Süddeutsche Zeitung

Ein Gespräch über Urban Art:"Provokativ, laut und meistens böse"

Lesezeit: 5 min

Beastiestylez ist eine junge Münchner Urban-Art-Künstlerin. Sie malt gerne Frauen, die zwischen den Beinen bluten - und dabei gut aussehen.

Johanna Bruckner

Vom 29. bis 31. Oktober findet in München die "Stroke01" statt - die erste Messe für urbane Kunst in Europa. Wir haben uns mit der 31-jährigen Münchnerin "Beastiestylez" unterhalten - und eine Einführung in die Welt von Marker-Battles, provokanten Bildmotiven und der Faszination von gemeinsamen Mal-Sessions bekommen.

sueddeutsche.de: Was genau macht eine Urban-Art-Künstlerin?

Beastiestylez: Urban Art bezieht sich auf alle Kunstformen, die man in einer Stadt sehen kann - vor allem Graffiti und Sticker-Art. Ich versuche, mich in einem Mittelfeld zwischen Urban Art und klassischer Kunst zu bewegen. Während meines Architektur-Studiums musste ich sehr geradlinig und genau arbeiten. Dann habe ich Kunst studiert - dort wurde ich davon befreit. Und zum Schluss noch Kommunikationsdesign, was sehr grafisch ist. Diese ganzen Dinge fließen bei mir ein - und die will ich auch wiedergeben. Ich hasse Schubladen und will in keine wirklich eingeordnet werden können.

sueddeutsche.de: Wie würden Sie Ihren eigenen Kunststil beschreiben?

Beastiestylez: Charakteristisch für meinen Style sind vor allem die Collagen im Hintergrund. Ich bringe irgendetwas, das schon besteht, in einem neuen Zusammenhang auf die Wand. Allerdings ist das Collagieren nur die Basis-Arbeit für ein Bild - was wirklich zählt, sind die Character (Figuren, Anm. d. Red.). Denen versuche ich eine Aussage mitzugeben, ohne dass ich sie explizit dazuschreibe. Meine Character sollen den Witz des Bildes unabhängig von einer bestimmten Sprachkenntnis, universell verständlich vermitteln. Oberflächlich sind meine Bilder oft lieb und nett - auf den zweiten Blick dann aber derb und provokant. Kinder kommentieren meine Werke oft mit: "Mei, ist das süß!" Wenn dann die Eltern dazukommen, sind diese manchmal ein bißchen schockiert.

sueddeutsche.de: Was zeigen Sie denn Schockierendes?

Beastiestylez: Bei der "Cheap like wow"-Serie geht es beispielsweise um alles, was billig ist - billig ist zum Beispiel H&M. Also habe ich ein Schulmädchen gemalt, das vom exzessiven Billig-Klamotten-Shopping schon zwischen den Beinen blutet. Ich male gerne Frauen, die zwischen den Beinen bluten - weil das ein Schockthema ist. Wenn Männer nur das Wort "Menstruation" hören, stellen sich Ihnen die Nackenhaare auf. Bei meiner Märchen-Serie versuche ich dagegen, bekannte Märchen bildlich umzudichten, den Spieß umzudrehen. Deshalb verführt bei mir auch das Rotkäppchen den Wolf - und rammt ihm, während er sie liebestoll anhimmelt, ein Messer in den Rücken.

sueddeutsche.de: Ihre Bilder sind also durchaus gesellschaftskritisch?

Beastiestylez: Größtenteils sind sie sozialkritisch - aber nicht immer. Ich halte einfach gerne bestimmten Gesellschaftsformen einen Spiegel vor. Konstante in meinen Werken sind spezielle Arbeitstechniken: Die Collagen, verschiedene Spritztechniken und die Dreidimensionalität der Character. Deren besondere Augenform ist mein Markenzeichen.

sueddeutsche.de: Ende September hat die "Secret Wars Battle Tour" in München Station gemacht - Sie haben teilgenommen. Worum geht es bei dem Kunstprojekt?

Beastiestylez: "Secret Wars" - also "geheimer Kampf" - ist ein feststehender Begriff in der Szene: Zwei Künstler battlen (bekämpfen, Anm. d. Red.) sich bewaffnet mit Markern auf einer Leinwand. Bei der "Secret Wars Battle Tour" sind Caparso und Mike Okay, zwei Künstler aus Dresden und Halle, 18 Tage lang durch verschiedene Städten in Deutschland Österreich und der Schweiz gereist - und jeden Abend gegen ein Team aus einer anderen Stadt angetreten.

sueddeutsche.de: Was kam bei dem Battle dann konkret auf Sie zu?

Beastiestylez: Bis wir vor Ort waren, wussten wir nicht genau, wie das Ganze abläuft. Dort hieß es: 90 Minuten, nur schwarze Marker, eine Leinwand. Wenn dann plötzlich der Countdown heruntergezählt wird, steigt die Aufregung. 90 Minuten - die gehen schneller vorbei, als man denkt! Die anderen beiden haben sofort losgelegt - wir standen am Anfang ein bisschen überrumpelt und zögernd da. Mein Partner Fader und ich sind es nicht gewohnt, auf Kommando loszulegen.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, ob die Münchner-Kombo das Marker-Duell gewinnen konnte.

sueddeutsche.de: Gab es ein vorgegebenes Thema oder waren Sie in der Motivwahl völlig frei?

Beastiestylez: Vorgaben gab es keine. Wir haben überlegt, was man schnell zeichnen kann: Keine komischen Verrenkungen, die die Character machen - sondern einfache Formen, von denen man in kurzer Zeit viele malen kann. Ich bin dann auf einen Baum gekommen, der sich über das ganze Bild zieht. Daraufhin war klar: Fader muss mich irgendwo ansägen, zerstören. Das hat auch ganz gut auf unsere Kombo gepasst: Er, der Mann, der wie wild an mir, der Frau, rumsägt, rumbaggert.

sueddeutsche.de: Wie wurde das Siegerduo bestimmt?

Beastiestylez: Mit Applaus. Da hatten wir durch den Lokalpatriotismus der Zuschauer natürlich die besseren Karten - und haben die anderen gleich um zwei Dezibel geschlagen. Allerdings waren Bilder sehr gut - mir wäre es schwer gefallen, mich für einen Gewinner zu entscheiden.

sueddeutsche.de: Sie sind eine von nur zwei Frauen unter den Teilnehmern gewesen: Ist die Urban Art generell eine Männerdomäne - oder scheuen Künstlerinnen eher den Wettkampf?

Beastiestylez: Es gibt zwar viele Mädels, die malen, aber in der Urban Art sind die Männer deutlich in der Überzahl. Urban Art ist eher provokativ, laut, bunt und meistens auch böse - Frauen bevorzugen dagegen eher klassische Malerei und romantische Darstellungen. Ich denke auch, dass der Drang, sich zu bekämpfen und zu beweisen, etwas ist, das unter Jungs verbreiteter ist als unter Mädels. Battle - "Krieg" - hört sich erst mal furchtbar und feindselig an. Dabei ist es das gar nicht: Bei Rap-Battles geht es konkret darum, jemanden zu beleidigen und mit Worten niederzumachen. In Mal-Battles geht es eher darum, seine Skills (Kunstfertigkeiten, Anm. d. Red.) zu zeigen und am Ende ein beeindruckendes Bild abzuliefern. Battle bezieht sich im Prinzip nur darauf, dass am Ende über einen Sieger und einen Verlierer entschieden wird.

sueddeutsche.de: Gibt es eine Ausstellung mit allen Bildern der Tour?

Beastiestylez: Wir konnten unser Bild mitnehmen. Vielleicht stellen wir es noch irgendwo aus - oder übermalen es. Bei Urban Art geht es weniger darum, was mit dem fertigen Graffiti oder Bild passiert. Wichtig ist der Spaß beim gemeinsamen Malen. Natürlich weiß jeder für sich, wie sein eigener Part aussehen wird - aber man weiß nicht, wie das Ganze am Ende im Zusammenspiel wirkt. Oft tritt man am Ende von der Wand weg und denkt sich: "Wow!" Das ist wie ein Geschenk.

sueddeutsche.de: Ist man als Urban-Art-Künstler also eher Gruppen- als Individualkünstler?

Beastiestylez: Urban Artists wachsen quasi in dem Bewusstsein auf, dass es zu wenig Platz gibt. Gerade München ist sehr restriktiv, was die Freigabe von freien Flächen angeht. Wände bemalen ist in Beamtenköpfen Sachbeschädigung. Also ist es logisch, dass man sich die legalen Flächen teilen muss - und nicht sagen kann: "Da hab' ich hingemalt - da darfst du nicht mehr!" Meiner Meinung nach, macht es viel mehr Spaß in Gesellschaft zu malen und mit anderen kreativen Köpfen etwas Neues entstehen zu lassen - so inspiriert man sich gegenseitig. Es gibt aber auch einige, die das ganz anders sehen und auf ihre eigene Fläche bestehen. Leider!

sueddeutsche.de: Welche Empfehlungen können Sie Urban-Art-Einsteigern in München geben?

Beastiestylez: Wer sich für Urban Art interessiert, kann zum Beispiel in die "Galerie Richter&Masset" in Hadern gehen - hier hängen auch oft meine Arbeiten. Und dann ist graffititechnisch immer viel geboten in der Tumblingerstraße in Sendling oder an der Brudermühlbrücke. In München gilt in Bezug auf Urban Art "Klasse statt Masse". Gerade weil es so wenig Fläche gibt, haben die Künstler den Anspruch, etwas Gescheites zu produzieren. Wirklich schlechte Sachen sieht man kaum - und wenn, dann nicht lange!

Weitere Informationen zur Künstlerin und Impressionen ihrer Arbeit sind unter www.myspace.com/beastiestylez oder www.galerie-richter-masset.de zu finden. Die Urban-Art-Messe "Stroke01" findet vom 29. bis 31. Oktober in der ehemaligen BMW-Niederlassung in der Dachauer Straße 92 statt.

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