100 Jahre Attentat auf Kurt Eisner:Bayerns Ministerpräsident, hilflos im Amt

Johannes Hoffmann

Einstimmig wählte der Landtag Johannes Hoffmann am 17. März zum bayerischen Ministerpräsidenten.

(Foto: Sammlung Megele/SZ-Photo)

Im Frühjahr 1919 herrschen in München Aufruhr und Gewalt. Am 17. März wird Johannes Hoffmann zum Ministerpräsidenten gewählt. Doch die neue Regierung ächzt von Anfang an unter den Mammutaufgaben.

Von Hans Kratzer und Jakob Wetzel

Der neue Ministerpräsident ist gerade einen Tag im Amt, da warnt er bereits vor einem Bürgerkrieg. Am 17. März 1919, einem Montag, hatte der bayerische Landtag in seiner ersten Sitzung nach dem Mord an Kurt Eisner einstimmig Johannes Hoffmann von der Partei der Mehrheitssozialdemokraten zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Und am Tag darauf meldet sich der 51-Jährige mit einer ersten Programmrede zu Wort. Die neue Regierung werde den Freistaat schützen "gegen jede Reaktion von rechts, aber auch verteidigen gegen die drohende Anarchie von links", kündigt er an. "Entsetzlich ist der Völkerkrieg, entsetzlicher ist der Bürgerkrieg. Er muß für Bayern verhindert werden." Und das sei auch möglich - vorausgesetzt, die neue Regierung handle tatkräftig, und die Siegermächte ließen Nahrungsmittel und Rohstoffe ins Land. Die Völker der Welt müssten sich versöhnen.

Hoffmanns Blick geht nach außen: Die Friedensverhandlungen von Versailles dominieren nicht nur die Zeitungen und die Gespräche am Stammtisch, sondern auch die Antrittsrede des neuen bayerischen Ministerpräsidenten. Der drohende "Gewaltfrieden", den die Siegermächte den Deutschen aufzwingen wollten, müsse abgewendet werden, betont Hoffmann immer wieder. Nur so ließen sich auch die Konflikte im Inneren überwinden.

Denn dass Hoffmann an jenem Dienstag im Landtag sprechen kann, ja dass der bayerische Landtag überhaupt hat zusammentreten können, das ist in jenen Tagen nicht unumstritten. Es gibt einen anderen Machtfaktor im Land: den Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte. Nach dem Mord an Kurt Eisner haben die Räte vorübergehend wieder die Macht übernommen; erst am 16. März haben sie das Landtagsgebäude an der Prannerstraße geräumt, später werden sie ins Wittelsbacher Palais ziehen. Bis dahin wehte auf dem Dach des Landtags eine rote Fahne. Und mit ihrem Auszug aus dem Landtag haben die Räte keineswegs jede Kontrolle aufgegeben. Zwar gibt es nun eine Regierung und ein Kabinett, und offiziell liegen die Regierungsgeschäfte nun bei den Ministerien. Ein Großteil der täglichen Arbeit aber wird vorerst weiterhin von den Kommissaren des Räte-Kongresses erledigt.

Einig sind sich die Räte freilich auch nicht. Sollten sie eine Räterepublik ausrufen? Oder favorisierten sie doch einen Zusammentritt des Landtags? Am 1. März hatte sich der Räte-Kongress zunächst auf eine Regierung unter der Leitung des SPD-Politikers Martin Segitz verständigt; dessen Kabinett aber brachte keine Mehrheit hinter sich und scheiterte schon vor Antritt der Amtsgeschäfte. Der radikale Flügel im Rätekongress lehnte eine parlamentarische Regierung nach Weimarer Muster ohnehin ab, er wollte eine Räterepublik. Trotzdem stimmte der Kongress einer Einberufung des Landtags unter der Voraussetzung zu, dass dieser eine sozialistische Regierung wählen und dieser weitgehende Vollmachten übertragen sollte.

Die liberalen Parlamentarier hatten zuvor angekündigt, eine Minderheitsregierung aus SPD, Bauernbund und dem Wahlverlierer USPD, also der Partei Eisners, zu tolerieren, sich jedoch nicht an ihr zu beteiligen. So bekam Bayern "eine sozialistische Koalitionsregierung unter Ausschluss der bürgerlichen Parteivertreter", wie es der Historiker Diethard Hennig formuliert hat.

Für das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten kam in dieser schwierigen Konstellation nur der bisherige Kultusminister Johannes Hoffmann infrage. Er zählte zum linken Flügel der SPD, galt aber auch als strikter Verfechter des Parlamentarismus. Hoffmann war Protestant und stammte aus der Pfalz. Er hatte sich im Kabinett Eisner durch eine entschlossene Kirchenpolitik hervorgetan; unter anderem hatte er der Kirche die Oberaufsicht über die Schulen entzogen. Der Münchner Erzbischof Michael Faulhaber klagte damals in einem Hirtenbrief, der Erlass Hoffmanns wiege vor Gott schlimmer als der Kindermord des Herodes.

Hoffmanns Kabinett gehörten fünf Mehrheitssozialdemokraten, zwei Unabhängige, ein Bauernbündler und ein Parteiloser an. Doch an der neuen Regierung zerrten nicht nur Anarchisten und Kommunisten, sondern auch Wirtschaftskrise, Wohnungsnot und Nahrungsmittelknappheit. Schon bei der ersten Ministerratssitzung am 19. März ächzte sie unter der Bürde ihrer Mammutaufgaben. Ihr unter dem Druck des Zentralrats begonnenes Sozialisierungsprogramm brachte keine rasche Besserung. "Deshalb stand die Regierung bald den auf Bildung einer Räterepublik hindrängenden Radikalen ebenso hilflos gegenüber wie seinerzeit die königliche Regierung den Putschisten vom 7. November", brachte der Historiker Ludwig Hümmert die Situation einst auf den Punkt.

100 Jahre Attentat auf Kurt Eisner: "Wir nehmen alles an": Die Karikatur im Simplicissimus zeigt die Hilflosigkeit des Parlaments im März 1919.

"Wir nehmen alles an": Die Karikatur im Simplicissimus zeigt die Hilflosigkeit des Parlaments im März 1919.

(Foto: Monacensia)

Dabei hatte Hoffmanns Regierung eigentlich große Spielräume. Am Tag nach der Wahl Hoffmanns hatte der Landtag ein Ermächtigungsgesetz verabschiedet, das dem Kabinett umfassende Vollmachten erteilte. Wozu er diese zu nutzen gedachte, sagte Hoffmann in seiner Rede: für ein Programm "des Friedens und der Freiheit", "der sozialen Fürsorge und des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach neuen Grundsätzen". Der Kapitalismus der Vorkriegszeit sei nun "für alle Zukunft unmöglich geworden", sagte Hoffmann vor dem Parlament. "Die Gemeinwirtschaft, die sozialistische Wirtschaft, wird gewaltige Gebiete der Volkswirtschaft, insbesondere den Bergbau und die Kraftquellen des Landes, sich erobern." Die Regierung wolle Häuser bauen, die Wohnungsnot beseitigen und die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Und sie wolle Bayern zwar nicht vom Reich abspalten, aber doch "im Rahmen und als Glied des Ganzen die Möglichkeit eines staatlichen Eigenlebens" einfordern.

Hoffmann erklärte im Landtagsgebäude auch, er wolle die Konkurrenz, also die Räte, auf eine legale Grundlage stellen: Es sei nun Aufgabe des Landtags, "durch ein besonderes Gesetz die Räte zu fruchtbarer Mitarbeit am öffentlichen Leben heranzuziehen", sagt er. Doch die regierende SPD agierte selbst widersprüchlich. Manch einer erweckte den Eindruck, als sei er gleichzeitig für und gegen eine Räterepublik. Der März 1919 zeigt sich als eine Zeit voller Gegensätze. So ist es kein Wunder, dass die Protagonisten dieses Kapitels der bayerischen Geschichte weitgehend vergessen sind, vor allem viele Kräfte der politischen Mitte von SPD, BVP und DDP, die bei den Landtagswahlen im Januar 1919 als Befürworter der parlamentarischen Demokratie immerhin mehr als 80 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigten.

Und so kommt es auch, dass sich Hoffmanns Regierung nur wenige Wochen in München halten kann. Schon am 7. April werden die Räte sie vertreiben. Johannes Hoffmann und ein großer Teil seines Kabinetts werden nach Bamberg fliehen. Und sie werden von dort aus jenen Bürgerkrieg gegen die Räte in München in Gang setzen, vor dem der Ministerpräsident noch am Tag nach seiner Wahl im Landtagsgebäude gewarnt hatte.

Die nächste Folge erscheint am 23. März.

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