Süddeutsche Zeitung

Bibliotheken:Wo man findet, was man nicht sucht

Lesezeit: 2 min

Der Direktor der Münchner Stadtbibliothek erstaunt bei einem Vortrag in Freising seine Zuhörer mit der These, dass das Buch als Leitmedium nicht in Gefahr sei. Büchereien nennt er wichtige "Orte der Begegnung".

Von Nadja Tausche, Freising

"Ich glaube, ich bin Realist, wenn ich sage: Ich sehe die Zukunft des Buches nicht gefährdet." So oder so ähnlich wiederholte der Direktor der Münchner Stadtbibliothek Arne Ackermann seine Botschaft am Montagabend immer wieder. Mit der Digitalisierung verändere sich zwar viel, auch für Bibliotheken. Aber: "Das Buch ist immer noch das Leitmedium", betonte er. Florian Herrmann (CSU), Staatsminister und Leiter der Staatskanzlei, hatte Ackermann als Referenten zum Politischen Salon eingeladen, der diese Woche zum zehnten Mal stattfand. Das Thema: "Gemeinschaft findet Stadt - Öffentliche Bibliotheken als Orte des digitalen Wandels und der Demokratie".

Orte der Demokratie seien öffentliche Bibliotheken auf jeden Fall, so Ackermann. Sie stellten sicher, dass sich jeder aus frei zugänglichen Quellen kostenlos informieren könne - wie es das Grundgesetz vorschreibe. Ziele von Bibliotheken seien Lese- und Wissensförderung und Medienbildung. "Bibliotheken sind Orte, wo man Dinge findet, die man nicht gesucht hat", fasste er zusammen. Es gehöre aber auch dazu, für die bundesweit 120 Millionen Besucher pro Jahr "Orte der Begegnung" zu schaffen und so die Gemeinschaft zu stärken.

Besuchen Sie noch Bibliotheken?

Ruth Brombierstäudl, 69, aus Freising: "Ich bin Mitglied in der Freisinger Stadtbibliothek und das schon seit Jahrzehnten. Der Grund dafür ist simpel: Ich lese einfach gerne. Außerdem bin ich wahnsinnig zufrieden mit der Auswahl an Büchern, die mir dort geboten wird. Und man spart viel Geld, wenn man sich nicht jedes Buch, das man einmal lesen will, sofort selbst kauft. Was auch wichtig für mich ist: Ich habe eh schon so viele Bücher daheim, irgendwann ist es dann auch mal gut."

Annika Arora, 19, aus Neufahrn: "Mit acht Jahren habe ich meinen Ausweis für die Neufahrner Gemeindebücherei von meinen Eltern bekommen, weil sie mir nicht mehr so viele Bücher kaufen wollten: Ich lese sehr schnell. Früher bin ich jede Woche in die Bücherei gelaufen und habe mir vier bis fünf neue Bücher geliehen und bis heute stöbere ich gerne dort. Wenn ich für mein Jura-Studium in London etwas recherchieren muss, gehe ich in die Senate House Library. Dort gibt es gute Zeitschriften und wissenschaftliche Journale. Und erst die Zimmer: eines hat sehr hohe Fenster und total dicke Ledersofas, die mich irgendwie an die Harry Potter-Bücher erinnern."

Rainer Pietsch, 68, aus Freising: "Früher war ich manchmal in Bibliotheken, um zu recherchieren, inzwischen so gut wie gar nicht mehr. Ich bevorzuge Buchläden, ich interessiere mich vor allem für Werke über die Geschichte und die finde ich in Büchereien oft nicht, da deren Angebot zu allgemein ist. Im Buchhandel kann ich Bücher einfach bestellen, selbst wenn die Auflage klein ist. Außerdem habe ich selbst eine beachtliche Sammlung an Büchern, wenn ich etwas lesen will, bediene ich mich da. Mein ältestes Buch ist von 1880. Ich finde es zwar schade, aber oft ist es so, dass was nichts kostet, auch nicht so geschätzt wird. Da ist es mir die Investition in eigene Bücher dann auch wert."

Malena Günther, 18, aus Freising: "Ich bin sogar Mitglied in zwei Bibliotheken, nämlich bei der Staatsbibliothek in München und hier in unserer Freisinger Stadtbibliothek. Für die Staatsbibliothek habe ich mich zwar erst vor einem Jahr für meine W-Seminar-Arbeit angemeldet, aber bei der Freisinger Stadtbibliothek bin ich schon seit dem Kindergartenalter Mitglied. Ich finde Bibliotheken eine super Sache, allein schon wegen der riesigen Auswahl, die es da gibt. Auch gut finde ich, dass man damit Ressourcen und eine Menge Geld sparen kann. Ich leihe mir monatlich Bücher aus, da käme schon eine beachtliche Summe zusammen, wenn ich die alle kaufen würde.

"Die Sehnsucht nach Orten ist so stark wie nie"

Das gelte auch - oder gerade - in Zeiten der Digitalisierung. "Die Sehnsucht nach Orten ist so stark wie nie", so der Bibliotheksdirektor. Die Münchner Stadtbibliothek bietet ihre Bücher in Teilen sehr wohl als E-Book an, das erklärte Ackermann im Anschluss an den Vortrag. Von rund zwölf Millionen Entleihungen entfalle eine Million auf digitale Medien. Das sei aber nicht unbedingt etwas Neues: "Digitale Medien bieten wir schon seit 2006/2007 an."

Die Besucher schienen Ackermanns Ansatz nicht ganz nachvollziehen zu können, dass die Digitalisierung eine so geringe Rolle für Bibliotheken spielt. Digitale Medien gefährdeten mit all ihren Vorteilen doch das Konzept von Büchersammlungen an einem Ort, meinte ein Besucher: Schließlich könne man jederzeit und von überall aus auf die Bücher zugreifen, die Bibliothek spare Platz und Geld. Ein anderer Besucher wies auf die Chancen des technischen Fortschritts hin: Digitalriesen wie Google wollten schließlich ebenfalls Wissen öffentlich und kostenlos zur Verfügung stellen, womöglich könne man da sogar zusammenarbeiten.

Bibliotheken sollten Kindern Kritikfähigkeit vermitteln

Man müsse sich durchaus an die Bedürfnisse der Menschen anpassen, erwiderte Ackermann: So müssten Bibliotheken Kindern Kritikfähigkeit vermitteln und älteren Menschen zeigen, welche digitalen Angebote es überhaupt gebe. Dann aber nähmen Bibliotheken auch in 30 Jahren noch eine wichtige Rolle ein.

Eine Besucherin wollte noch wissen, wie sich Büchereien auf dem Land in Zukunft verändern müssen. "In jedem Fall ist es wichtig, sich in den politischen Diskurs einzumischen", so Ackermann. Es lohne sich, eine "gute Aufenthaltsqualität" zu schaffen und sich etwa beim Kauf von E-Books mit anderen Büchereien zusammenzutun.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4527527
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sz.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.