Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 144:Kleinkind in der Notaufnahme

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Pola Gülberg und ihre Kollegin stoßen zu der Behandlung eines zweijährigen Kindes hinzu, bei dem nach einem Sturz der Verdacht auf eine Hirnblutung bestand. Eine extrem herausfordernde Situation, zumal beide Pflegerinnen selbst Mütter sind.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Unser Patient war ein Kleinkind, höchstens zwei Jahre alt. Genau genommen war es nicht "unser" Patient: Die Eltern kamen mit dem Kind im Arm in die Notaufnahme gelaufen, völlig aufgelöst und panisch schrien sie um Hilfe. So haben es mir die Kollegen später erzählt. Das Kind habe nur noch Laute von sich gegeben und war nicht kontaktfähig - es war aus dem ersten Stock gefallen. Es bestand Lebensgefahr, oder wie wir sagen: ein Patient mit vitaler Bedrohung. In solchen Fällen benachrichtigt die Notaufnahme einen Anästhesisten, der zusammen mit einer Anästhesie-Fachpflegekraft hinzukommt. Kann die Pflegekraft aber gerade nicht, geht jemand von uns Intensivleuten mit.

Es war gerade Übergabe von Früh- auf Spätschicht und ich hatte meine Kollegin gesucht, weil ich ihre Patienten übernehmen sollte. Als ich dann erfuhr, dass sie bei dem zweijährigen Kind dabei war, habe ich nicht lange überlegt und ging auch hinzu. Ein solch kleinen schwer verletzten Menschen zu versorgen steht an unserer Klinik alles andere auf der Tagesordnung - und meine Kollegin ist selbst Mutter eines Kindes in dem gleichen Alter. Niemand sollte solch einer enorm belastenden Situation alleine ausgesetzt sein müssen - wir sind keine Kinderkrankenpflegerinnen, viele von uns ganz bewusst nicht.

Normalerweise behandeln wir in Ebersberg keine Kleinkinder. Dafür gibt es spezielle Kliniken mit entsprechender Ausrichtung und Fachpersonal. Wenn aber Eltern mitsamt Kind zu Fuß in die Notaufnahme laufen und die Situation offensichtlich nicht gut aussieht, dann wird natürlich niemand weggeschickt. Deshalb halten wir auch Kindernotfallsets vor, denn selbst die kleinste Tubusgröße ist für ein Kind immer noch viel zu groß.

Als ich im Behandlungsraum die Anästhesistin sah, war ich erleichtert: Es war die Kollegin, die neben ihrer Arbeitsstelle in Ebersberg noch eine zweite hatte - als Kinderanästhesistin. Und das Kindernotfallteam aus München war bereits auf dem Weg zu uns. Das war auch wichtig, denn es bestand der Verdacht auf eine Hirnblutung: Das Kind musste so schnell wie möglich in eine Fachklinik.

Eine gute halbe Stunde später war die Kindernotärztin da. Nachdem sie und ihr Team das Kleinkind im Heli mitgenommen hatten, räumten meine Kollegin von der Intensiv und ich den Behandlungsraum auf. Mir ging es einigermaßen gut, trotz der Tatsache, dass ich selbst Mutter bin. Aber nicht nur ist mein eigenes Kind schon einige Jahre älter als unser kleiner Patient. Ich war auch nicht von Anfang an in die Behandlung involviert, sondern eher ein Back-up für meine Kollegin. Sie hingegen hat alles mitbekommen, sogar zusammen mit der Ärztin intubiert - und zu Hause ihr eigenes Kleinkind. Das ist einfach hart.

Meine Kollegin ist dann kurz rausgegangen. Sie sagte, dass sie einen Moment für sich brauche, vielleicht noch kurz weinen müsse, um Druck abzulassen, bevor wir uns wieder unserer normalen Arbeit widmen konnten: Sie musste mir schließlich auf der Intensivstation noch zwei Patienten übergeben.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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