Süddeutsche Zeitung

Prozess:"Ein richtiger Exzess, mitten in der Innenstadt"

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Aus dem Gericht von Susi Wimmer

An die 30 dunkel gekleidete und teilweise vermummte Männer mit Bengalo-Feuern stürmen in der Nacht auf Heilig Abend auf das Restaurant Mamasita am Isartor zu. Sie schreien, wollen die Türe aufdrücken, im Restaurant bricht bei einigen Gästen blanke Panik aus. Dann fliegt ein Stuhl gegen die Frontscheibe, ein Marmortisch, die Scheibe zersplittert. "Ein richtiger Exzess, mitten in der Innenstadt", sagt Vincent Mayr, Richter am Amtsgericht München. Und warum? Weil zwei verfeindete Fußballfan-Gruppierungen sich prügeln wollten: Drinnen die 60er-Anhänger auf einer privaten Geburtstagsparty, draußen die Bayern-Fans, die eigentlich ihre Weihnachtskneipentour im Sinn hatten. Zwei Personen wurden bei dem Vorfall 2017 verletzt, es entstand Sachschaden in Höhe von 15 500 Euro. Einer der "Roten", der 28-jährige Student Michael J., wurde jetzt vom Amtsgericht unter anderem wegen Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung verurteilt.

"Als ich die Akte las, dachte ich, der muss ins Gefängnis", sagt Richter Mayr in seiner Urteilsbegründung. "Es gab den Exzess", räumt auch Verteidiger Marco Noli ein. Allerdings mag nach Vernehmung der Zeugen niemand mehr von einem Angriff oder gar Überfall der Bayern-Fangruppe "Alarmstufe Rot" auf das Mamasita und die Löwen-Fans ausgehen, sondern wohl von "Provokationen vorab" oder sogar einer Verabredung zur Schlägerei. Mit Michael J. sitzt einer der ersten identifizierten Bayern-Fans auf der Anklagebank, der Rest wird noch folgen. Ihm wird Landfriedensbruch vorgeworfen, Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung - aufgrund der beiden verletzten Personen - sowie versuchte gefährliche Körperverletzung, weil er sich in der Gruppe habe prügeln wollen. Michael J. hat keinen Stuhl geworfen, niemanden geschlagen, das Gerichte verurteilte ihn für "die Taten aus und durch die Masse".

"Die Rivalität findet bei einem Fußballspiel auf dem Platz statt", sagt der Staatsanwalt, aber dies sei ohne jeglichen Bezug zu einem Fußballspiel "ein Angriff auf die zivile Bevölkerung" gewesen. Und doch gab es eine Heldin: eine überaus mutige und selbstbewusste Kellnerin. Die 29-Jährige stand am Abend des 23. Dezember in der Graf Arco Stube und bediente ihre Gäste, als eine Horde von 20 bis 30 vermummten Gestalten das Lokal betrat. "Die wollten keinen lustigen Abend unter Jungs machen", erzählt sie. Sie seien rumgestanden, angespannt, "die waren auf dem Sprung". Und im Reinkommen sei das Wort "Löwen" gefallen. Die junge Frau machte dem Trupp recht resolut klar, dass es nichts zu trinken gebe, wenn sie sich nicht entspannen, die Schals ablegen und hinsetzen. Es könnte sein, dass zu diesem Zeitpunkt einer der Bayern-Anhänger die 60er-Fans im benachbarten Mamasita (das inzwischen anders heißt) erblickt hatte oder umgekehrt, und es davor schon zu Schubsereien gekommen war. Jedenfalls, so sagt die 29-Jährige, sei einer ins Lokal gestürmt und habe "Hier, jetzt, los!", geschrien, woraufhin die Vermummten aus der Tür gerannt seien.

Und die Kellnerin rannte hinterher. Denn die Gruppe steuerte das Mamasita an, "und da arbeiten mein Freund und viele andere Freunde". Sie überholte die grölende Horde und stellte sich todesmutig vor die Eingangstür des Mamasita. Dort versuchte der Türsteher, die Tür von innen zu blockieren. Es gibt zwei Videos von Zeugen, die die flackernden Bengalos und die schreiende Meute zeigen, in der ersten Reihe Michael J., mittendrin, zwischen den Fronten, die zierliche Frau. Als ein Marmortisch fliegt, wird sie an den Rippen verletzt, die Splitter der Scheibe treffen sie und einen Gast im Lokal. Dann rennen die Roten davon, die Blauen hinterher, die Polizei kann einige festnehmen.

Michael J. hat über seinen Anwalt gestanden, er hat Wiedergutmachung geleistet und sich entschuldigt. Richter Mayr sieht von einem Stadionverbot ab. Weitere Prozesse in der Sache werden wohl noch folgen.

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Quelle:
SZ vom 08.05.2019
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