Süddeutsche Zeitung

Kultur im Landkreis:Wenn Realität zur Fiktion wird

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Die Besitzerin des Kirchseeoner Buchladens Hedwig Wobken ließ sich vor mehr als zwei Jahren von Krimiautorin Petra Johann ausführlich befragen. Jetzt ist der Thriller "Der Buchhändler" erschienen.

Von Michaela Pelz, Kirchseeon

"Mir gefällt, was ich sehe. Die deckenhohen Holzregale, die sich an den Wänden entlangziehen. Die zwei gemauerten Säulen, die die gewölbte Decke stützen." So beschreibt Ich-Erzähler Erik auf Seite 15 jene Buchhandlung, die er gerade erst übernommen hat. Die passende Inspiration für das Setting ihres Thrillers "Der Buchhändler" suchte sich Autorin Petra Johann im Landkreis Ebersberg, und zwar in der Kirchseeoner Buchhandlung von Hedwig Wobken.

Als bei dieser 2019 das Telefon klingelte, war am anderen Ende der Leitung Gänsehautspezialistin Johann, die seinerzeit noch in Grafing lebte und Hintergrundinformationen für ihr neues Buch sammeln wollte. Authentizität sei ihr als promovierte Mathematikerin außerordentlich wichtig, erzählte sie damals im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, weswegen sie sich stets Gesprächspartner aus dem jeweiligen Metier suche.

"Das mit dem Ambiente hat sie schon mal ziemlich gut hingekriegt," lacht Wobken. Auch die Atmosphäre eines Buchladens in einer bayerischen Kleinstadt sei in dem Roman gut getroffen, denn "auch für viele meiner großen und vor allem kleinen Kunden ist das hier der schönste Ort von ganz Kirchseeon", ergänzt sie. Dann allerdings enden die Gemeinsamkeiten von Realität und Fiktion, vor allem natürlich, was die Details der Handlung anbetrifft.

Der Ort im Roman scheint eine Idylle zu sein - zumindest auf den ersten Blick

Im Zentrum der Geschichte steht ein Mittdreißiger, der nach einem persönlichen Drama nebst gescheiterter Beziehung sein bisheriges Leben umkrempelt, dabei auch Wohn- und Arbeitsort wechselt. Seine Buchhandlung läuft gut, und bald schon ist er Mitglied im örtlichen Volleyballverein, wie auch ein Großteil der Bewohner einer Siedlung am Ortsrand. Man freundet sich an, doch schnell zeigt sich, dass auch in dieser scheinbaren Idylle die innerfamiliären Beziehungen nicht komplett spannungsfrei sind.

Da ist der Pädagoge, Typ alternder Surflehrer, der sich von seiner maximal akkurat gestylten Frau getrennt hat, die keine Gelegenheit für kleine und große Gehässigkeiten auslässt und ihren Ex auch gern der Vernachlässigung der gemeinsamen Tochter bezichtigt. Die daneben wohnende Finanzbeamtin und ihr Informatiker-Gatte wiederum haben Probleme mit ihrer 16-jährigen Teenagertochter. Der einzige, bei dem - abgesehen vom schweigsamen Bruder, der einen Schicksalsschlag erlitten hat - alles zu stimmen scheint, ist ein von jedem gut gelittener Schreiner und CSU-Stadtrat mit pubertierendem Sohn sowie "feengleicher" Frau und Tochter.

Doch als eines Morgens eins der Kinder nicht mehr da ist, bricht so manche Fassade zusammen und unschöne Wahrheiten kommen ans Licht. Das gilt auch für den Buchhändler, den nun nicht nur die ermittelnden Kommissarinnen genau ins Visier nehmen ...

Am Anfang der Recherche war das Schicksal der Figur noch komplett unklar

Die Figur, für die Wobken aus Kirchseeon das Grundgerüst lieferte, ist also durchaus nicht unumstritten. Doch für die Buchhändlerin ist das völlig in Ordnung so: "Ich weiß noch genau, wie Frau Johann bei unserem Gespräch sagte, sie stünde noch ganz am Anfang und könne zu diesem Zeitpunkt daher absolut nicht sagen, wie sie den Buchhändler verewigen würde - ob als Mörder oder Ermordeten." Dennoch fühle man sich sehr geschmeichelt, quasi beim Entstehungsprozess dabei gewesen zu sein, zumal die Story von Johann insgesamt sehr stimmig sei und "einiges an Kaliber" habe. Und es gibt noch einen Punkt, den Hedwig Wobken hervorhebt: "Schon auch Wahnsinn, wie sie die vielen Personen beschreibt, so dass man eine gute Vorstellung der Typen hat."

Da kann man ihr nur zustimmen, denn tatsächlich gehören zum ausgesprochen umfangreichen Cast dieses von der ersten Seite an faszinierenden Thrillers nicht nur die Bewohner des fiktiven 10 000-Seelen-Orts Neukirchen, sondern auch diejenigen, die den Fall aufklären sollen. Vor allem drei Frauen stechen dabei heraus: eine Hauptkommissarin, die auf eigenen Wunsch nur noch Schreibtischdienst machen wollte und für die Ermittlungen sogar von einer Trauerfeier weggeholt wird. Ihre Kollegin, die aufgrund eigener Mobbingerfahrungen in ihrer Jugend genau weiß, was Menschen Menschen antun können. Und eine Hundeführerin, die vielleicht auf den ersten Blick vor allem schrill und überdreht wirkt, aber eine Menge auf dem Kasten hat.

Fazit: ein absolut lesenswerter Pageturner

Wie diese drei Frauen gemeinsam alles daran setzen, das Kind zu finden und den Fall aufzuklären, dabei auch persönlich nicht unbeteiligt bleiben, das ist großes Kino und bis zum überraschenden Finale ausgesprochen lesenswert. Dem stimmt auch Hedwig Wobken vollumfänglich zu.

Doch wie ist das mit dieser einen Frage in einer der allerersten Szenen des Romans? Da will eine neugierige Zehnjährige vom Buchhändler kurz nach Geschäftsübernahme wissen: "Wie viel Bücher sind in diesem Laden?" Könnte die Inhaberin der Kirchseeoner Buchhandlung das auf Anhieb beantworten? "Mittlerweile ja", schmunzelt Wobken, die in ihrem Laden bald fünfjähriges Jubiläum feiert. Neben "Welches ist das Buch mit den meisten Seiten?" sei dies nämlich eine der typischen Kinderfragen. Ganz genau wisse man die Anzahl der Bücher aber natürlich immer nur nach einer Inventur. Und, wie viele sind es? "So um die 3200", antwortet die Buchhändlerin. Die meisten Seiten hätten übrigens ein Wörterbuch und die Bibel.

Petra Johann: "Der Buchhändler." Rütten & Loening, Berlin 2022. 431 Seiten, 16,99 Euro.

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