Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Ein Plädoyer gegen die Häppchen-Kultur

Lesezeit: 2 min

Die Münchner warten nicht aufs Essen - sie snacken den ganzen Tag über vor sich hin. Dieser Angewohnheit kann unsere Autorin wenig abgewinnen.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Wenn es in München auf einem Fest Häppchen gibt, dann greift fast jeder zu. Mal hier, mal da, ein kleiner Happen kann nicht schaden. Oder? Ich frage mich: Warum gibt es das überhaupt? Häppchen. Eine befriedigende Antwort habe ich darauf bisher nicht erhalten. Sie schmecken ja teilweise gar nicht schlecht. Trotzdem bin ich alles andere als ein Fan. Weil Häppchen den Organismus durcheinanderbringen. Irgendwann weiß man dann nicht mehr, ob man jetzt eigentlich Appetit hat oder nicht.

Seltsam dieser Ansatz, Speisen in so winzigen Portionen zu servieren, dass man sich eigentlich nur noch darüber ärgern kann. Natürlich stimmt es, dass kleine Dinge manchmal einen großen Unterschied machen können. Etwa, wie fein das Essen gewürzt ist, die Art und Weise, wie es auf den Teller gelegt wird, der Ort, an dem die Mahlzeit verspeist wird, oder die Tischdeko, die zum Ambiente beiträgt. Alles schön und gut. Aber muss man denn deswegen gleich die Portionen zusammenstutzen? Wäre es nicht viel einfacher und schneller, alles auf einmal zu servieren?

Die meisten meiner deutschen Freunde scheint das nicht zu stören. Mini-Spargel-Röllchen, Sauerkraut-Roll-ups, Gemüse-Spießchen, Käse-Sticks und Oliven-Snacks. Die Leute mampfen alles munter in sich hinein. Anstatt - wie ich es gewohnt bin - zu warten, bis das Hauptgericht fertig ist. Aber die Münchner warten nicht. Sie snacken über den Tag vor sich hin. Hier ein Brezerl, da ein Salätchen, zwischendrin ein Äpfelchen und abends ein Bierchen oder ein Schnapserl. Interessant, diese ganzen -chens und -erls. Als müsse man noch per Wortanhängsel unterstreichen, dass man Nahrung nur in kleinen Mengen zu sich nimmt.

Das ist eine Eigenheit der Menschen, die ich hier in München als letztes erwartet hätte. Wo sie sich doch das ganze Jahr auf ein Fest freuen, bei dem Brezen so groß wie Wagenräder serviert werden und Bier aus Eimern. Vielleicht sind Häppchen und Häppchen-Empfänge der sichtbare Auswuchs eines Gesellschaftswandels. Zusammen essen und trinken galt sicherlich auch in Bayern mal als etwas Gemütliches - so wie ich es auch aus Uganda kenne. In München ist der Lifestyle aber längst geprägt von Hektik und Spontanität. Nicht mehr von Schweinsbraten und Literbier, sondern von Lachsröllchen und Rhabarber-Schörlchen. Die Münchner sind zu Isar-Snackern geworden.

Einige von uns werden standhaft bleiben. Sie werden am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Tages mindestens einmal ordentlich reinhauen. Weil nur, wer eine ordentliche Mahlzeit verträgt, den Appetit im Laufe eines Tages aufbauen und sich dann so richtig auf den Höhepunkt freuen kann: auf eine triefende Bratwurst mit Sauerkraut samt einer Ladung Kartoffeln. Oder auf eine riesige Portion Käsespätzle plus Salat - ohne chen - dafür mit Dressing.

Schön ist: Die einen tun den anderen nicht weh. Sollen sie ihre Mini-Käse-Wraps, ihre Seetang-Salätchen und Cocktail-Tomätchen mit Mozzarella-Bällchen in sich hineinsnacken. Solange es richtige Wirtshäuser gibt, wo die Schweinshaxe und der Semmelknödel noch was bedeuten, lässt sich auch mal ein Häppchen-Empfang überstehen.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2018
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