Süddeutsche Zeitung

Flughafen München:Es bleiben viele Fragezeichen

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Die Staatsregierung verzichtet auf ein "vertieftes bayerisches Flughafenkonzept", das laut Koalitionsvertrag eigentlich vorgesehen ist. Die Reaktionen auf diese Ankündigung fallen in der Region sehr unterschiedlich aus.

Von Regina Bluhme; Von Petra Schnirch, Freising/Erding

In dieser Legislaturperiode wird es kein "vertieftes bayerisches Flughafenkonzept" geben - anders als im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern vereinbart. Als Gründe führt die Staatsregierung in einer Antwort auf eine FDP-Anfrage die veränderten Rahmenbedingungen durch die Pandemie und die steigenden Energiepreise an. Ziel des Papiers sollten beispielsweise eine verbesserte Verkehrserschließung des Flughafens München, eine stärkere Vernetzung der bayerischen Airports sowie ein Konzept zur Senkung von CO₂-, Schadstoff- und Lärmemissionen sein. Die Reaktionen in der Flughafenregion auf die Ankündigung fallen sehr unterschiedlich aus - von Zustimmung bis hin zu großer Enttäuschung.

Christian Magerl, Vorsitzender des Aktionsbündnisses "Aufgemuckt" aus Freising: Das sei bemerkenswert, sagt Magerl - und sieht sich in seiner Argumentation bestätigt. "Man hat das Gefühl, auch die Staatsregierung hängt ein bisschen in der Luft bei dem Thema." Auf was er selbst bereits seit Jahren hinweise: Der Flughafen sei bei den Flugbewegungen weit weg von früheren Zahlen. Und der ehemalige Grünen-Landtagsabgeordnete glaubt auch nicht, dass es dahin zurückgehen werde. Grund sei das veränderte Reiseverhalten: Geschäftsleute setzten verstärkt auf Online-Gespräche, viele Privatleute entwickelten eine andere Haltung zum Fliegen.

Auch Magerl sieht derzeit viele Fragezeichen. Weiter über die Entwicklung des Flughafens nachzudenken, sei wichtig, sagt er. Eine Zusammenarbeit mit Nürnberg fordere er bereits seit über zehn Jahren. Eine solche Kooperation, auch mit Memmingen, in der aktuellen Situation zu planen, wäre aber "wahnsinnig schwierig".

Überlegungen, die Anbindung des Flughafens zu verbessern, gebe es im Verkehrsministerium bereits, ein Vorschlag sei, den Üfex, den Flughafenexpress, bis Nürnberg zu verlängern. Aber "halb Deutschland und Mitteleuropa" per Bahn an den Münchner Flughafen anbinden zu wollen, hält Magerl für unsinnig. Hinzu komme, dass es keine aktualisierte Luftverkehrsprognose gebe. Die bestehende, die völlig überholt sei, ende 2025.

Florian Herrmann, CSU-Landtagsabgeordneter aus Freising und Chef der Staatskanzlei: "Es ist richtig, dass die Staatsregierung das Flughafenkonzept jetzt nicht weiter verfolgt", sagt Herrmann. Die Rahmenbedingungen des Luftverkehrs hätten sich seit der Vereinbarung im Koalitionsvertrag "fundamental verändert". Die Corona-Krise und der Einbruch bei der Nachfrage im Luftverkehr seien bis heute nicht überwunden. Die Passagierzahlen lägen nach wie vor deutlich unter dem Vorkrisenniveau, das veränderte Reiseverhalten wirke erheblich nach. Parallel verschärfe sich die Lage auf dem Energiemarkt zusehends. "Vor diesem Hintergrund halte ich es für richtig und vernünftig, die weiteren Entwicklungen im Luftverkehr abzuwarten."

Die bayerische Luftverkehrsinfrastruktur sei für die aktuelle Lage gerüstet, das gelte insbesondere für den Flughafen München. Darüber hinaus versichert Herrmann, dass er sich auch weiterhin klar gegen die dritte Startbahn ausspreche. "Außerdem gibt es dazu die klare Aussage von Ministerpräsident Dr. Markus Söder, die Bestand hat und gilt."

Benno Zierer, Landtagsabgeordneter der Freien Wähler aus Freising: Es habe sich schon länger angedeutet, dass das CSU-geführte Verkehrsministerium das gesamtbayerische Flughafenkonzept - "vorsichtig formuliert - nicht gerade mit hoher Priorität verfolgt", kritisiert Zierer. Deshalb habe er immer wieder nachgehakt, zuletzt hätten Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und die FW-Landtagsfraktion mit offiziellen Schreiben bei Minister Christian Bernreiter interveniert. "Die Argumentation aus dessen Haus kann ich nicht nachvollziehen", sagt Zierer. Die Rahmenbedingungen im Luftverkehr würden auch weiterhin starken Veränderungen unterliegen. "Wann soll dann der richtige Zeitpunkt für strategische Überlegungen sein?", fragt er.

Als die Erarbeitung des Konzeptes im Koalitionsvertrag verankert worden sei, "hatten wir uns natürlich erhofft, dass eine schlüssige Strategie für den Luftverkehr in Bayern ohne dritte Startbahn am Flughafen München entwickelt wird". Einige Punkte seien immerhin bereits Realität, sagt Zierer und nennt den zunehmenden Wegfall von Kurzstreckenflügen oder den Expressbus zwischen den Flughäfen München und Nürnberg. Eine dritte Startbahn sei auch ohne Flughafenkonzept "nur noch Utopie".

Hans Wiesmaier (CSU), Kreisvorsitzender des Bayerischen Gemeindetags im Landkreis Erding und Bürgermeister von Fraunberg: Er ist überzeugt, dass Freistaat und die Flughafen München GmbH (FMG) auch nach der Absage für das Flughafenkonzept nicht aufhören, "weiter zu denken", wie es gelingen könne, den Airport München besser an die Schiene anzubinden. Seiner Ansicht nach müssten diese Überlegungen dringend auch in Richtung einer Express-Bahn gehen. Gerade jetzt sei es notwendig, alle Herausforderungen und alle Maßnahmen "ins Auge zu fassen und unabhängig zu verifizieren". Und mit einem zeitnahen Ergebnis, denn er habe schon viele Studien miterlebt, die dann nach fünf Jahren fertiggestellt und damit veraltet waren.

Martin Bayerstorfer (CSU), Landrat Landkreis Erding: Bayerstorfer schreibt auf Nachfrage der SZ, dass sich der Landkreis Erding "unabhängig von der Erarbeitung eines solchen Gutachtens" in Bezug auf den Flughafen München "mehrfach eindeutig" positioniert habe. An den Beschlüssen des Kreistages zu einer Ablehnung des Baues und Betriebes einer dritten Start- und Landebahn am Flughafen München habe sich nichts geändert. "Ebenso fordert der Landkreis Erding nach wie vor eine bessere Verkehrserschließung des Umlandes an den Flughafen", so der Landrat. "Für diese Ziele werden wir auch unabhängig von der Erarbeitung eines vertieften Flughafenkonzepts weiterhin eintreten."

Johannes Becher, Grünen-Landtagsabgeordneter aus Moosburg: Für Becher ist es "keine Überraschung", dass das Flughafenkonzept in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen wird. Es sollte auch dazu beitragen, Lärm- und Schadstoffemissionen zu reduzieren, doch seit vier Jahren sei nichts passiert. Notwendig wäre nach seinen Worten eine Planung, wie der Flugverkehr grundlegend reformiert werden könnte - weg von den Zielen einer Maximierung des Flugaufkommens. Das würde beinhalten, dass kein Bedarf für eine weitere Bahn besteht, sagt Becher. "Aber mit einem solchen Konzept ist nicht zu rechnen." Die CSU halte an der dritten Startbahn fest und auch für den Flughafenbetreiber FMG sei sie weiterhin das erklärte strategische Ziel. Bei der aktuellen Regierungskonstellation habe er deshalb "keine große Hoffnung auf ein nachhaltiges Flughafenkonzept für Bayern".

Einbezogen werden müssten in die Ausarbeitung beispielsweise auch die Naturschutzverbände, fordert Becher. Eine solche Planung dürfe "nicht nur im Hinterzimmer" entstehen, größere Beteiligungsprozesse seien sinnvoll. Was der Abgeordnete aus Moosburg auch kritisiert: Die FMG wolle den Airport zwar bis 2030 nachhaltig machen, die Emissionen des Luftverkehrs selbst würden dabei allerdings nicht berücksichtigt.

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