parteiriten. Die gute Stube Planeggs müsse moderner werden, mehr Aufenthaltsqualität bieten, postuliert er. Das bedeutet aber auch: weniger oder gar keine Autos, wenigstens in Teilbereichen. Ein Thema, das Anwohner und vor allen Dingen Geschäftsleute skeptisch beäugen. Da wird die FDP - gerade bei ihrer eigenen Klientel - Rückgrat beweisen müssen.

Dann Cornelia David. Sechs Jahre war die Ärztin als Mitglied der SPD-Fraktion im Gemeinderat. Ihre Ankündigung, für die Freien Wähler anzutreten, war ein Paukenschlag. Ihre Popularität wird die 58-Jährige nun in die Waagschale werfen, ihr Motto lautet: "Gemeinsam geht's besser". Passt irgendwie nicht so ganz zu ihrer Feststellung, man habe sich in der SPD-Fraktion "auseinandergelebt". David setzt auf "Sachpolitik statt Parteipolitik, Konsens statt Kontroverse". Für Martinsried wünscht sie sich ein "Bürgerbüro und ein generationenübergreifendes Begegnungshaus".

Die Imkerin Judith Grimme tritt für die Grünen an. Sie hat sich schon in Bürgerinitiativen engagiert, kennt die Planegger Themen und wird vor allem strategisch vom Kreisverband der Grünen unterstützt. Die 45-Jährige sagt: "Politik kann Spaß machen." Eine ihrer Sorgen ist, "dass der Hauptknotenpunkt des Straßenverkehrs des Landkreises München in Planegg liegt". Hier müsse man über Lösungen nachdenken. Nach der Einführung von Tempo 30 kann sie sich auch die Auftragung eines "Flüsterasphalts und ein generelles Fahrverbot für Lkw über 7,5 Tonnen" vorstellen.

Und dann gibt es im Planegger Kommunalwahlkampf noch zwei Einzelkämpferinnen, die bis zuletzt um die notwendigen eingetragenen Unterstützer für eine Kandidatur kämpften: die Buchhändlerin Susanne Trenkle, die mit Gleichgesinnten die Gruppierung "Wählergruppe für Planegg und Martinsried" gegründet hat. Als Mitgründerin des Gewerbevereins "Wir in Planegg" legt sie Wert auf eine Stärkung des lokalen Gewerbes. Die 58-Jährige sagt: "Mir liegt der Lebensraum Planegg-Martinsried am Herzen."

Das kann mit Sicherheit auch die letzte im Bunde von sich behaupten: Astrid Pfeiffer. In der "Wählergruppe für Planegg und Martinsried" kämpft sie alleine, ohne Gemeinderats-Liste. Sie versteht sich deshalb auch als "Moderatorin" der unterschiedlichsten Interessen. Pfeiffer scheut sich auch nicht, ihren beliebten, kürzlich verstorbenen Vater, den früheren Bürgermeister Alfred Pfeiffer, zu bemühen, wenn es um ihre Lebens-Prägung geht: "58 Jahre Gemeinderat, Engagement in vielen Vereinen von ganzem Herzen - ein Leben für seine Gemeinde. Nun möchte ich in die Fußstapfen von Fredi Pfeiffer treten - in seinem Geiste, aber mit eigenen konkreten, zeitgemäßen Ideen und Vorstellungen für die Zukunft." Die 48-Jährige will das "Münchner Wachstum besser steuern" und fordert "ein Ende der Abhängigkeit von der Gewerbesteuer". Das "explosionsartige Wachstum der Region" überfordere den Landkreis München und damit auch Planegg. In den vergangenen Monaten hat sie sich in mehreren Bürgerinitiativen stark für den Erhalt des Planegger Waldes und gegen neuen Kiesabbau eingesetzt. Da Pfeiffer keine Liste hat, kann sie nur als Erste Bürgermeisterin gewählt werden, nicht als Gemeinderätin: alles oder nichts.

Die Spitzenkandidaten (soweit bekannt): SPD: 1. Christine Berchtold (auch Bürgermeisterkandidatin), 2. Felix Kempf, 3. Barbara Berendt-Rüger. CSU: 1. Hermann Nafziger (auch Bürgermeisterkandidat), 2. Michael Book, 3. Michaela Erdmann. FDP: 1. Philipp Pollems (auch Bürgermeisterkandidat), 2. Christian Haugg, 3. Peter von Schall-Riaucour. Freie Wähler: 1. Cornelia David (auch Bürgermeisterkandidatin), 2. Florian Zeller, 3. Christoph Höfner. Grüne Gruppe 21: 1. Angelika Lawo (auch Bürgermeisterkandidatin), 2. Eva Schreier, 3. Werner Strobl. Bündnis 90/Die Grünen: 1. Judith Grimme (auch Bürgermeisterkandidatin), 2. Jürgen Peters, 3. Hannah Betz. Nur Bürgermeisterkandidatinnen: Wählergruppe für Planegg und Martinsried: Susanne Trenkle. Wählergruppe für Planegg und Martinsried: Astrid Pfeiffer.

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SZ vom 05.02.2020
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