Süddeutsche Zeitung

Landkreis Ebersberg:Günter Grass setzt sich für Abhol-Erlaubnis in Büchereien ein

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Ein Zornedinger Leser wendet sich an den Ebersberger Landrat, dieser ans Ministerium.

Von Anja Blum, Zorneding

Günter Grass setzt sich für die Belange der Büchereien ein. Schön wär's, kann aber nicht sein - mag da so mancher denken, weil Grass schon vor einigen Jahren gestorben ist. Und doch stimmt die Nachricht, es handelt sich um einen Namensvetter des großen deutschen Autors, Günter Grass aus Zorneding. Seine Eltern hätten aber bei der Namenswahl keine besondere Absicht verfolgt, sagt er und lacht, schließlich sei der berühmte Grass damals selbst noch ein kleiner Junge gewesen.

Trotzdem kann man sagen "nomen est omen", denn aus Günter Grass, dem Zornedinger, ist ein Literaturfan geworden, ein "regelmäßiger Vielleser". Deswegen hat der Rentner nun einen Brandbrief an den Ebersberger Landrat geschrieben, mit der Bitte, den Büchereien im Landkreis einen Abholservice zu ermöglichen. Dieser war ihnen nämlich bislang untersagt. Erst am Mittwoch hat die bayerische Staatsregierung beschlossen, Bibliotheken und Archiven die Abholung vorbestellter Bestände zu erlauben. Vermutlich hatte es mehrere Interventionen wie jene aus Ebersberg gegeben.

Er könne die strengen Regelung für Bücherein nicht nachvollziehen, schrieb also Grass an Landrat Robert Niedergesäß. Schließlich habe sich in Zorneding bereits erwiesen, dass die Buchausleihe per Vorbestellung und Abholung problemlos kontaktfrei möglich sei. Und spätestens jetzt, wo im Einzelhandel "click und collect" erlaubt ist, "kann ich keinen Grund erkennen, geistige Nahrung schlechter zu stellen als Konsumgüter aller Art", so Grass.

"Die erwachsenen Nutzer und nicht weniger die Kinder in Homeschooling, die in Zorneding einen Großteil der Leserschaft bilden, haben ein berechtigtes Interesse, sich angesichts der vielen coronabedingten Einschränkungen wenigstens mit einem guten Buch oder anderen Medien Abwechslung und Freude zu bereiten." Und: Wer zu viel und nicht mehr nachvollziehbar verbiete, so Grass, erreiche am Ende wenig bis gar nichts und verspiele das gerade jetzt so überaus wichtige Vertrauen in die Staatsgewalt. Insofern bitte er den Ebersberger Landrat, hier möglichst rasch eine Lockerung herbeizuführen - "und ich weiß mich damit einig mit den vielen weiteren sehr zufriedenen Nutzern der Zornedinger Gemeindebücherei".

Und nicht nur das: Auch die Ebersberger Bibliothekarinnen selbst konnten die Einschränkungen nicht nachvollziehen und waren enttäuscht. Die Büchereien im Landkreis würden liebend gerne eine kontaktlose Abholung anbieten, wie sie bereits kurze Zeit erlaubt gewesen war, hieß es noch am Mittwochvormittag.

"Da haben wir in unseren Vorraum die bestellten Stapel gelegt und mit Zetteln versehen, das hat super funktioniert und wurde von den Lesern auch sehr gut angenommen", erzählte die Zornedinger Büchereichefin Monika Schanzenbach, und die Kollegin aus Poing sprang ihr bei: "Die Abholung ist tatsächlich absolut kontaktlos möglich und wäre wirklich ein tolles Angebot, vor allem als Unterstützung für die Familien", so Gertraud Bamberg. Denn gerade jetzt, im Lockdown, seien gute Literatur, Gesellschaftsspiele oder Lernmaterialien doch besonders wichtig, sagte auch Patrizia Schukowski, Leitung der Bücherei in Vaterstetten. "Wir dürfen nicht schon wieder durchs Raster fallen!"

Einig sind sich die Bibliothekarinnen zudem darin, dass "das ewige Hin und Her der Anweisungen stresst und frustriert". Komplette Schließung, nur Lieferservice oder doch Abholung, dann wieder eine Öffnung unter strengen Hygienevorschriften? Wer soll sich da noch auskennen? Zumal ein Lieferservice nur für wenige Büchereien im Landkreis überhaupt infrage kommt - gerade bei großen Gemeinden wäre der Aufwand einfach zu groß. Zu viele Leser, zu weite Entfernungen, zu wenige Helfer, denn die Ehrenamtlichen gehören meist zur Risikogruppe der Senioren und sind schon lange nicht mehr in den Ausleihen tätig. Deswegen durfte man zum Beispiel in Zorneding, aber auch in Vaterstetten oder Poing zuletzt leider überhaupt keine neuen Medien ausleihen.

In manchen anderen Kommunen hingegen konnten sich die Leser ihre Medien zuletzt liefern lassen - "halt im Rahmen unserer Möglichkeiten", sagte Manuela Reinhardt, die Chefin der Kirchseeoner Bücherei am Mittwoch, und schob hinterher: "Wir sind gerade nur zu zweit und in Kurzarbeit." Trotzdem tue man, was man könne - und hoffe derweil auf die Erlaubnis einer Abholung vor Ort. "Das wäre ideal."

In Grafing konnte man ebenfalls ausleihen und bringen lassen, jeweils zehn Medien pro Haushalt. "Wir sammeln die Bestellungen, sortieren sie nach Wohngebieten, und wenn ein bisschen was zusammengekommen ist, liefern wir es aus", erklärte Ursula Schneider das Prozedere. Nach kurzer telefonischer Vereinbarung stelle sie eine Tüte mit den gewünschten Medien vor die Haustür, mit Maske versteht sich, klingele, "und dann gehe ich weg". Der Aufwand halte sich also im Rahmen, auch weil die Bestellungen nicht allzu viele seien. Allerdings hatte die Grafinger Bücherei das Angebot zuletzt auf das Stadtgebiet begrenzt, Leser in Jakobneuharting, Frauenneuharting oder Aßling wurden nicht mehr beliefert. Die Ebersberger Ausleihe wiederum wollte soeben erst einen Lieferservice einrichten, mit Unterstützung von Mitarbeiterinnen der Offenen Ganztagsschule.

Und wie reagierte die Politik? Der Ebersberger Landrat Niedergesäß schrieb an Grass: "Ihre Argumente kann ich nicht widerlegen, ich kann sie im Gegenteil sehr gut nachvollziehen." Auch er sei der Ansicht, dass es wie beim Einzelhandel möglich sein müsse, im Sinne von "click und collect" Medien in Büchereien abzuholen, ohne dabei die Anforderungen an ein analog zum Einzelhandel geltendes Hygienekonzept zu verletzen. Doch leider seien dem Ebersberger Landratsamt in dieser Sache die Hände gebunden, "der Freistaat Bayern macht hier die Vorgaben und die sind derzeit sehr streng, so Niedergesäß.

Trotzdem sei er gerne bereit, nach Spielräumen zu suchen, "die wir immer im Sinne einer möglichst liberalen Handhabung nutzen". Außerdem habe Ebersberg das Thema nun "nach oben", ins bayerische Innenministerium, zur Prüfung weitergeleitet. "Hoffen wir auf eine zeitnahe Lösung!" So geschrieben am Mittwoch, in aller Herrgottsfrüh. Es schien also Bewegung in die Sache zu kommen, die durch die erneute Verlängerung des Lockdowns bis Mitte Februar ja umso dringlicher geworden war.

Und dann, bereits am Mittwochnachmittag, drang aus dem bayerischen Kabinett die "erfreulich Nachricht bezüglich Ihres/unseres Anliegens", so Niedergesäß an Günter Grass. Der Zornedinger war freilich hocherfreut und bedankte sich beim Landrat für die gute "Zusammenarbeit". In diesem schönen Moment des Erfolgs bleibe nur noch eine Frage offen: "Hat Alois Hingerl der Staatsregierung die göttliche Eingebung übermittelt - oder erweist sie sich selbst als lernfähig? Letzteres würde zu großen Hoffnungen Anlass geben."

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Quelle:
SZ vom 21.01.2021
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