Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Rare Pretiosen

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Die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek zeigt in "Sole survivors & rare editions" ihren einzigartigen Schatz an Inkunabeln. Die Meisterwerke der frühen Druckkunst offenbaren auch, was die Menschen im 15. Jahrhundert beschäftigte.

Von Sabine Reithmaier, Augsburg

Wenn der Mond im Wassermann steht, ist der beste Moment, um am kleinen Finger einen Aderlass vorzunehmen. So steht es jedenfalls im "Regiment wieder die Pestilenz", einem 1490 von Johann Reger gedruckten Ratgeber. Eine Schröpfung genügte nicht, um die Abwehrkräfte des Körpers gegen die Seuche ausreichend zu mobilisieren. Der Aderlass musste dreimal binnen eines Monats wiederholt werden, natürlich nur, wenn der Mond im richtigen Zeichen stand.

Das kleine Druckwerk offenbart die hilflosen Versuche der damaligen Mediziner, die Infektionskrankheit einzudämmen, die im 14. Jahrhundert in Europa mehr als 20 Millionen Tote gefordert hatte und später immer wieder, wenn auch lokal begrenzt, aufflackerte. Doch nicht um Seuchenbekämpfung geht es in der aktuellen Ausstellung der Augsburger Staats- und Stadtbibliothek. Zum ersten Mal präsentiert das Haus seine wertvollsten Werke, zusammengestellt in einer einzigen Schau. Allen voran die "sole survivors", 43 weltweit nur in Augsburg überlieferte Inkunabeln. Pretiosen der Druckkunst vor 1500, von denen oft nur wenige Exemplare, manchmal eben sogar nur ein einziges oder ein Fragment davon, überlebten. Ergänzt wird die Ausstellung im Unteren Cimeliensaal durch Stücke, die in Deutschland nur aus Augsburg bekannt sind, sowie seltene Werke aus Schwaben, Deutschland und Europa. Die breite Palette der Schau ermöglicht nicht nur einen Blick in die frühe Geschichte der Druckkunst, sondern offenbart abgesehen vom ästhetischen Genuss auch, was die Menschen dieser Zeit beschäftigte. Beispielsweise nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die ihrer Tiere, wie ein "Arzneibuch der Rosse" belegt.

Augsburg besitzt 2300 Inkunabeln

Die Bibliothek besitzt seit ihrer Gründung im Jahr 1537 eine international ausgerichtete Inkunabel-Sammlung mit mehr als 2300 Werken, allesamt entstanden kurz nach der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1450. Zu den bekanntesten Werken der Einrichtung zählt das vollständige Exemplar des "Missale speciale", das, weil mit den Typen von Gutenbergs Psalter (1457) gedruckt, lange als dessen frühestes Druckwerk galt, bis es die Forschung aufgrund der Wasserzeichen auf 1473 datierte und in Basel lokalisierte. Beeindruckend sind auch die "Freibriefe der Niederbairischen Landstände", das früheste, einzige vollständige Exemplar der ältesten gedruckten Verfassung Altbayerns aus dem Jahre 1491.

Deutlich schwerer mit dem Überleben als die gelehrten lateinischen Abhandlungen tat sich trotz der teilweise hohen Auflagen die Gebrauchsliteratur in Form von Ablassbriefen, Einblattkalendern, Aderlasstafeln, Gedichten, Reiseliteratur oder Beichtbüchlein. "Es seind vil menschen die ir beycht wenig oder gar nichts hilft", heißt es in einem Beichttraktat von 1488, dessen Autor sich anschließend bemüht, seinen Lesern zu erklären, worauf es beim Beichten ankommt.

Beliebt waren auch die Almanache. Die medizinisch-astrologischen Jahreskalender erschienen meist als Einblattdrucke, nannten neben den Terminen für Neu- und Vollmond auch die beweglichen Kirchenfeste und wussten die Tage, die sich für den Aderlass oder die Einnahme flüssiger Heilmittel eigneten. Viele der Flugschriften erschienen anonym. Doch auch Ärzte versuchten mit den volkssprachlichen Einblattausgaben, Patienten zu erreichen. Streng wissenschaftlich natürlich: Balthasar Mansfeldt (1440 - 1503), der als Stadtarzt in München wirkte und als Leibarzt Herzog Sigmund von Bayern-München (1439 - 1501) betreute, berechnet in seinem Almanach alles nach astrologischen Konstellationen.

Die meisten Inkunabeln sind mit kolorierten Holzschnitten illustriert, andere mit handgemalten Miniaturen aufwendig ausgestaltet. Prachtvoll gestaltet ist auch der Katalog, der schon allein durch seine Punzenprägung auf dem Umschlag ins Auge sticht. Und wem es nicht reicht, die Prunkstücke nur in Vitrinen zu bewundern, der hat die Möglichkeit, die Schriften über QR-Codes auch durchzublättern, sämtliche Werke wurden für die Ausstellung und den Katalog digitalisiert. So kann man sich genauer mit den empfohlenen Heilmittel gegen die Pest befassen, beispielsweise einem "Wasser" aus Zimt, Muskat und Pfeffer, das angeblich die böse Hitze aus dem Körper treibt.

Wer sich die teuren exotischen Gewürze nicht leisten konnte, musste auf Wacholderbeeren zurückgreifen und möglichst Gemütsregungen wie Zorn oder Wollust vermeiden. Und für diejenigen, die es trotzdem erwischte, hieß es schwitzen und auf keinen Fall Hühnerbrühe trinken.

Karl-Georg Pfändtner und Wolfgang Mayer (Hrsg.): Sole survivors & rare editions. Unikale, seltene und illuminierte Inkunabeln der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, bis 23. 12., geöffnet Montag bis Freitag 11 bis 16 Uhr, Unterer Cimeliensaal, Schaezlerstr. 25, 86152 Augsburg. Ein zweisprachiger Katalog ist im Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn, erschienen (Preis: 34,95 Euro).

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