Süddeutsche Zeitung

Nach der Revolution:Genossen gegen Genossen

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Nach dem Tod von Kurt Eisner schlug die historische Stunde der linken Kräfte in Bayern. Doch sie waren tief gespalten - mit dramatischen Folgen.

Von Dominik Hutter

Eines war klar für Eugen Leviné: Eine Räterepublik muss "das Ergebnis von ernsten Kämpfen des Proletariats" sein. Was da gerade in München, mit Beteiligung der Sozialdemokraten geschehe, falle nicht in diese Kategorie. Schon gegen die Regierung von Johannes Hoffmann (MSPD) grenzte sich die KPD, zu deren prominentesten Revolutionären der gebürtige Petersburger zählte, entschieden ab. Und war nicht einmal dabei, als in der Nacht auf den 7. April 1919 im heute nicht mehr existierenden Wittelsbacher Palais in der Maxvorstadt die erste Räterepublik ausgerufen wurde.

Deren Protagonisten waren Ernst Toller, der nach dem Mord an Ministerpräsident Kurt Eisner den Vorsitz der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) übernommen hatte, sowie die Anarchisten Erich Mühsam und Gustav Landauer. Auch die MSPD, die Mehrheits-Sozialdemokratie, war mit im Boot - was ein entscheidender Grund dafür war, dass sich die KPD sperrte. Erst als am 13. April mit Billigung Hoffmanns unternommener Putschversuch gegen die Räte scheiterte, stießen auch die Kommunisten dazu. Dann in maßgeblicher Rolle. Leviné zählte zu den führenden Köpfen der zweiten Räterepublik, die bis zum Einmarsch der "weißen" Truppen am 2. Mai dauerte.

Einigkeit zählt nicht zu den Stärken des linken politischen Spektrums - und so war die Szene ausgerechnet dann so zersplittert wie noch nie, als ihre historische Stunde schlug. Als "Ursünde" der Sozialdemokraten und Beginn der Spaltungstendenzen gilt ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten des Kaiserreichs, erstmals im August 1914 und dann - mit immer mehr Abweichlern - noch weitere Male während des Ersten Weltkriegs. Im April 1917 spaltete sich schließlich der linke pazifistische Flügel als USPD ab; Eisner war beim Gründungsparteitag in Gotha mit dabei. 1918 gründete sich dann auch noch die KPD, bestehend aus dem linksrevolutionäre Flügel der USPD.

Die verbliebene SPD, die MSPD, stand wegen ihrer teilweise bis ins Nationalistische reichenden Haltung und ihrer Kooperation mit der Monarchie in der Kritik. Die weiter links stehenden Kräfte gaben ihr eine Mitschuld am Ersten Weltkrieg und damit auch an dessen Folgen. Eine Zusammenarbeit zumindest mit der USPD gab es dennoch - im Kabinett Eisner war die MSPD sogar stärker vertreten als die Partei des Ministerpräsidenten. Die MSPD war sich aber auch intern uneins. So kam es, dass die bürgerlicheren Sozis nicht nur zu den Protagonisten der Räterepublik gehörten, sondern auch zu deren ärgsten Gegnern.

Die Kernfrage in der Zeit nach dem Ende der Monarchie war: Räterepublik oder parlamentarische Demokratie? Das Parlament, der Landtag in der Prannerstraße, galt vielen Linken als Organ des Establishments, da es von den klassischen Parteien mit ihren hierarchischen Strukturen bestimmt wurde. Die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte hingegen waren direkt an der Basis entstanden, in den Betrieben. Schon Eisner war zwischen den Modellen hin- und hergerissen, zu seiner Regierungszeit gab es Landtag und Räte parallel. Der USPD-Politiker war Vorsitzender des Rats und in Personalunion Ministerpräsident. Ein Mann, zwei Systeme. Das Rätesystem hatte auch in der MSPD viele Anhänger, die Parteiführung allerdings stand eher für den Parlamentarismus.

Das linke Spektrum geschwächt - das rechte am Erstarken

Eisner tat sich nicht leicht mit seinem Spagat, er saß bald zwischen allen Stühlen. Der gebürtige Berliner veröffentlichte unter lautem Protest Dokumente, die der bei der MSPD verbreiteten These vom "Verteidigungskrieg" widersprachen. Er verteidigte die Pressefreiheit gegen die Übergriffe ganz linker Kräfte und ließ Kommunisten wie Max Levien gleich mehrfach verhaften. Eine Räte-Diktatur lehnte er ab. Für den Historiker Reinhard Bauer war er den Linken zu bürgerlich, während ihn Teile der MSPD als realitätsfernen Schwärmer und Ideologen sahen. Vielen Linken schienen damals auch die etablierten Gewerkschaften wie ein Relikt aus alter Zeit.

Diese Zersplitterung war für die politische Linke ein echtes Dilemma. Plötzlich, beim Einmarsch der von Sozialdemokraten entsandten Truppen zur Niederschlagung der Räterepublik, wurden auch Sozialdemokraten aus politischen Gründen inhaftiert oder sogar ermordet. Das linke Spektrum wurde durch die Spaltung nachhaltig geschwächt und hatte so dem Erstarken der Rechten in den darauffolgenden Jahrzehnten nur wenig entgegenzusetzen. Für Teile der Bürgerschaft wiederum bedeutete das Räte-Experiment und sein bürgerkriegsähnliches Finale ein Trauma, das sich keinesfalls wiederholen durfte. Die Bauern, einst ebenfalls am Rätesystem beteiligt, hatten sich ohnehin schon früh abgewandt - ihnen missfiel das Antiklerikale, das die Münchner Revolutionäre zelebrierten.

Zur Jahreswende 1918/19 hatte sich nicht nur die KPD konstituiert. Im Fürstenfelder Hof im Hackenviertel war am 5. Januar 1919 die Deutsche Arbeiterpartei gegründet worden. Sie wurde ein Jahr später umgetauft: in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.

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SZ vom 23.03.2019
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