Süddeutsche Zeitung

Europawahl in München:Freudentränen und enttäuschte Hoffnungen

Lesezeit: 3 min

Von Heiner Effern, Julian Hans, Dominik Hutter und Melanie Staudinger, München

Grün bestimmt jetzt die politische Landkarte Münchens, die Partei hat bei der Europawahl 14 Stadtbezirke gewonnen, die anderen elf gehen an die CSU. Die Farbe rot hingegen ist aus der Wahlstatistik verschwunden. In keinem einzigen Stadtviertel liegt die SPD mehr vorne. Die Sozialdemokraten sind von 25,8 auf 11,4 Prozent in der Stadt abgestürzt, die lange als ihre Hochburg im sonst so schwarzen Bayern galt. Der große Gewinner sind die Grünen, die 31,2 Prozent holen (11,6 Prozentpunkte mehr als 2014) und damit wie bei der Landtagswahl zur stärksten politischen Kraft in München werden. Die CSU stabilisiert ihr Ergebnis wie beim letzten Mal bei 26,9 Prozent. Dahinter reihen sich die AfD mit 6,0 Prozent (-1,8) und die FDP mit 5,3 Prozent (wie 2014) ein.

Bei den Grünen herrscht Hochstimmung. Was sich bereits bei der Landtagswahl im Oktober angedeutet hat, bestätigt sich nun bei der Europawahl: Der Aufschwung setzt sich fort. "Ich bin so überwältigt und dankbar", sagt Henrike Hahn mit Freudentränen im Gesicht. Die Münchner Politikerin ist als Spitzenkandidatin der Grünen in Bayern angetreten und hat den Einzug ins Europaparlament auch geschafft. "Wir haben den Schwung von der Landtagswahl mitgenommen", sagt Hahn. Das Erfolgsgeheimnis aus ihrer Sicht: "Wir haben immer ein klares Pro-Europa-Bekenntnis verkündet, und es lohnt sich, klare Kante gegen Rechts zu zeigen. Wir stehen für Vielfalt, für Klimaschutz, für Artenschutz, und wir sind ein verlässlicher Partner."

Ins Feierwerk an der Hansastraße sind ihre Anhänger nur aus einem Grund gekommen: zum Feiern. Und entsprechend groß ist auch der Jubel, als die Ergebnisse im Fernsehen bekannt gegeben werden. Katrin Habenschaden, die 2020 für die Grünen als Oberbürgermeisterin ins Rathaus einziehen will, wirkt entspannt. Die Stimmung auf der Straße sei gut gewesen. Selbst in Allach, einer der CSU-Hochburgen am Stadtrand, sei die Atmosphäre an den Wahlkampfständen gelöst gewesen.

"Damit, dass wir Grüne in München nach der Landtagswahl nun auch bei der Europawahl so klar stärkste Kraft sind, haben die Wählerinnen und Wähler ein eindeutiges Zeichen gesetzt: Sie wollen eine Politik, die Nationalismus überwindet und ein geeintes, menschenfreundliches Europa schafft", sagt der Stadtvorsitzende Dominik Krause. "Wer hätte vor 40 Jahren gedacht, dass wir die zweitstärkste Kraft in diesem Land werden?", erklärt die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth. Das Resultat überzeugt sogar Skeptiker wie den früheren Bundestagsbewerber Peter Heilrath: "Ich hatte in den vergangenen Monaten immer ein wenig sie Sorge, dass der Höhenflug der Grünen wieder abebbt. Aber es scheint sich um einen strukturellen Wandel zu handeln."

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter zögert am Sonntagabend hingegen lange, bis er sich öffentlich äußert, spricht dann aber von einem katastrophalen Ergebnis für die SPD. Und er findet deutliche Worte: "Da gibt es nichts schönzureden. Die Partei muss jetzt dringend darüber nachdenken, wie inhaltliche und personelle Konsequenzen aussehen müssen. Bloße Durchhalteparolen führen hier keineswegs zu einer Trendwende." Die Sozialdemokraten sind in ihrer Parteizentrale zusammengekommen. "Ich hatte gehofft, dass die Landtagswahl der Tiefpunkt war und dass es nun langsam wieder nach oben geht", sagt Claudia Tausend, die Stadtchefin der Münchner SPD. Man habe einen populären Oberbürgermeister, man kenne die Stadt und die Stadtgesellschaft gut und die Partei sei gut mobilisiert. "Deshalb bin ich mir sicher, dass es bei der Kommunalwahl deutlich besser aussehen wird", sagt Stadtchefin Tausend. Das klingt wie ein Weiter-so, ist aber so nicht gemeint. Die Münchner-SPD werde sich von Bund und Land frei machen und ihre Idee von der Stadt der Zukunft in den Mittelpunkt des Wahlkampfs stellen, verspricht Tausend. Damit verbunden ist für sie offensichtlich auch der Bruch mit dem Personal der Vergangenheit.

Draußen vor der Türe fordern enttäuschte junge Sozialdemokraten schon Konsequenzen aus dem erneut frustrierenden Ergebnis und haben diese auf zwei Plakate gemalt. "Wir wollen mehr" steht darauf. Christian Köning, Stadtchef der Jungsozialisten, will das auch als Ankündigung für die Kommunalwahl 2020 verstanden wissen. Er verlangt mehr junge Kandidaten auf der Liste, mehr Mitsprache bei den Themen. Dann könne die SPD auch wieder junge Menschen erreichen.

Dieses Engagement der Jusos bezeichnet Tausend demonstrativ als "Hochleistungsträger" in allen Wahlkämpfen, aber auch in der inhaltlichen Neugestaltung der Partei. Die CSU zeigt sich indes zufrieden mit ihrem Resultat, auf Stadt- wie auf Bayernebene. Dass die Partei ihr Ergebnis halten habe können, bedeute in Anbetracht der gesteigerten Wahlbeteiligung, dass mehr Menschen CSU gewählt hätten, rechnet CSU-Bezirkschef Ludwig Spaenle vor. Sorge bereite ihm hingegen die "Implosion der SPD". Wenn der Koalitionspartner in der Stadt so herbe Verluste erleide, wirke sich das zwangsläufig auch auf die Stabilität des Bündnisses aus. Kristina Frank, die CSU-Kandidatin fürs Oberbürgermeisteramt, findet es sehr interessant, "dass sich die SPD mehr als halbiert, die Grünen aber nicht in gleicher Größenordnung dazugewinnen". Am positivsten aber sei ihr aufgefallen, dass sich das politische Interesse, das man allerorten feststelle, endlich auch mal in einer hohen Wahlbeteiligung niederschlage.

Tatsächlich haben ungewöhnlich viele Münchner ihre Stimme abgegeben: 65,4 Prozent. So hoch war die Wahlbeteiligung noch bei keiner Europawahl in diesem Jahrtausend. Das lag auch an der Briefwahl, die knapp ein Drittel nutzte. Im Vergleich aber bleibt Europa das Stiefkind: Bei der Bundestagswahl 2017 beteiligten sich 76,2 Prozent, bei der Landtagswahl 2018 waren es 72,7 Prozent.

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SZ vom 27.05.2019
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