Süddeutsche Zeitung

Kirche international:Unterwegs mit Münchens finnischem Pfarrer

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Die eigene Muttersprache vermittelt Menschen in der Fremde oft ein Gefühl von Zuhause. Pfarrer Matti Nikkanen predigt in München deswegen auch auf Finnisch. Doch er will mehr als das.

Von Kathrin Aldenhoff

Es ist vermutlich eher selten, dass ein Pfarrer seine Kirche nicht auf Anhieb findet. Matti Nikkanen ist aber kein Vorwurf zu machen, an diesem Sonntag im April kommt er zum ersten Mal in die Kirche St. Johannes in Gilching. Für eine Stunde, für einen Taufgottesdienst, ist sie nun seine Kirche. Seinen Talar trägt er im Rucksack mit sich, sein Beffchen auch - diese zwei weißen Stoffstreifen, die ein evangelischer Pfarrer auf der Brust trägt - und seine finnische Bibel.

Matti Nikkanen ist ständig unterwegs. In seinem weißen VW Beetle fährt er von München nach Nürnberg, nach Stuttgart und Ulm, Konstanz und Augsburg. Matti Nikkanen ist 39 Jahre alt und der Pfarrer aller evangelischen Finnen in Süddeutschland. Fast 70 Prozent der 2600 finnischen Staatsbürger in Bayern gehören der evangelischen Landeskirche an.

Seit 40 Jahren gibt es eine finnische Pfarrstelle in München, die Gemeindemitglieder zahlen in Deutschland Kirchensteuer. Die Münchner Gemeinde hat keine eigene Kirche, sie nutzt die Räume der evangelischen Dankeskirche in Milbertshofen. Nikkanen hält seinen Gottesdienst überall dort, wo er gebraucht wird, in Bayern oder Baden-Württemberg.

An diesem Aprilsonntag in Gilching - Nikkanen ist in der Kirche angekommen, hat seinen Talar angezogen und die Bibel bereitgelegt - feiert eine deutsch-finnische Familie die Taufe ihrer Tochter. Die kleine Aada ist ein Jahr alt und tapst an den Händen ihrer Mutter Suvi Seitola vergnügt vor dem Altar auf und ab, während Pfarrer Nikkanen abwechselnd auf Finnisch und Deutsch spricht. "Die finnische Sprache ist gar nicht so schwer", sagt er zu Beginn des Gottesdienstes. "Man liest ein Wort wie man es schreibt."

Gut zu wissen, denn beim ersten Lied auf dem Gesangsblatt wechselt die Sprache jede Strophe. Die Großväter lesen aus der Bibel, der eine auf Deutsch, der andere auf Finnisch. Aada sitzt auf dem Arm ihres Vaters und verzieht keine Miene, als der Pfarrer ihr drei Mal Wasser über die Stirn gießt. Ihre große Schwester Selma darf die Haare danach mit einem weißen Tuch trocken reiben. Dann das Vaterunser, "ein jeder in seiner Sprache", wie der Pfarrer sagt.

Suvi Seitola ist der Liebe wegen nach Deutschland gezogen. Sven kam als Erasmusstudent nach Helsinki, sie war seine Tutorin an der Uni. Heute sind die beiden verheiratet, haben zwei Töchter. Sie leben seit acht Jahren in Deutschland, an der Haustür steht Seitola - Suvis Familienname, ihr Mann hat ihn angenommen. Suvi Seitola war es wichtig, dass bei der Taufe ihrer Tochter auch ihre Muttersprache gesprochen wird. "Für mich schafft das eine Verbindung zwischen meinem Land und unserem Wohnort", sagt sie. Ihre Töchter wachsen zweisprachig auf. Stolz erzählt die deutsche Großmutter, dass ihre Enkelin flink die Sprache wechselt, je nachdem, mit wem sie gerade spricht.

Die Seitolas sind eine europäische Familie, so wie es viele in München gibt. Spanier leben hier, Italiener, Polen und Ungarn, Schweden und Litauer, Slowenen und Griechen. Und sie alle leben und lieben nicht nur hier, sie beten auch hier. In München gibt es Gottesdienste auf Englisch und Französisch, auf Kroatisch, Portugiesisch und Rumänisch. "Mein München ist europäisch", sagt Suvi Seitola.

Das von Matti Nikkanen auch. Seit September 2013 ist er der finnische Pfarrer in Süddeutschland. Und wenn es nach ihm ginge, dann wäre die Evangelische Kirche viel europäischer, viel internationaler. Kulturen und Menschen miteinander zu verbinden, das ist ihm ein großes Anliegen. Ja, er bringt den deutschen Finnen im Gespräch und im Gottesdienst schon allein mit der Muttersprache ein Stück Heimat. Aber er findet, eine Gemeinde sollte kein Heimatverein sein.

Drei Gruppen gebe es in seiner Gemeinde, sagt er: die Gründergeneration, meist Frauen, die ihren deutschen Mann in Finnland kennengelernt haben. Finnisch zu sein, das bedeutet ihnen viel. Dann die zweite Generation, Deutsche mit finnischen Wurzeln. "Sie sprechen die Sprache nicht, pflegen aber eine Finnland-Romantik." Die dritte Gruppe sind die jungen, sehr gut ausgebildeten Finnen, die oft für internationale Gesellschaften arbeiten und nur ein paar Jahre in München bleiben. "Meine Aufgabe ist es, diese Gruppen zusammenzubringen."

Nikkanen hat eine Sechs-Tage-Woche, damit hat er sich abgefunden

Und nicht nur das: Matti Nikkanen muss darüber entscheiden, ob die Ehe, die zwei Menschen eingehen wollen, wirklich eine Liebesheirat ist. Er hat schon Urkunden beglaubigt, Studenten einer Fernuni das Examen abgenommen und einen finnischen Staatsbürger, der sich strafbar gemacht hatte, im Auftrag eines deutschen Gerichtes an die Landesgrenze gebracht. Nikkanen hat eine Sechs-Tage-Woche, damit hat er sich abgefunden. Aber irgendwann wurde es ihm zu viel: Er hat dann beim finnischen Konsulat in Berlin angerufen und gesagt, dass das doch nicht sein könne, dass ein Pfarrer so etwas machen müsse.

So etwas wie dieser Taufgottesdienst in Gilching, das ist es, was ihm wichtig ist: die Seelsorge. Im Gemeindeleben präsent zu sein. Nach dem Gottesdienst feiert Familie Seitola zu Hause weiter. Die deutsche Oma hat die Tafel im Wohnzimmer dekoriert, die finnische Oma Kuchen gebacken. Matti Nikkanen sitzt neben Aadas Tante auf einer Bierbank, es gibt gegrillte Maiskolben und Spareribs. Keine finnische Spezialität, sondern vom mexikanischen Restaurant um die Ecke.

Bevor Matti Nikkanen die Feier verlässt, zieht er ein kleines Paar Wollsocken aus der Tasche seines Anzugs. Eine Dame aus der Gemeinde habe sie gestrickt, erzählt er. Ein Taufgeschenk für Aada. Dann steigt der finnische Pfarrer wieder in sein deutsches Auto, schaltet das Navi ein und fährt nach Hause. Zu seiner Familie, die gerade aus Finnland zu Besuch ist.

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SZ vom 02.05.2019
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