Süddeutsche Zeitung

Junge Menschen in der Politik:Wenig Lust auf Parteien

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Auf kommunaler Ebene geht es jungen Leuten in der Politik vor allem ums Mitmachen. Sie wollen sich nicht einfach an eine Gruppierung binden, sondern in ihrem persönlichen Umfeld selbst etwas bewegen.

Von Nadja Tausche, Freising/Moosburg

Prinzipiell, sagt der 26-jährige Benedict Gruber, würde er schon irgendwann in eine der bestehenden Parteien eintreten. "Aber die Parteien müssten sich der Zeit anpassen." Bei Wahlen sei immer die Frage aufgekommen, so erzählt es Thomas Wittmann, 23, wen er wählen solle - "es fühlte sich immer nach einem Kompromiss an, teilweise nach einem schlechten Kompromiss". Und Julian Grübl, 26, erklärt: "Wir wollten zeigen, dass man in der eigenen Stadt auch als junger Mensch etwas reißen kann." Die drei jungen Männer haben vor der Kommunalwahl im März eine eigene Gruppierung gegründet, Fresh nennt sie sich: "Frisch" also, das Gegenteil von alt, eingetrocknet, verbraucht. Ist es von gestern, sich einer der etablierten Parteien anzuschließen?

Der jungen Generation wird nachgesagt, sich nicht festlegen zu wollen - sei es beim Job, bei festen Beziehungen, bei einem eigenen Auto. Wenn das auch für Parteien gilt: Wird es dann immer mehr Neugründungen geben? Oder gehört das Konzept der Parteien zumindest in der Kommunalpolitik bald ganz der Vergangenheit an? In Freising wie Moosburg treffen sich schon jetzt junge Menschen unabhängig von ihrer Partei, diskutieren, treffen Entscheidungen.

Fresh hat auf Anhieb zwei Vertreter in den Stadtrat gebracht

Eindeutige Antworten gibt es nicht auf diese Fragen. Klar ist, dass die Idee der "frischen" Gruppierung in Moosburg gut ankommt: Bei der Kommunalwahl hat Fresh auf Anhieb zwei Stadträte in den Stadtrat gebracht. Die Idee ist es, sich nicht auf bestimmte Themen festzulegen: "Es geht um die Mitmachkultur", sagt Gruber. Beitreten darf dabei jeder, nur die Werte müssen mit denen von Fresh übereinstimmen: Rassismus etwa akzeptiere man nicht, sagen die Gründer. Vor jeder Stadtratssitzung besprechen die etwa 20 Mitglieder die anstehenden Themen. Weil es auf die besten Argumente ankomme, finde man dabei eigentlich immer eine gemeinsame Lösung: "Es ist recht harmonisch", berichtet Gruber. Schwierigkeiten hat die Gruppe dagegen bei organisatorischen Themen, etwa im Wahlkampf.

Eine von zwei Stadträten von Fresh ist Julia Neumayr, 29. Es sei ihr wichtig, sich bei Entscheidungen nicht nach den Leitlinien einer Partei richten zu müssen, sagt sie - "sondern zu überlegen: Was ist das Richtige für Moosburg?" Neumayr nennt das eine "wahnsinnige Befreiung". Was hilfreich sei: "Wir haben den jungen Leitgedanken." Bei ihr sei es nicht so, dass sie die bestehenden Parteien komplett ablehne. Vielmehr interessiere sie von allen Parteien etwas: "Ich konnte mich nicht wirklich mit einer Partei identifizieren."

Dass das womöglich eine Frage der Generation ist, sehe sie schon so, sagt Neumayr. Es liege wohl daran, glaubt Benedict Gruber, dass junge Menschen heute oft den Anspruch hätten, sich zu nahezu hundert Prozent hinter etwas stellen zu können. "Und eine große Partei wird sich nicht so anpassen können, dass sie jeden zu hundert Prozent vertritt." Für Grübl hat Fresh außerdem den Vorteil, sich im Kommunalen nicht für etwas rechtfertigen zu müssen, was die Partei auf Bundesebene macht. Auch im Wahlsystem von Fresh im Stadtrat macht sich die Flexibilität der Jungen bemerkbar. Obwohl die Stadträte eigentlich für sechs Jahre gewählt wurden, werden die Mitglieder von Fresh alle zwei Jahre ausgewechselt. Die Handhabe solle verhindern, dass man mit der Zeit betriebsblind werde, erklärt Grübl. Neumayr findet das gut: Sie könne einfach nicht sagen, was sie in sechs Jahren mache, erklärt sie.

Es könne nun mal nicht jeder eine eigene Partei gründen, sagt Michael Weindl

Einen anderen Weg eingeschlagen hat Michael Weindl. Mit dem Eintritt in die SPD hat sich der Vorsitzende der Freisinger Jusos auf eine der etablierten Parteien festgelegt. Das habe vor allem den Vorteil, dass die gemeinsamen Werte der Partei von vornherein klar seien. "Es gibt oft einen relativ breiten Konsens", so Weindl: Das mache es leichter, Entscheidungen zu treffen. Außerdem lerne man viel von erfahrenen Parteimitgliedern, in seinem Fall konkret das richtige Plakatieren im Wahlkampf.

Ohne Parteizugehörigkeit zusammenzuarbeiten, stellt sich Weindl auf Dauer schwierig vor: "Man kann sicher kurzfristig über Differenzen hinwegschauen, wenn man das gleiche Ziel hat", so Weindl, es könne aber langfristig zu einer Spaltung kommen. Er selbst stimme zu rund 80 Prozent mit den Ansichten der SPD überein, sagt er - für hundert Prozent müsse er wohl eine eigene Partei gründen, "aber dann gäbe es halt 82 Millionen Parteien in Deutschland", bringt er es auf den Punkt.

Ein anderer Vorteil, wenn man sich einer bereits bestehenden Gruppierung anschließt: Man müsse sich mit Themen auseinandersetzen, auf die man sonst gar nicht gestoßen wäre, sagt Philomena Böhme, 20, die für die Freisinger Mitte im Stadtrat sitzt. Als sie sich das Programm der Freisinger Mitte angeschaut habe, sei sie gezwungen gewesen, sich eine Meinung zu bilden. Sich auf eine Partei oder Gruppierung festzulegen, sei ihr trotzdem schwer gefallen: "Am Anfang wollte ich mich gar nicht für eine Partei engagieren, ich wollte einfach etwas bewegen", erklärt sie. Eingetreten sei sie dann deshalb, "weil man einfach etwas mehr Einfluss hat", so Böhme: "Es ist schwierig, als Einzelperson in den Stadtrat gewählt zu werden."

Gehört das Konzept der Parteien bald der Vergangenheit an?

Auch in Freising engagieren sich aber viele junge Menschen politisch in Gruppierungen, in denen die Parteizugehörigkeit egal ist. Dazu gehört der Jugendstadtrat. Manche Mitglieder seien in Parteien, andere nicht, sagt Böhme, die zusammen mit Michael Weindl den Vorsitz innehat: Die Zusammenarbeit funktioniere trotzdem. "Es geht darum, Freising für junge Leute attraktiver zu machen", so Böhme. Den gleichen Leitgedanken hat in Moosburg die sogenannte Überparteiliche Bagage (Üba). "Wir wollen Moosburg gemeinsam voranbringen", sagt Gründungsmitglied Lena Zehetbauer, 24, die selbst in der SPD aktiv ist. Außerdem sei das Ziel, junge Menschen für die Politik zu begeistern. Die Üba besteht aus Stadtratsmitglieder verschiedener Parteien und aus Menschen außerhalb des Gremiums; die rund 15 Mitglieder planen gemeinsame Aktionen: Darunter etwa Talkrunden oder eine Müllsammelaktion.

Dass Parteien in der Politik der Zukunft keine Rolle mehr spielen, dass sich Politiker einfach themengebunden in Ausschüssen zusammentun und abstimmen, das glaubt Zehetbauer nicht. Während Menschen auf kommunaler Ebene oft nicht nur parteigebunden wählen, sondern weil sie bestimmte Personen kennen, sei das auf Bundesebene nicht möglich. Ähnlich sehen das die Fresh-Gründer: "Spätestens ab der Landesebene wird es schwierig", meint Gruber. Alleine die Politiker auf dem Wahlzettel zu organisieren, wenn man sie nicht nach Parteizugehörigkeit sortieren könne, wäre ein reines Chaos, gibt Wittmann zu bedenken. Und Grübl sagt: "Ich glaube, die Leute sind froh, wenn Strukturen da sind." Außerdem nicht zu unterschätzen: Die soziale Komponente von Parteien, sagt Philomena Böhme. "Ich habe das Gefühl, dass sich die Leute einfach gerne zugehörig fühlen."

Das Gespräch über die Parteigrenzen hinaus ist für die jungen Menschen trotzdem unerlässlich. "Ich finde es einfach angenehm, auch mal andere Argumente zu hören", sagt Weindl. Darum findet er auch den Jugendparteienstammtisch wichtig, bei dem sich in Freising drei bis vier Mal im Jahr die Anhänger der Jungparteien treffen. Es gehe darum, dass die jungen Parteien diskutieren, Kontakte knüpfen - "und es macht auch einfach Spaß", so Weindl. Eben wegen der ähnlichen Werte innerhalb einer Partei seien diese übergreifenden Diskussionen so bereichernd.

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SZ vom 04.07.2020
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