Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Zeitforscher Karlheinz Geißler gestorben

Der Münchner Wissenschaftler hat sich ein Leben lang mit unserem Umgang mit der Zeit beschäftigt und gefordert: Enthetzt Euch!

Von Sabine Buchwald

Zum Thema Zeit lassen sich wunderbare Wortspielereien formen, und Karlheinz Geißler hat das vorzüglich beherrscht. "Time is honey", "Immer mit der Ruhe", "Alles hat seine Zeit, nur ich hab keine", heißen einige seiner Bücher. In seinen Schriften und Vorträgen entlarvte er unsere Sprach- und Lebensgewohnheiten und forderte - analog zu Stéphane Hessels "Indignez-vous" auf: "Enthetzt Euch!" Geißler selbst besaß keine Uhr, kein Handy, keinen Führerschein. Ihn beschäftigte, wie wir unsere Zeit verbringen und verschwenden, er animierte seine Mitmenschen, darüber nachzudenken. Die "Nachspielzeit" in einem Fußballmatch kritisierte er, weil Pausen Teil des Spieles seien. Den Begriff "Zeitumstellung" empfand er als unsinnig, weil man ja nur Uhren umstellen könne, nicht die Zeit. Als Zeitforscher - Geißler nannte sich selbst "Zeitweiser" - war er gefragter Berater, in den Achtzigerjahren etwa für die IG Metall, als es um Arbeitszeitverkürzung ging.

Geißler wurde 1944 in der Oberpfalz geboren, hat in München studiert, wurde hier in Ökonomie promoviert. Von 1975 bis 2006 lehrte er an der Uni der Bundeswehr und an zahlreichen Universitäten im In- und Ausland. Er hat die Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik mitgegründet und zusammen mit seinem Sohn Jonas das Institut Timesandmore geführt. Als Kind hatte sich Geißler mit Polio infiziert, was ihn ein Leben lang körperlich beeinträchtigte. Am 9. November nun ist die Zeit auf Erden für Karlheinz Geißler abgelaufen.

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