Süddeutsche Zeitung

Isarvorstadt:Kapuzinerstraße: Polizisten haben zehn Schüsse abgegeben

Lesezeit: 3 min

Von Martin Bernstein

Die Schießerei am Donnerstag in der Isarvorstadt war offenbar weit dramatischer und auch gefährlicher, als zunächst bekannt wurde. Bei der Festnahme des Mannes, der mehrere Menschen mit einer Schere bedroht hatte, gaben Polizisten zehn Schüsse ab. "Drei bis fünf Schüsse" trafen nach Angaben von Kriminaloberrat Markus Kraus den Mann in Beine und Bauch. Entgegen ersten Berichten der Polizei wurde der 26-Jährige dabei doch lebensgefährlich verletzt. Er musste notoperiert werden.

Nach Auskunft von Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch ist der Verletzte inzwischen außer Lebensgefahr. Vermutlich sei jedoch eine weitere Operation nötig, weswegen der 26-Jährige sediert werde und nicht vernehmungsfähig sei. Eine Entscheidung darüber, ob ein Haftbefehl wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung oder aber die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung beantragt wird, will die Staatsanwaltschaft München I erst nach der Vernehmung des Mannes fällen.

Was den gebürtigen Münchner mit italienischem Pass dazu bewog, eine Schere einzustecken, damit vom Kaiser-Ludwig-Platz in die Kapuzinerstraße zu laufen und Passanten zu bedrohen sowie Polizisten anzugreifen, ist laut Ludwig Waldinger, Pressesprecher des Landeskriminalamts (LKA), völlig offen. Fest steht, dass der Mann in einer psychiatrisch betreuten Wohngemeinschaft auf der Schwanthalerhöhe lebte.

Es gebe Hinweise darauf, dass sich die psychische Erkrankung des jungen Mannes in letzter Zeit verschlimmert habe, sagt Steinkraus-Koch. Der arbeitslose Lackierer beging in der Vergangenheit Vermögensdelikte, Sachbeschädigungen und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Ob er am Donnerstagnachmittag unter Drogeneinfluss stand, konnte Kraus nicht sagen.

Einiges Aufsehen hatte zwischenzeitlich eine Meldung erregt, dass der 26-Jährige mehrfach Kontakte zu Mitgliedern der salafistischen Szene gehabt haben soll. Dem Staatsschutz liegen dazu aber keine Erkenntnisse vor. Laut Steinkraus-Koch hatte der Mann kürzlich bei einer Polizeikontrolle erklärt, er sei im vergangenen Jahr zum Islam konvertiert. Entsprechendes Material hätten die Ermittler auch in seiner Wohnung gefunden. Es gibt nach Angaben von Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins jedoch keine Hinweise darauf, dass die Tat religiös motiviert gewesen sei. Laut Zeugen hatte der Mann einen verwirrten Eindruck gemacht.

Was bisher über den Ablauf bekannt ist

Nach gegenwärtigem Ermittlungsstand stießen Polizisten kurz nach 14.15 Uhr auf den bewaffneten Mann, als dieser aus der Herzog-Heinrich-Straße kommend die Lindwurmstraße überquerte. Mehrere Beamte seien dem Mann zunächst zu Fuß und mit Einsatzfahrzeugen gefolgt und hätten versucht, ihn besänftigend anzusprechen und aufzuhalten. Der Verdächtige habe jedoch nicht geantwortet, sei zügig weitergelaufen und habe die Beamten mit der Küchenschere auf Abstand gehalten.

Als in der Kapuzinerstraße ein Polizist nähergekommen sei, habe der 26-Jährige diesen angegriffen. Daraufhin hätten zwei Beamte zunächst einen Warnschuss und kurz darauf zwei gezielte Schüsse auf den Mann abgegeben, die ihn aber offenbar nicht getroffen hätten. Die Ermittlungen dazu sind aber noch nicht abgeschlossen. Der Mann lief jedenfalls weiter und stach mit seiner Schere auch gegen ein Polizeifahrzeug.

Was dann am Kapuzinerplatz geschah, zeigt ein Video, das von einem Anwohner gefilmt wurde. Dort sieht man, wie mehrere Polizisten versuchen, zu Fuß und mit einem Fahrzeug den Mann einzukreisen und so sowohl von einem Bus als auch vom Eingangsbereich der nahen Agentur für Arbeit fernzuhalten. Zu erkennen ist, wie ein Polizist immer weiter zurückweicht, um dem Mann auszuweichen.

Der Angreifer stürmte nach Polizeiangaben auf den Beamten zu und hielt die Schere dabei drohend über dem Kopf. Dann hört man in sehr schneller Folge sieben Schüsse, die laut LKA-Sprecher Waldinger aus der Waffe eines einzelnen Polizisten stammen; auf dem Video kann man erkennen, wie der Angreifer zu Boden geht.

Das LKA wurde mit den Ermittlungen betraut. Das geschieht immer dann, wenn ein Mensch durch einen Schuss aus einer Polizeiwaffe verletzt wird. Zuletzt war das in München am 19. April an der Zentnerstraße der Fall. Polizisten hatten 15 Schüsse auf einen Bewaffneten abgegeben, was nur erlaubt ist, um den Täter damit "angriffs- oder fluchtunfähig zu machen".

Ein Angriff mit einer Stichwaffe, sagt Polizeisprecher Da Gloria Martins, sei sehr schwer abzuwehren, die Beamten hätten in solchen Fällen kaum Handlungsoptionen. Nach erster Einschätzung der Staatsanwaltschaft hatten die Polizisten am Donnerstag schließlich keine andere Wahl, als zur Waffe zu greifen. Warum sieben Schüsse fielen, ehe der Angreifer handlungsunfähig war, blieb zunächst offen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3001010
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.05.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.