Süddeutsche Zeitung

Kino:Update der Wirklichkeit

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Der Regisseur Philipp Dettmer schenkt München ein neues Festival: Bei "Hyper Hybrid" sind Filme zu sehen, die Genres vermeiden oder mit Erzählformen spielen

Von Bernhard Blöchl

Kreative aller Sparten kennen das Schubladenproblem. Wer sich als Musiker, Schriftsteller oder Filmemacher nicht in Genres einordnen lässt, hat es schwer bei der Vermarktung. Wer nicht etikettiert, verliert. Der Regisseur Philipp Dettmer kennt das. Beim Herausbringen seiner Skater-Hommage "Nightsession", die 2015 beim Filmfest München Premiere hatte, habe er oft das Feedback erhalten: "Dein Film ist super, aber du sitzt zwischen den Stühlen." Dokumentarisch? Ja. Aber nicht so ganz. Sein flirrender Film ist eine dramaturgische und visuelle Mischform. Ein Hybrid. Wie so viele. "Ich habe mir damals gedacht: Komisch, dass es keine Plattform für Filme gibt, deren Machart sich nicht eindeutig zuordnen lässt."

Inzwischen gibt es diese Plattform. Dettmer hat sie selbst geschaffen. An diesem Donnerstag startet zum ersten Mal das Filmfestival für hybride Filme, "Hyper Hybrid" lautet der Name dieser Schau der unabhängigen Genrebastarde. Gezeigt werden eine Woche lang 61 Filme aus 27 Ländern, ein paar Weltpremieren sind dabei, der Rest sind München-Neulinge. Der kürzeste dauert 20 Sekunden, der längste zwei Stunden. Junge, rohe und ziemlich schräge Independent-Produktionen aus den vergangenen drei Jahren sind das, die entweder die Grenze zwischen Realität und Fiktion verwischen respektive mit ihr spielen, Schubladendenkern den Stinkefinger zeigen, oder sich mit zeitgenössischen Bild-Wirklichkeiten auseinandersetzen, also iPhone-Videos, Snapchat-, Games- und Porno-Realitäten. Klarer Fall fürs Werkstattkino: Zu sehen sind die Filme blockweise, meist in der Abendschiene, gebündelt nach Themen. Diese heißen etwa "Mental (Dis)Order" oder "Porture Torn".

Aus mehr als 2700 Einreichungen musste Dettmer auswählen. "Klar, da war auch viel Schmarrn dabei", sagt der Münchner, Jahrgang 1978. Aber eben auch viel Spannendes, Abenteuerliches, Überraschendes. Sachen, die man in den Mainstream-Kinos und auf seriösen Festivals nicht zu sehen bekommt. Von Leuten, die sich was trauen oder wild herumexperimentieren. Von Regisseuren, "die in den Filmförderkosmos nicht reinkommen oder denen er zu blöd ist". Beim Sichten habe er schnell ein Gespür dafür entwickelt, ob der Film zum Festival passt oder nicht. "Er muss irgendwas bei mir auslösen", sagt Kurator Philipp Dettmer. Sein Raster: "Freunde, die nichts mit Film zu tun haben, muss ich guten Gewissens da reinschicken können."

Zum Beispiel in "Martin pleure" von Jonathan Vinel aus Frankreich. Der Beitrag fällt schon deshalb aus dem Rahmen des Gewohnten, weil er in Computerspiel-Optik daherkommt, basierend auf Elementen, die dem Spiele-Hit "Grand Theft Auto V" entstammen. Ein dystopischer Kurzfilm über einen Mann, der eines Tages aufwacht, und all seine Freunde sind verschwunden. Machart? Nicht zuzuordnen, irgendwas zwischen Virtual Reality und Endzeit-Drama. Bemerkenswert ist auch "Nuclear Hallucinations", "ein nuklearer Schildbürgerstreich", wie Dettmer sagt, "amüsant und gefährlich". Der Beitrag setzt sich satirisch mit einem Kernkraftwerk in Südindien auseinander. Weinende Videospielhelden, ein Update der Kifferkomödien der Neunzigerjahre, Protagonisten mit hybriden Seelenzuständen, Fabelwesen, Puppen, Selbstauflösung - darum geht es häppchenweise.

Erstaunlich ist, dass kein Film aus Deutschland dabei ist. Stattdessen dominieren Werke aus Südamerika, Italien, Frankreich, den USA und China. Woran das liegt? Philipp Dettmer spekuliert: "In Deutschland gibt es eben viele Leute, die sich im Fördersystem festgebissen haben. Oder die Kunstfilm- oder Experimentalfilm-Schiene bedienen." Die "Förderblase", wie er sagt, sei zwar legitim. Aber das "Raster-Denken" sei eben typisch deutsch.

Der Begriff Hybridfilm ist in der öffentlichen Wahrnehmung noch relativ unbekannt. "Der wabert durch die Landschaft", sagt der Festivalleiter und ist sich sicher: "Er hat sich bereits etabliert oder wird sich noch etablieren." In Abgrenzung zu den genannten Experimental- oder Kunstfilmen liege in dieser Alternativnische der Fokus auf der Gratwanderung zwischen Spiel- und Dokumentarfilm. Wenngleich es viele Facetten der Hybridität gebe, wie Dettmer betont. Facetten, auf die man sich im Werkstattkino unvoreingenommen einlassen kann.

Hyper Hybrid , Do., 30. Nov., bis Mi., 6. Dez., Werkstattkino, hyper-hybrid.net

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SZ vom 30.11.2017
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