Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 102:Krönchen für alle

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Seit einigen Wochen arbeitet auf der Ebersberger Intensivstation eine eigene Physiotherapeutin, die jeden Vormittag ausschließlich für die Patienten dieser Abteilung zuständig ist. Pola Gülberg ist eine große Anhängerin der neuen Struktur.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Es liegt noch nicht lange zurück, da gab es auf unserer Intensivstation das Konzept des sogenannten Krönchenpatienten: In jedem Frühdienst wurde ein Patient festgelegt, bei dem an diesem Tag eine aufwändigere Mobilisation zusammen mit den Physiotherapeuten erfolgen sollte. Es ging um Zeit: Die Physiotherapeuten kamen morgens zu uns auf die Station und haben mit den zuständigen Pflegekräften besprochen, wo und was genau am Patienten gearbeitet werden soll. Pro Patient hatten sie dann 20 Minuten - wenn eine Behandlung mehr Zeit in Anspruch genommen hat, musste sie bei einem anderen Patienten eingespart werden.

Das bedeutet nicht, dass bei den übrigen Patienten, denen die Ärzte Physiotherapie angeordnet hatten, nichts gemacht wurde. Aber wenn beispielsweise die Mobilisation hin zum Sitzen an der Bettkante schon relativ gut geklappt hat, dann haben wir Pflegekräfte das alleine übernommen. Die Physiotherapeuten arbeiteten dann weiter gezielt am Stehen oder Gehen. Oder es hat vielleicht auch mal ausgereicht, sich an diesem Tag auf die Atemtherapie zu konzentrieren. Die ist nicht weniger wichtig als eine Mobilisation, aber eben nicht so zeitintensiv.

Das Konzept des Krönchenpatienten war das beste, das unter den gegebenen Umständen möglich war. Und dennoch: Es war nicht ideal. Umso mehr freut es mich und meine Kolleginnen aus der Pflege, dass unsere Station seit gut zwei Monaten eine eigene Physiotherapeutin hat. An fünf Tagen die Woche ist sie halbtags nur für unsere Patienten auf der Intensivstation da - das heißt: Die Physiotherapie liegt jeden Tag in den Händen derselben Person, das ist ein enormer Gewinn für alle.

Vorher kam meistens ein Team von drei Physiotherapeuten. Je nachdem, wer Dienst hatte, waren es heute andere als gestern. Da bedurfte es vieler Absprachen über den Verlauf der Therapie am vorangegangenen Tag. Durch die neue Struktur kennt unsere Therapeutin nun all unsere Patienten genau, ihre Diagnosen, Biografien, Ressourcen und Fortschritte. Dadurch kann sie leichter an die bisherige Behandlung anknüpfen und flexibler reagieren. Wenn zum Beispiel ein Patient in der Nacht instabil geworden ist, und es im Frühdienst heißt "heute bitte keine Mobilisation", dann arbeitet sie ohne großen Aufwand gezielt und selbstständig an anderen Problemstellen des Patienten.

Früher war es häufig nicht anders möglich, und die Therapeuten hatten nur dann Zeit für unsere Patienten, wenn wir Pflegekräfte in der Pause waren. Jetzt hingegen kann sich unsere Therapeutin nach uns richten, wir gehen schließlich nicht alle gleichzeitig in die Pause. Außerdem ist die Vertrauensbasis größer, wenn sich Patienten auf nur eine Therapeutin einstellen können - das wirkt sich positiv auf den Genesungsprozess aus.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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