Süddeutsche Zeitung

Mitten in Grafing:Wenn Vorbilder versagen

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Eltern im Home-Office sollten Kindern beim Home-Schooling zeigen, wie's geht. Doch manchmal lassen sich die Emotionen einfach nicht so richtig kontrollieren

Glosse von Anja Blum

Nun also sind die Schulen auch im Landkreis Ebersberg wieder geschlossen, war ja abzusehen. Vor Kindern, Eltern und Lehrern liegen mindestens drei anstrengende Wochen Homeschooling. Wie kann man diese Zeit möglichst unbeschadet überstehen, wenn die ganze Familie am Küchentisch sitzt, an Arbeitslaptops und Schul-Tablets, über Heften und Büchern? Eine der goldenen Regeln in der Erziehung besagt, dass alles ermahnen, schimpfen und strafen wenig bringt, wenn die Eltern ihre Vorbildfunktion nicht ausreichend erfüllen. Also immer das Richtige tun - auf dass der Nachwuchs in der Nachahmung ebenso handle.

So weit die schöne Theorie. In der Praxis sieht das allerdings oftmals ganz anders aus, gerade in diesen Zeiten. In der Vorahnung dessen, was da nun auf sie zukommen wird - schließlich gab es im Frühjahr schon den ersten Durchlauf - liegen bei den Eltern, zum Beispiel in Grafing, die Nerven nämlich schon jetzt ziemlich blank. Deswegen werden all die Wichtigtuer im Klassenchat, die immer alles besser wissen, schon am familiären Frühstückstisch mit allerlei Boshaftigkeiten bedacht. Vielleicht wäre denen ja eine Bewerbung bei Herrn Piazolo zu empfehlen, der bayerische Kultusminister scheint ja gerade jede fachliche Unterstützung gebrauchen zu können. Oder, noch besser, einfach mal die F*** halten!

Oh weh, ist da wirklich gerade dieses böse Wort gefallen? "Aber Mama, das macht uns gar nix aus", sagt der zwölfjährige Sohn spitzbübisch, und auch die achtjährige Schwester grinst. Aber die elterliche Vorbildfunktion, das geht doch nicht, erinnert man sich und die Kinder an die goldene Regel. Da schaut der Sohn hoch. "Ach, vergiss es doch. Dieser Zug ist schon lange abgefahren." Wieder breites Grinsen.

Nach einem kurzen Schreckmoment lachen auch die Eltern. Echt? So ist das? Na, dann können die nächsten Wochen ja so schlimm gar nicht werden.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2021
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