Süddeutsche Zeitung

Fehlende Kita-Plätze:Fehlender Kindergartenplatz wird für junge Familie zum Problem

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Weil ihre Tochter keine Betreuung bekommt und die Elternzeit ausläuft, muss eine Fürstenfeldbruckerin ein Jahr unbezahlten Urlaub nehmen. Auch in anderen Kommunen gibt es nicht genug Personal.

Von Noah May, Fürstenfeldbruck

Melanie B. hat ein Problem. Die dreifache Mutter ist im Verkauf berufstätig, wie sie erzählt, hat einen Partner. Ihre jüngste Tochter gerade drei Jahre alt geworden. Was eigentlich Grund zur Freude wäre, bereitet der Familie nun große Sorgen. Denn die Elternzeit der 38-Jährigen, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist damit beendet und ihr Kind bereit für den Kindergarten. Doch der Stichtag für die Kindergartenplätze ist der 30. September und nicht der 4. Oktober, der Geburtstag ihrer Tochter.

Deswegen habe ihr Kind keinen Betreuungsplatz erhalten, nun muss sie die Betreuung selbst übernehmen, ein weiteres Jahr zuhause bleiben. Das bedeutet ein Jahr unbezahlten Urlaub und Kosten wie die Krankenversicherungsbeiträge stemmen. Über 200 Euro seien das zusätzlich im Monat, mit dem wegfallenden Gehalt eine kaum zu bewältigende finanzielle Belastung. Nun ist die 38-Jährige auf der Suche nach Hilfe. "Vielleicht bekomme ich ja irgendwo eine Unterstützung" hofft sie. Von der Stadt und dem Landratsamt habe sie diese nicht erhalten, sogar an einen Radiosender habe sie sich schon gewandt. Sie habe ein Amt nach dem anderen aufgesucht, doch es war nichts zu machen. Es gebe schlicht keinen freien Platz mehr, hieß es. Ihr sei es wichtig, "dass den Eltern geholfen wird, die in der Situation sind, ohne etwas dafür zu können". So wie sie selbst.

Denn eigentlich ist es eine klare Sache: Das Gesetz sieht in Deutschland einen Rechtsanspruch für die Betreuung unter Dreijähriger und einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem dritten Lebensjahr vor, so kann man es auf der Webseite der Bundesregierung lesen. Die Stadt ist demnach verpflichtet, einen Betreuungsplatz für die Tochter von Melanie B. bereitzustellen. Doch die Gesetzeslage ist das eine - die Realität das andere. Nach Angaben des deutschen Kitaverbandes fehlen momentan 6 500 Fachkräfte - allein in Bayern. Hier geraten Gesetz und Praxis in eine Umsetzbarkeitskonfrontation. Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, kurz StMAS, schätzt, dass sich die unbesetzten Stellen innerhalb der nächsten drei Jahren nahezu verdreifachen und bis 2030, also in weniger als acht Jahren, 45 600 Fachkräfte fehlen werden. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente, die Geburtenschwachen müssen das immer breiter werdende Sozialsystem schultern. Und der Bedarf an Betreuungsplätzen steigt immer weiter an, dabei ächzt das Personal jetzt schon unter der Last. Es gab zwar gerade in der Pandemie oft warme Worte, aber davon können die wenigsten ihre Wohnung heizen: Die knappe Bezahlung und der kräftezehrende Arbeitsaufwand bringen gut ausgebildete Kräfte dazu, das Handtuch zu werfen und junge Menschen dazu, eine Ausbildung erst gar nicht zu beginnen. Das Problem ist längst auch im Landkreis angekommen.

In Puchheim will man Fachkräfte mit Stipendien und einem Treueprogramm locken

Melanie B. wohnt in Fürstenfeldbruck, dort meldete sie ihr Kind für den Kindergarten an. Doch bereits im Juni dieses Jahres befanden sich 281 Kinder auf Wartelisten für einen Krippen- oder Kindergartenplatz, da 16 Stellen bei städtischen und freien Trägern unbesetzt waren. Um dem entgegenzuwirken, wird beim Gehalt angesetzt, etwa mit der Zahlung der Großraumzulage München.

Auch in den Krippen und Kindergärten Puchheims sind zehn Stellen unbesetzt, das führt dazu, dass 19 Kinder auf einen Krippenplatz warten und 38 auf einen Kindergartenplatz. Das macht insgesamt 57 Kinder, deren Betreuung nun von den Eltern übernommen oder organisiert wird. Wenn die Stellen besetzt wären, könnten alle diese Kinder betreut und zusätzlich noch 26 Plätze vergeben werden. Doch immerhin werden in Puchheim 1 378 Kinder betreut, das seien doppelt so viele Plätze wie noch vor zehn Jahren, heißt es von der Stadt. Hinzu komme, dass 75 Prozent der Grundschulkinder am Nachmittag betreut würden. Bauchschmerzen bereite der beschlossene Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung für Grundschulkinder, der ab 2026 schrittweise eingeführt wird. Wie nicht nur Ökonomen wissen: Eine wachsende Nachfrage und eine sich verschärfende Angebotsknappheit vertragen sich nicht gut. Daher wurden in Puchheim zwei Maßnahmen getroffen, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. Einerseits wird ebenfalls die Großraumzulage München an das Personal ausgezahlt, wobei die Stadt sich den Betrag mit den Trägern der jeweiligen Einrichtungen teilt. Andererseits wurde der sogenannte Puchheimer Qualitätsfond eingerichtet, der ein Budget für Personalmittel, Stipendien und Treueprämien vorsieht.

Ähnlich sieht es in Olching aus, es gibt es zwar keine Kinder auf Wartelisten und es konnten in den Olchinger Einrichtungen sogar Kinder aus Nachbargemeinden, etwa aus Gröbenzell, aufgenommen werden, trotzdem befinde man sich "in einem Prozess, der nie endet", wie es ein Sprecher für Bildung und Soziales formuliert. Es seien kontinuierlich drei bis vier Stellen unbesetzt, immer wieder sprängen Bewerber kurzfristig ab oder jemand kündigt. Um die sich immer wieder auftuenden Personallöcher langfristig zu schließen, erhalten auch die Angestellten in Olching die Großraumzulage, zudem setze man auf die Weiterbildung von beispielsweise Küchenpersonal, das als Hilfskraft zum Einsatz kommen soll. Bei einer Fachkraftquote von einem Drittel, habe allerdings die Qualität zu leiden. "Über uns rollt als Gesamtgesellschaft der demographische Wandel" stellt der Sprecher fest, mit Blick auf den geplanten Rechtsanspruch auf die Grundschulganztagesbetreuung 2026 sagt er: "Das kriegen wir so nicht hin."

In Germering können mehr als 200 Plätze nicht vergeben werden

Auch in Germering legen Zahlen aus dem Mai die Auswirkungen des Personalmangels offen: 147 Kinder befanden sich auf einer Warteliste für einen Kindergartenplatz, insgesamt 221 Plätze konnten aufgrund fehlenden Personals nicht angeboten werden. Neben Werbemaßnahmen setzt die Stadt ebenfalls auf die Zahlung der Großraumzulage sowie auf eine Arbeitsmarktzulage und die Finanzierung von Dienstwohnungen. Zudem wolle man möglichst viele Fachkräfte ausbilden, doch die fünfjährige Ausbildung dauere zu lange. Daher sei der 2016 in Bayern eingeführte Modellversuch einer Erzieherausbildung mit optimierter Praxisphase, kurz OptiPrax, eine gute Alternative. Dabei ist eine Ausbildungszeit von nur drei Jahren vorgesehen und das Modell soll einen breiteren Einstieg in den Beruf ermöglichen, für Quereinsteiger und Männer insbesondere. "Jetzt ist der Zeitpunkt für große Politik", sagt der Leiter des Amts für Familie und Soziales.

Auch das Landratsamt sieht die Situation kritisch, denn "die Personalsituation in den Kindertagesstätten wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen." Grund für den steigenden Betreuungsbedarf seien der Zuzug junger Familien, die hohe Fluktuation in den Einrichtungen aufgrund der starken Arbeitsbelastungen, vor allem durch große Gruppen und herausfordernde Kinder, sowie die Ausweitung des Rechtsanspruchs ab 2026, heißt es aus dem Büro des Landrats. Zudem hat eine Abfrage der Kommunen im Mai dieses Jahres ergeben, dass 572 Kindergarten- und Krippenplätze im Landkreis aufgrund fehlenden Personals nicht vergeben werden konnten. Insgesamt werden 9 300 Kinder in den 157 Einrichtungen im Landkreis betreut.

Berufstätige Eltern, deren Kind keinen Betreuungsplatz erhalten hat, könnten sich an den öffentlichen Jugendhilfeträger wenden. Aber für Eltern, die in der Situation von Melanie B. sind "sieht das Jugendhilferecht keine finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für eine ausgefallene Erwerbstätigkeit vor", denn das Jugendhilferecht sei auf eine frühzeitige pädagogische Betreuung für jedes Kind und nicht auf die Ermöglichung der Berufstätigkeit der Eltern ausgelegt, heißt es aus dem Landratsamt. Grundsätzlich spielt neben der sozialen Situation auch die Berufstätigkeit der Eltern eine Rolle bei der Platzvergabe, wird von den Kommunen also nicht völlig außer Acht gelassen. Die Lage von Melanie B. ist zwar mehr Ausnahme als Regel, doch das Problem wird immer dringlicher.

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