Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Scharfe Kritik am Umgang mit Kriegsflüchtlingen

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Das Landratsamt räumt kurzfristig die Unterkunft in Olching, um dort andere Schutzsuchende unterzubringen. Stadt und Helferkreis werden nicht informiert. Derweil sollen in Mammendorf und Maisach Zelte aufgebaut werden.

Von Andreas Ostermeier, Olching

Bei den Asylhelfern und der Stadtverwaltung Olching gibt es großen Unmut über das Landratsamt. Die Brucker Behörde hat in den ersten Tagen des neuen Jahres den Flüchtlingen in der Unterkunft in der Hermann-Böcker-Straße angekündigt, dass sie binnen einer Woche umziehen müssten. Stadt und Helferkreis wurden nicht informiert. Engagierte Helfer aus Olching zeigten sich entsetzt. Kurz vor dem Dreikönigstag, also inmitten der Vorbereitungen auf das orthodoxe Weihnachtsfest, seien die Ukrainerinnen und Ukrainer über ein für sie so einschneidendes Vorhaben informiert worden, hieß es. Ines Roellecke, Sprecherin des Landratsamts, räumte am Dienstag ein, die Kommunikation sei in diesem Fall schlecht gewesen.

Die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine hatten am Dienstag die Unterkunft bereits verlassen, verabschieden konnte sich niemand von ihnen. Unter denen, die in andere Unterkünfte oder Wohnungen im Landkreis umziehen mussten, befinden sich Familien, deren Kinder nun ihre Freunde in Kindergarten und Schule verloren haben. Sie müssen in andere Schulen und Kitas gehen, müssen andere Spielkameraden finden. Auch alte Leute sind dabei, die sich wieder in neuer Umgebung zurechtfinden müssen. Der eine oder andere leidet auch an schweren Krankheiten, jetzt muss er neuen Betreuerinnen und Betreuern davon erzählen und um Hilfe nachsuchen.

Traumatisierte Menschen

Alfred Münch, ehemaliger SPD-Kreis- und Stadtrat aus Olching und in der Flüchtlingsarbeit engagiert, kritisiert das Vorgehen des Landratsamts scharf. Die Aktion sei "klamm und heimlich begonnen worden", ohne jede Information an den Helferkreis und die Stadtverwaltung in Olching. Den Familien, die nicht ausziehen wollten, sei mit der Polizei gedroht worden, schrieb Münch an Landrat Thomas Karmasin (CSU). "Da werden Familien zerrissen, da werden Menschen, die etwas Ruhe und den einen oder anderen Kontakt gefunden haben, aus allem rausgerissen und in neue Umgebungen verfrachtet." Die Aktion schaffe keinen einzigen Quadratmeter an weiterer Wohnfläche für Geflüchtete, bemängelt Münch. Es werde lediglich ein "mentales und organisatorisches Chaos" produziert, und durch die Kriegsgeschehnisse traumatisierte Menschen würden einmal mehr durch Behördenhandeln tief verunsichert.

Vor den Kopf gestoßen fühlen sich laut Münch aber auch die Helferinnen und Helfer. Die fragten sich angesichts des Vorgehens des Landratsamts, was die eigene Arbeit wert ist. Schließlich kümmern sich die Ehrenamtlichen nicht nur um Formalien und Dinge des Alltags, sondern es entstehen durch den Kontakt auch viele persönliche Bindungen, die nun einfach gekappt worden sind. Einige hätten auch angekündigt, ihr Engagement zu beenden, sagte Münch. Den Umgang mit allen Beteiligten bezeichnet er als "inhuman und zynisch".

Fehler der Behörde

Karmasin räumte in seiner Antwort an Münch Fehler der Behörde ein. Die zuständige Abteilung kommuniziere nicht immer perfekt, schrieb der Landrat. Das bedauere er und wolle es abstellen. Allerdings müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem "Druck der Ereignisse" zurechtkommen. Eine Rücksichtnahme auf soziale Kontakte bezeichnete Karmasin angesichts der schieren Platznot als nicht immer möglich. "Vorrang hat, den zuströmenden Menschen Obdach zu geben", schrieb der Landrat.

Das Landratsamt begründet die Räumung der Olchinger Unterkunft mit der Ankunft neuer Flüchtlinge aus der Ukraine. Die sollen am Mittwoch in Maisach eintreffen. Dort, in der Emmy-Noether-Straße, ist ein Ankunftszentrum eingerichtet worden. Allerdings wäre in diesem Zentrum kein Platz mehr für die Ankommenden frei, weil dort noch Bewohner untergebracht waren. Deshalb wurden die in Maisach untergebrachten Flüchtlinge nach Olching gebracht. Das Landratsamt möchte sie gemeinsam in einer Einrichtung einquartieren, allein schon aus Gründen der sprachlichen Verständigung. Wie Roellecke sagte, sprechen diese Flüchtlinge meist nur Ungarisch. Dolmetscherdienste an verschiedenen Wohnorten könnten aber nicht geleistet werden.

Dagegen sind die Bewohner aus Olching nun meist dezentral untergebracht worden, das heißt, sie leben oftmals in Wohnungen im Landkreis. Dadurch hätten sich viele Betroffene verbessert, was ihren Wohnstandard angeht, sagte Roellecke.

Am Mittwoch werden 50 Kriegsflüchtlinge aus dem Westteil der Ukraine erwartet. Sie kommen erst in der Aufnahme-Einrichtung in Maisach unter, werden dann aber wohl auch umziehen müssen, denn es werden weitere Flüchtlinge kommen. Der Landkreis stellt deshalb zwei große Zelte auf, eines in Mammendorf und eines in Maisach, in unmittelbarer Nähe zur Aufnahme-Einrichtung. In jedem der beiden Zelte können bis zu 80 Personen Platz finden. Landrat Karmasin hat die Errichtung von Zelten bereits vor einiger Zeit angekündigt. Zur Unterbringung von Flüchtlingen Turnhallen zu requirieren, wie das in den Jahren 2015 und 2016 der Fall gewesen ist, lehnt der Landrat ab.

Voraussichtlich bis 16. Januar soll das Zelt in Mammendorf bezugsfertig sein. Die provisorische Unterkunft wird auf dem Wohnmobilstellplatz bei der Freizeitanlage errichtet. Die Fläche gehört dem Landkreis, ist also für ihn ohne langes Verfahren nutzbar. Kritik, der Standort sei nicht optimal, weist Roellecke zurück. Auf das Gelände kämen mehrere Container, in denen die Flüchtlinge kochen und sich waschen könnten. Zudem habe die Behörde keine große Auswahl, sagte sie, es gehe darum, die Not zu lindern und Unterkünfte für eine steigende Zahl von Flüchtlingen zu schaffen. Momentan leben etwa 2000 Flüchtlinge in den Unterkünften des Landkreises, weitere knapp 1000 Flüchtlinge sind am Fliegerhorst untergebracht. Die Einrichtung dort untersteht der Regierung von Oberbayern.

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