Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Mamma mia, Mussolini

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Wer in München lebt, ist mit dem Herzen ein halber Italiener - und tut sich mit dem Rechtsruck dort sehr schwer. Trost spendet nur die Zabaglione.

Glosse von Wolfgang Görl

Ein paar Monate ist es her, da hat unsere Lieblingsstandlfrau auf eine Kundin geschimpft, die wegen Erdoğan keine türkischen Kirschen mehr kaufen wollte. "Die spinnt doch", wetterte sie. "Was kenna de Kirschn dafia, dass der so is?" Der Vorfall fiel uns wieder ein, als wir bei unserem Lieblingsitaliener Pasta und Saltimbocca aßen. Weiß Gott, es schmeckte traumhaft. Aber durfte das sein, wo doch die Italiener eine Frau gewählt haben, die Mussolini für einen ausgezeichneten Politiker hält?

Womöglich hat auch unser Lieblingskellner diese Postfaschistin gewählt, jedenfalls ist er verdächtiger als die türkischen Kirschen in puncto Erdoğan. Hat er nicht schon immer auf das marode Italien geschimpft, auf die ganzen korrupten Politiker, und dass da endlich jemand aufräumen müsse? Ja, hat er. Und dann hat er uns mit einem Charme, der jeglichen Widerstand dahinschmelzen lässt, die Zabaglione als Dessert empfohlen, und alles war vergessen.

Tatsächlich, die Zabaglione war ein Gedicht, unübertrefflich, und über die Meloni haben wir vorsichtshalber nicht gesprochen. Aber kann das so weitergehen? Diese affige Italienliebe? Das Land, wo die Zitronen blühn, das Sehnsuchtsland, die Heimat Michelangelos und der Pizza. Für Münchner ist die Frage besonders relevant, nicht nur weil die Bewohner der "Hauptstadt der Bewegung" dem Duce Mussolini, Melonis Lieblingspolitiker, begeistert zujubelten, als Hitler ihn 1937 in der Stadt empfing.

Italien, dieses Land, das sich jetzt den Postfaschisten hingibt, ist ja nicht irgendein Ausland; im Gegenteil, viele Münchner fühlen sich der Toskana oder dem Gardasee stärker verbunden als Bundesländern wie etwa Mecklenburg-Vorpommern. München sei die nördlichste Stadt Italiens, heißt es, und unser Freund Herbert zum Beispiel ist überzeugt, in einem früheren Leben der Doge von Venedig gewesen zu sein, ehe seine Seele über die Alpen wanderte und sich dort einen Münchner, eben Herbert, als neuen Partner suchte. In diesem Punkt ist er nicht der Einzige. Die Stadt ist voller Herzensitaliener, die den Tag mit einem Espresso beginnen und statt "wie geht's" "come stai" sagen.

Mamma mia, jetzt verbrüdern sich unsere Seelenverwandten mit Melonis rechtsextremen Fratelli d'Italia und wir müssen uns fragen, ob der Genuss einer Portion Spaghetti noch politisch korrekt ist. Aber waren wir Herzensitaliener nicht immer schon die solideren Menschen, während die richtigen Italiener nach dem Motto "Heute so, morgen so und übermorgen ganz anders" leben? Das macht sie ja gerade so attraktiv, genau so möchten wir auch sein.

Doch dann werfen sie sich wieder irgendeinem Scharlatan in die Arme, dem Berlusconi beispielsweise, der jetzt aussieht, als hätte er eine Halloween-Maske mit Berlusconi-Gesicht aufgesetzt - und wir sind enttäuscht. Fehlerfrei ist nur unser Fantasie-Italien, das wir aus vielen verklärten Erinnerungsstücken gebaut haben. Der Sonnenuntergang auf Capri etwa: ein Traum, nur geringfügig getrübt durch Mückenstiche und eine ruinöse Restaurantrechnung. Doch, amici, wir Herzensitaliener hatten immer eine gute Zeit mit euch. Es fällt richtig schwer, euch böse zu sein. Das ist eigentlich nicht fair.

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