Süddeutsche Zeitung

Tassilo:Ein eingespieltes Frauenteam

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Seit 2008 führen Renate Eßbaumer und Manuela Schieder bei der Volksspielgruppe Altenerding Regie. Das Repertoire des Vereins haben sie ständig erweitert. Es reicht von der leichten Boulevardkomödie bis zum sozialkritischen Drama. Als nächstes ist ein Mammutprojekt in Planung

Von Regina Bluhme, Erding

Mit dem Dschungelbuch hat alles begonnen. In der Aufführung der Volksspielgruppe Altenerding sollte Renate Eßbaumer den gefährlichen Tiger Shirkan spielen - als Tigerin. Der Einfall von Manuela Schieder sorgte bei ihr erst für Stirnrunzeln und dann für Begeisterung. Inzwischen führen die beiden Frauen seit 13 Jahren bei der Volksspielgruppe gemeinsam Regie. Das Repertoire reicht von leichten englischen Boulevardkomödien bis zu harten sozialkritischen Stücken wie "Madam Bäurin" und zuletzt "Magdalena". Die beiden Regisseurinnen sind sozial engagiert und auf Inklusion bedacht und ein eingespieltes Team. Was die eine über das Stück sagt, hat sich die andere gerade gedacht. Mit der Nominierung für den Tassilo-Kulturpreis der SZ hat aber keine gerechnet. "Eine echte Ehre", sagen sie.

Zum 100-jährigen Bestehen der Volksspielgruppe (VSG) im vergangenen Jahr hatten sich die beiden Regisseurinnen harte Kost ausgesucht. "Magdalena", "eine dörfliche Hetzjagd nach Motiven von Ludwig Thoma" sollte unter freiem Himmel im Bauernhausmuseum Erding aufgeführt werden. Es zeige die verheerenden Folgen von Ausgrenzung und Hetze und passe daher auch in die heutige Zeit, so Manuela Schieder. Die Pandemie machte die Pläne zunichte. Auch für dieses Jahr musten die Aufführungen abgesagt werden. "Es wäre so toll geworden", sagt Renate Eßbaumer und seufzt. Wie immer hatten sie auch für das Stück ihre eigenen Akzente gesetzt, eine neue Figur ins Spiel integriert und eine kleine Rolle mit dem Erdinger Stadtpfarrer Martin Garmaier besetzt. Denn eins zu eins von der Vorlage übernehmen, das ist nichts für die beiden Erdinger Regisseurinnen. "Wir wollen unsere Geschichte erzählen", sagt Manuela Schieder.

In fast allen Fällen, was Auswahl der Stücke, Besetzung oder Ausstattung betrifft, seien sie einer Meinung. "Wir ergänzen uns", sagt Manuela Schieder, 53. "Ich bin diejenige, die mit dem Spielen loslegen will", sagt sie. "Und ich bin eher die Bedenkenträgerin, ob das auch so hinhaut", fügt Renate Eßbaumer, 57, hinzu. Beide eint die Liebe zum Schauspiel. "Das ist eine ganz große Liebe, die wir leider aktuell nicht haben können", so Eßbaumer.

Für ihre ehrenamtliche Regietätigkeit investieren die beiden viel Zeit. Vor einer Premieren stehen über Monate mindestens zweimal in der Woche Proben an. Das kostet Kraft, denn beide sind voll berufstätig. Manuela Schieder arbeitet als Fachkraft für Inklusion bei der Lebenshilfe Erding, Renate Eßbaumer ist Lehrerin an der Grundschule Klettham. Und doch schaffen sie es, bei "Madam Bäurin" 100 Leute auf der Bühne zu koordinieren.

Soziales Engagement sei ihnen wichtig, und Inklusion "eine Herzensangelegenheit", so Schieder. Sie richteten es ein, dass bei "Jedermann" sechs Menschen mit Behinderung mit einem Tanz dabei sind. Bei "Magdalena" waren für eine extra Aufführung Bewohner von Seniorenheimen und Behinderteneinrichtungen eingeladen, sowie Ehrenamtliche, wie zum Beispiel Mitarbeiter der Tafel oder Hospizbegleiter. Renate Eßbaumer hat zudem die Aktion "Wunschsterne" für bedürftige Kinder angestoßen.

Der 1920 gegründete Volksspielgruppe Altenerding ist fest verwurzelt im Landkreis. Mitglieder sind auf Sinnflutfestival vertreten und auf dem Erdinger Weihnachtsmarkt als lebende Krippe. Seit einigen Jahren machen Schauspieler in historischen Kostümen Erdings Geschichte bei Stadtführungen mit Doris Bauer lebendig.

Seit 1987 ist die Volksspielgruppe Trägerin des Kulturpreises des Landkreises Erding. Im vergangenen Jahr erhielt die VSG den Bayerischen Amateurtheaterpreis "Larifari" in der Sparte Boulevard für das Stück "Ladies Night", eine Komödie rund um eine Männer-Strip-Gruppe. Mancher der Schauspieler musst er für den Strip-Auftritt etwas überredet werden. Das ist dann gelungen und auch sonst haben die beiden Regisseurinnen keine Autoritätsprobleme. Es gebe zwar schon Männer, "die kommen mit uns nicht klar", sagt Manuela Schieder. "Aber da stehen wir drüber", so Renate Eßbaumer. Die Auswahl für die Rollen ist ja relativ groß bei 300 Mitgliedern und zwischen 60 und 80 Aktiven. Wobei sich gerne Jüngere melden dürfen. "Wir müssen ja langfristig denken", sagt Eßbaumer. Von der Pandemie lassen sich die beiden Regisseurinnen nicht kleinkriegen. Sie planen vielmehr Großes: Im kommenden Jahr will die VSG die Schwedenspiele auf die Beine stellen. Ein Mammutprojekt.

Die Volksspielgruppe stand schon mehrmals vor der Auflösung. Stücke wurden zuerst in Nebenzimmern von Gaststätten oder Schulbühnen aufgeführt, dann entwickelte sich in den 1970er Jahren eine Theaterkultur mit Freilichtspielen und Aufführungen in der Altstadt und später in der 1984 neu eröffneten Stadthalle in Erding. Jüngst kam das Bauernhausmuseum des Landkreises als Kulisse ins Spiel. Dort wird möglichst authentisch das bäuerliche Leben im 18. und 19. Jahrhundert gezeigt. Es gibt eine Schmiede, eine Kapelle, eine Kegelbahn oder einen Backofen.

Und jetzt die Nominierung für den Tassilo-Kulturpreis. Renate Eßbaumer und Manuela Schieder können es immer noch nicht recht glauben. "Das ist eine echte Ehre für uns", sagt Renate Eßbaumer. Sie habe richtig Gänsehaut bekommen, fügt Manuela Schieder hinzu. Und Gänsehaut bei einer Regisseurin, das kann nur ein gutes Zeichen sein.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2021
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