Süddeutsche Zeitung

Umstrittene Cover-Version:"Zum Teufel, ich habe das doch nur gemacht, weil ich das Geld brauchte"

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Im Schutz der Anonymität haben bekannte bayerische Künstler eine Benefiz-Platte eingespielt. Doch auf der covern sie einen Song der umstrittenen Rockband "Frei.Wild".

Von Michael Zirnstein

Niemand kann behaupten, er habe von nichts gewusst. Alle Musiker kannten Frei.Wild oder deren Ruf. Spätestens seit dem "Echo"-Skandal 2013, als Die Ärzte, Kraftklub und andere Nominierte den Preis ablehnten, den sich auch die Südtiroler Rechtsrocker unters Hirschgeweih stellen würden, galt im Lager der "guten" Pop-Menschen: Mit Frei.Wild teilt man sich keine Bühne. Aber eine Schallplatte? Was macht, wer - wie ein gutes Dutzend anderer Kollegen - von einem Freund gebeten wird, diesen einen "harmlosen" Frei.Wild-Song nachzuspielen für Künstler in Corona-Not?

"Ich hatte Magenschmerzen, als Otto Schwab mir das Projekt vorstellte", sagt Monica Meggendorfer. Doch sie steht heute zu dem, was sie da getan hat. Damit gehört sie zu den wenigen Ausnahmen im Kreis der allesamt unter Pseudonym agierenden Künstler auf dieser Benefizplatte. Meggendorfer hat gleich zwei von insgesamt neunzehn Varianten des Stückes "Weil du mich nur verarscht hast" eingespielt. Einmal als Jazz-Chanson auf Deutsch, einmal auf Englisch.

Als die Sängerin, Komponistin und Gesangslehrerin sich bei den Kollegen umhörte, merkte sie: "Alle haben die selben Vorbehalte. Ich habe auch zuerst gesagt: Nein, Otto, das mache ich nicht." Sie schlug vor, alle Künstler sollten doch besser eigene Stücke auf den Charity-Sampler packen. "Aber ihr habt eben keinen solchen Mega-Hit wie Frei.Wild, und wir wollen ja viel Geld zusammenbekommen", habe er geantwortet. Otto Schwab hat Überzeugungsarbeit geleistet. Der Steuerberater hat viele Kreative als Mandanten, wie er gerne erzählt, "vom Kleinkünstler bis zum Weltstar". Ihnen fühlt er sich besonders verbunden. Schwab will ihnen helfen, gerade jetzt in der Krise. Er habe ihnen Steuererklärungen umsonst gemacht, wollte ihnen Geld geben und eine Aufgabe, "die hocken doch alle nur rum", wie er sagt. Den Frei.Wild-Sänger Philipp Burger glaubt er besonders gut zu kennen.

Der Frontmann hat die Gabe oder die Übung, Zweifel an ihm zu pulverisieren

Der suchte 2009, als er sich das eigene Plattenlabel Rookies & Kings in München und Brixen aufbaute, Buchhaltungsbeistand in der Großhaderner Kanzlei. Die Umsätze der Band sind gewaltig gewachsen seitdem. Mit sechs Alben landeten Frei.Wild auf Platz eins der deutschen Charts, ihr aktuelles, "Corona Tapes II - Attacke ins Glück", kam auf zwei. In München spielte die Band zuletzt 2015 in der Olympiahalle. Unter den 15 000 Fans waren keine offensichtlichen Neo-Nazis, an der rechtsextremen Vergangenheit Burgers störte sich aber offenbar niemand.

Burger hatte in Jugendjahren in der Südtiroler Glatzengruppe Kaiserjäger mitkrakeelt und auf einem Album-Foto den Hitlergruß gezeigt. Die Band löste sich 2001 in einer Massenschlägerei auf. Burgers Schwärmerei für die Nazis verflog angeblich nach der Pubertät, so beteuerte der Sänger öffentlich. Schwab, der, wie er sagt, befreundet mit dem nun 40-Jährigen sei, glaubt ihm: "Mei, der hat als Bub, mit 15, 16 mal die Hand gehoben und ist mit den Freiheitlichen mitgelaufen", sagt Schwab, "aber der ist kein Rechtsradikaler mehr, das ist privat ein ganz lieber Mensch". Damit sei Burger im übrigen auch ein Kandidat für ein anderes Herzens-Kulturprojekt von Schwab, ein Biografien-Buch mit dem Titel "Die zweite Chance".

Eine solche habe jeder verdient, findet auch Monica Meggendorfer. Also begleitete die Musikerin, die unter dem Namen Antakarana Mantras für den inneren Frieden singt und in Nepal eine Schule für Mädchen gebaut hat, Schwab zu einem Frei.Wild-Konzert. Sie hörte, wie die Band von der Bühne herunter das Publikum aufforderte, "Nazis raus" zu rufen. Sie "tastete" den Sänger backstage auf dessen Gesinnung ab, und kam zu dem Ergebnis: "Der hat ein großes Herz". Und so sagte sie Schwabs Cover-Versionen-Projekt zu.

So wie Burger selbst, der das Projekt "von Anfang an gut fand" und deshalb die Rechte an dem Song freigab, wie er am Telefon sagt, weil "der Otto öfters anderen unter die Arme greift". Außerdem habe er als Songwriter ( Kastelruther Spatzen) "immer gern Kontakt zu tollen Musikern aus anderen Genres". Der Frontmann hat die Gabe oder die Übung, alle Zweifel an ihm, seiner Combo und seinem Schaffen zu pulverisieren, sich aus dem rechten Schatten ins rechte Licht zu rücken. Populistische Parolen, die ihm von Links zur Last gelegt werden, entkräftet er prophylaktisch. Die Presse mache "einen guten Job", sagt er; ein Lied wie vor einem Jahr, als er zu Beginn der Pandemie Corona "wie alle" verharmloste, würde er heute nicht mehr machen; und für ihn habe Kunstfreiheit durchaus Grenzen: "Für mich darf nichts auf eine öffentliche Bühne oder einen Preis bekommen, was außerhalb des Grundgesetzes steht oder antisemitisch ist, wo ein Richter sagt: ,Hiermit bist du raus.'" Ihm gaben die Richter bisher Recht, ein Indizierungsverfahren wegen Jugendgefährdung gegen das knüppelharte "Rache muss sein" haben Frei.Wild gewonnen.

Gefährlich seien Frei.Wild dennoch, heißt es bei Firm, der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München. Dort ordnet man Burger & Co. dem "Grauzonen-Rock" zu. "Frei.Wild mag keine extrem rechte Band sein. Sie ermöglicht aber mit ihrem reaktionären Heimatbegriff, der sich an den von Neuen Rechten wie der Identitären Bewegung propagierten Ethnopluralismus anlehnt, jungen Fans einen leichten Einstieg in rechte Ideologien." So heißt es bei Firm. "In den Texten ist, wenn auch nicht so explizit wie bei klassischem Nazirock, vieles davon enthalten: Nationalismus, Sexismus, Misogynie, Antisemitismus. Das ist gefährlich, gerade weil die Band im Mainstream so verankert ist und mit Liedern über Liebeskummer, gekränkten männlichen Stolz und Alkohol insbesondere jungen Männern breite Identifikationsmöglichkeiten bietet." Dass "Weil du mich nur verarscht hast" nun für einen "guten Zweck" gecovert und verbreitet werde, "halten wir für sehr bedenklich, weil die Band dadurch weiter salonfähig gemacht und ihre Texte normalisiert werden".

Die bereits 32 Millionen Mal auf Youtube geklickte Nummer von 2011 ist zwar nicht rechts, sie ist einfach plump. Ein Macho-Rock gewordenes Ätschibätsch: Ein Mann wird von einer Frau nach einem Kuss zurückgewiesen, und freut sich beim Wiedersehen nach Jahren, dass sie nun "hässlich" ist und nach "Imbissfett" riecht. Das passe laut Firm zu den "sexistischen Geschlechterklischees" in den Liedern von Frei.Wild, zu der zweidimensionalen Darstellung von Frauen, die entweder sorgende Gefährtin und Objekt sexueller Begierde seien oder verdorben und untreu. Der Ich-Erzähler gelangt in der letzten Strophe von "Weil du mich nur verarscht hast" zu einer Art Einsicht. Denn er erkennt in jener Frau, die er zur Schulzeit als Susi mit "'ner dicken Brille" fast "auf die Gleise" gehänselt habe, nun eine "Königin der Nacht", die ihn allerdings verschmäht. Schwab und einige der beteiligten Musikerkollegen sehen darin gar eine "Anklage gegen Mobbing". Eine Einschätzung, die nicht jeder teilen muss.

Einen Überschuss, den man hätte spenden können, hat das Album noch nicht eingebracht

"Der Song hat ein schlechtes Karma", sagt der Pop-Kenner Jörg Seewald, er würde so was auch nie in seiner Sendung "Die Vermessung der Musik" auf EgoFM spielen. Die Charity-Platte hat er aber doch vorgestellt, obwohl er nie ein Fan dieser "altdeutsch auftretenden Band" werde und ihm klar ist, dass die "gute Tat" des Song-Stiftens ein Ablasshandel von Frei.Wild sei. "Aber auf diese Weise hat das Stück Menschen tatsächlich geholfen", sagt Seewald. Er spielte das Soul-Cover von Wildfang alias Monica Meggendorfer auf Englisch, wo "eh niemand auf den Text achtet".

Er habe "natürlich die geilste Version von allen", dazu könne er guten Gewissens seine kleinen Söhne tanzen lassen, sagt der Münchner "Musiktainer" Glitzer Gischi ("Bier Bier Bier"). Beim "King of Trash Music" liegt die Schmerzgrenze höher. Er (aktueller Hit: "Bums Bums Corona") will "positive Spaßmusik" in die Welt pumpen. "Es ist eh alles so ernst." 2020 hätte er in Mallorca auf dem Ballermann durchstarten wollen, dann wurden alle Partys abgeblasen. Es ging ihm schon mal besser als gerade, "aber anderen geht es noch schlechter", und denen wollte er helfen. Natürlich diskutierte er zuvor mit Freunden und Management, "wir sind alle nicht rechts". Er schrieb sich mit Burger, dann war er dabei, und hofft insgeheim auf einen gemeinsamen Auftritt auf Mallorca. Für das Werbevideo zur Aktion hielt er Gesicht und Narrenkappe in die Kamera. "Einen Shitstorm kriegst du ja sowieso immer", sagt er.

Auch Barny Murphy hatte seine Zweifel. An der Aktion, gegen die er sich "mit Händen und Füßen gewehrt" habe. Und an der Nummer. Er hat sie dann einfach umgetextet, die mütterverachtende zweite Strophe rausgeworfen, alles etwas feiner und bayerischer gemacht, "jetzt passt es", sagt der Gitarrist der Spider Murphy Gang, der hier als Barney und der Swinger Club auftritt. "Ich habe mich nicht versteckt. Das ist der Name meines Solo-Projektes mit Gypsy-Swing. Wenn ich etwas mache, dann stehe ich dazu. Jeder weiß, dass ich kein Rechter bin", sagt er. Murphy schlug als einziger die 2500 Euro Gage aus. "Wenn schon, dann soll das denen in Not zugute kommen, nicht mir."

Bisher ist die "Super-Sensation" noch nicht "durch die Decke" gegangen, wie Schwab angekündigt hat. Bei 5000 verkauften CDs von "Systemrelevant - gemeinsam durch Höhen und Tiefen" gab es noch keinen Überschuss, den er hätte an die "Alarmstufe Rot" spenden können (Die Initiative zur Rettung der Veranstaltungsbranche würde Geld "aus einem solchen politischen Kontext" allerdings ohnehin nicht annehmen, wie man auf Nachfrage der SZ mitteilt). Aber aus eigener Tasche hat Schwab so bereits einigen Musikern und Technikern die Miete für ein paar Monate gesichert.

Wes' Brot ich ess, des' Lied ich sing'? Die meisten Beteiligten reagieren beschämt bis schockiert, wenn sie auf ihren Beitrag angesprochen werden. Der Sohn eines alten Schlager-Sonnyboys, der gerade seine eigene Songwriter-Karriere in Schwung bringen will, möchte sich mit seiner Nebenrolle Wilddieb "überhaupt nicht mehr auseinandersetzen". Ein sonst kritischer Tausendsassa der Kleinkunstbühnen, der hier im Kuba-Style satirisch als das jüdische Künstler-Alias David Tuchmann auftritt, ruft ins Telefon: "Zum Teufel, ich habe das doch nur gemacht, weil ich das Geld brauchte." Ein Filmkomponist, auf der Platte als Didi H. mit Wildwuchs, Wildwasser und Wildbrett gleich drei Mal mit Polka, Pop und Merengue vertreten, leugnet erst, irgendwas über "diese Band" zu wissen, bevor er zum Monolog über den Südtiroler Volksheld Andreas Hofer ansetzt und auch Dieter Bohlen habe unter Pseudonymen gearbeitet. Letzteres stimmt - aber dabei ging es eher nicht um politische Fragen und jedes dieser Aliasse ist aufgeflogen.

Einige der Musiker verweisen auf die Corona-Not und die magere öffentliche Hilfe, die ihnen zuteil werde. Ob das ausreicht, seine Ideale zu verraten und ein Angebot wie dieses anzunehmen, sei dahingestellt. Tatsache ist: Viele verleugnen sich nun. Dafür hat einer Verständnis: Frei.Wild-Frontmann Philipp Burger. "Ich kann das nachvollziehen", sagt er, "bei uns ist eine Maschinerie in Gang gesetzt worden, wo man sich als etablierter Musiker schützen muss, wenn das Thema im Raum steht. Wir, Frei.Wild, kommen damit klar. Aber andere haben keine Erfahrung, sich für ihre Kunst zu rechtfertigen." Die Gefahr, die ihnen droht, steht Schwarz auf Weiß im Text, den sie eingesungen haben: "Jeden Ansatz an Respekt, haben alle an dir verloren, alles kommt zurück."

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SZ vom 10.02.2021
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