Süddeutsche Zeitung

SZ-Kulturpreis Tassilo:Raus aus dem Elfenbeinturm

Lesezeit: 4 min

Die Olchinger Künstler tauschen immer häufiger klassische Ausstellungsräume gegen Plätze in der Öffentlichkeit. Ziel ist es, möglichst viele Menschen zu erreichen. Für sein Konzept ist der Verein nun für den Tassilopreis nominiert.

Von Florian J. Haamann, Olching

Kunst gehört in die Öffentlichkeit, nicht nur in Museen oder Galerien. Nur so erreicht sie alle Menschen, kann sie zum Diskurs und zum Nachdenken anregen und so langsam, aber stetig, ein generelles Interesse auch bei denen wecken, die sich bis dahin nicht mit Kunst beschäftigt haben. Sprich, nur wenn sie ihren intellektuell-elitären Habitus ablegt, kann sie ihre ganze Wirkung entfalten und vielleicht wirklich etwas bewegen.

Dieser Meinung ist ist jedenfalls der 66-jährige Niclas Willam-Singer. Seit vier Jahren ist der ehemalige evangelische Pfarrer der zweite Vorsitzende der Olchinger Künstler und damit für die künstlerische Leitung des Vereins zuständig. Mit unermüdlichen Einsatz versucht er seitdem, seine Vorstellung von guter Kunst umzusetzen, gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Vereins. Für dieses Engagement sind Willam-Singer und die Olchinger Künstler nun für den Tassilo Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung nominiert.

Wie kein anderer Kunstverein im Landkreis sind die Olchinger in den vergangenen Jahren in die Öffentlich gegangen und haben ihre traditionellen Veranstaltungsräume im Kulturzentrum am Olchinger Mühlbach und der Sparkasse in Fürstenfeldbruck verlassen. Ihre Arbeiten sind seitdem in Kirchen ebenso zu sehen wie bei einer Land-Art-Aktion, bei offenen Werktagen und seit Anfang 2022 in einer kulturellen Zwischennutzung in einem leeren Laden in Fürstenfeldbruck.

"Als vor vier Jahren die Wahl anstand, war mir klar, dass etwas passieren muss oder wir veraltern und sterben aus. Ich habe gesagt, wir müssen wieder Power rein bringen", erzählt Willam-Singer. Also hat er sich auf die Fahne geschrieben, dafür zu sorgen, dass der Verein wieder präsenter wird. Die Vorstandswahl kam passend zu seinem Ruhestand, also hat er sich aufstellen lassen.

Zur Ausstellung in der evangelischen Kirche bekommen die Künstler Dutzende E-Mails

Zweimal hat die Gruppe seitdem in der evangelischen Erlöserkirche ausgestellt, einmal zum Thema Krippen, einmal zu Engeln. Und das ganz frei von Kitsch und Klischee oder christlichen Vorstellungen. Sondern ganz offen, alle Künstlerinnen und Künstler konnten umsetzen, was sie bei diesen Themen beschäftigt und inspiriert hat. Und so schwebte beispielsweise Ende 2022 über Monate ein grüner Alien-Engel direkt über den Kirchenbänken.

"Es war erstaunlich, wir haben zu dieser Ausstellung Dutzende E-Mails bekommen. Von Menschen die begeistert waren, dass man so etwas in der Kirche machen darf, obwohl sicher nicht alles systemkonform war. Aber das darf Kunst auch nicht sein, sonst sind wir in der DDR. Kunst muss provozieren", sagt Willam-Singer.

Natürlich habe es auch Leute gegeben, die der Meinung waren, so etwas sei nicht passend für eine Kirche. "Ich habe dann mit ihnen diskutiert und gefragt, warum nicht? Und meistens habe ich irgendwann als Antwort bekommen: Eigentlich haben Sie recht".

Es gebe noch so viele Orte, an denen er gerne Kunst zeigen würde, aktuell etwa steht ein großes ehemaliges Modehaus in der Fürstenfeldbrucker Innenstadt leer. "Ein Kunsthaus ist natürlich nett, aber wer geht da schon bewusst hin. Meistens doch die immer gleichen Leute. Wenn die Menschen direkt an der Kunst vorbei kommen, ist das doch etwas ganz anderes." Er hoffe, deshalb bald noch viel mehr in diese Richtung anschieben zu können.

So wie im vergangenen Mai, als die Gruppe einen beliebten Spazierrundweg entlang des Olchinger Mühlbachs mit einem Land-Art-Projekt gestaltete. Dutzende Kunstwerke aus Naturmaterialien fertigten die Künstlerinnen und Künstler teilweise vor Ort an und hängten sie an Bäumen und Ästen gut sichtbar auf. Präsent waren die Mitglieder auch bei mehreren von ihnen organisierten Werkwochen in Fürstenfeldbruck und am Bauernhofmuseum Jexhof.

Gäste und Spaziergänger konnten den Künstlerinnen und Künstler dort direkt im wahrsten Sinne des Wortes bei der Arbeit über die Schulter schauen - und vor allem mit ihnen in Kontakt kommen. "Das war der absolute Renner. Da sind Menschen mit Kunstschaffenden ins Gespräch gekommen, die sonst nie in eine Ausstellung gehen würden. Eine unserer Künstlerinnen hat die Leute auch gleich mitmachen lassen. Da entstehen Dialoge und die Menschen schauen danach vielleicht ganz anders auf Kunst".

Ein Herzensprojekt ist für Willam-Singer die Arbeit mit Menschen in einem Seniorenheim

Ein persönliches Herzensprojekt war für Willam-Singer die Arbeit in einem Seniorenheim im vergangenen Herbst. "Da ging es um soziale Beschäftigung für die alten Menschen, die teilweise schwer dement waren. Wenn ihre Enkel kommen und der Opa kann sagen, schau, das habe ich gemalt, dann entstehen ganz besondere Momente", sagt er. "Künstler dürfen sich nicht immer in ihren Elfenbeinturm zurückziehen. Ich bin und bleibe da einfach ein Alt-Achtundsechziger mit pädagogischem Ansatz". Geht es nach dem Künstler, wird er das Projekt künftig mehrmals wiederholen.

Wenn jemand so wie William-Singer die gewachsenen Strukturen eines Vereins so radikal und schnell auf den Kopf stellt, muss er natürlich immer mit einem gewissen Gegenwind rechnen. "Manche waren anfangs verschnupft, aber ich würde sagen, etwa drei Viertel waren super begeistert. Manche haben erst gesagt, eine Ausstellung in einer Kirche, das können sie sich nicht vorstellen. Dann haben sie doch mitgemacht und ihre Meinung geändert".

Aktuell versucht William-Singer schon wieder, Begeisterung für eine grundlegende Veränderung zu wecken. Das alte Logo des Vereins soll modernisiert werden und der altbacken klinge offizielle Name "Olchinger Künstler im Förderverein Kultur Olching e.V." in "Olchinger Künstler" geändert werden. "Da prallen alte und neue Gegensätze aufeinander und es wird heiß diskutiert" verrät Willam-Singer.

Für immer will er die Aufgabe als zweiter Vorsitzender nicht weitermachen. Einmal werde er sich noch zur Wiederwahl stellen, dann soll Schluss sein. "Danach bin ich 72. Es darf nicht passieren, dass ich irgendwann mit dem Rollator da unterwegs bin. Mein Ziel ist es, bis dahin einen Nachfolger aufgebaut zu haben. Das wäre eine der Aufgaben für die nächste Periode."

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