Süddeutsche Zeitung

Kultur im Landkreis Ebersberg:Wenn Fantasie auf Reife trifft

Lesezeit: 6 min

Die Jury und das Publikum des Jugendkulturpreises haben ihre Gewinner gekürt. Über Werke mit vielen liebevollen Details - und bedenkenswerten Botschaften.

Von Anja Blum, Ebersberg

Umweltschutz, Corona, Menschenrechte, aber auch ein Verbrechen und die Sehnsucht nach einem anständigen Bolzplatz: All diese Themen und noch viele mehr haben junge Kreative diesmal mit ihren Werken für den "Jugendkulturpreis" behandelt - und damit dessen Macher und Juroren begeistert. "Wir waren zutiefst berührt von Euren Gedanken und Ideen, von Eurer Reife und Fantasie", so deren Fazit. Jede einzelne Einreichung habe ihren ganz individuellen Charme, weswegen es der Jury alles andere als leicht gefallen sei, ihre Entscheidungen zu treffen. Doch nun ist bekannt, zugunsten welcher junger Künstlerinnen und Künstler sie ausgefallen sind. Und auch das Publikum hat seinen Liebling gewählt - mit 41 Prozent aller abgegebenen Stimmen.

Das Motto lautet "Platz da?!" - und generiert eine rekordverdächtige Beteiligung

Der Wettbewerb wird jedes Jahr vom Kreisjugendring für den ganzen Landkreis ausgelobt. Unter dem Motto "Platz da?!" haben diesmal 75 Kinder und Jugendliche Arbeiten eingereicht - ein Rekordergebnis. Allerdings konnte die Ausstellung unter dem Dach des Ebersberger Kunstvereins heuer wegen der Pandemie leider nicht in Präsenz gezeigt werden, die Veranstalter entschieden sich erneut für eine Onlinepräsentation. Auf einer eigens eingerichteten Homepage kann man alle Werke bestaunen - vor allem Bilder, Objekte, Texte und Videos wurden eingereicht - und per kurzem Film die Preisverleihung mitverfolgen. Da die Altersspanne auch heuer wieder groß war, sie reichte von sieben bis 18 Jahre, hat die Jury ihre Preise in zwei Kategorien vergeben (sieben bis elf und zwölf bis 18 Jahre). Außerdem gab es einen Sonderpreis für eine Klasseneinreichung.

Über den fünften Platz in der Kategorie der Jüngeren dürfen sich drei elfjährige Mädchen freuen: Isabella, Laura und Mirjam haben die Folgen der Corona-Pandemie in einem Video veranschaulicht. Das Virus als Ballon, der sich unvermittelt aufbläst und alles um ihn herum umschmeißt. Das Urteil der Jury: Dieses Video sei so charmant wie witzig und bringe das Thema - "Platz da!?" - absolut auf den Punkt. Eine eher ungewöhnliche Interpretation hingegen lieferte der neunjährige Benjamin. Sein Objekt aus Pappe, Holz und vielen Spielzeugautos zeigt einen "Bankraub", beziehungsweise die anschließende Verfolgungsjagd von Polizei und Diebesbande. "Diese Arbeit hat uns wirklich zum Lachen gebracht - und mit ihrer Dynamik überzeugt", so die Jury. Deswegen: ebenfalls Platz vier.

Der kleine "Ich-ich-ich-König" landet auf dem zweiten Platz der Jüngeren, ein Geigenkasten auf dem ersten

Mit dem dritten Preis belohnt wurde die Arbeit der zehnjährigen Jana, ein Wimmelbild in 3-D. In einem Pappkarton sind sich hier zwei Sphären gegenübergestellt, eine grau-triste Corona-Welt, und eine fröhliche, bunte, ganz ohne Pandemie. "Diese Arbeit zeigt schön, was wir alle vermissen, Eis essen, baden gehen, die Familie und Freunde treffen", so die Jury. Außerdem habe sich die junge Künstlerin unglaublich viel Mühe gegeben, ihre Darstellung mit Details anzureichern, zum Beispiel kann man hier winzige Masken aus dem originalen Material entdecken.

Ganz genau hinsehen muss man auch bei dem Bild "Platz für Viele" von Marie, mit sieben Jahren die jüngste unter den Teilnehmenden. Auf einer Erdkugel tummeln sich dort die verschiedensten Geschöpfe und Dinge, Tiere, Kinder, Müllberge. So liefere die Zeichnung sehr viele Perspektiven auf das Thema, urteilen die Juroren - aber ganz besonders gefallen habe ihnen Maries "Ich-ich-ich-König". Dafür also Platz zwei.

Gewonnen aber hat in der Kategorie der Jüngeren eine Gruppe aus vier Mädchen, Svea und Marta (beide elf) sowie Ella und Paula (beide zwölf). Ihr Objekt heißt "Platz da für freie Tiere" und ist zunächst ein mit dem Titel bemalter Geigenkasten. Darin aber befindet sich kein Instrument, sondern eine Miniaturwelt, ein Paradies für allerlei Wesen, mit vielen unterschiedlichen Materialien und noch mehr Liebe gestaltet. Man kann Pinguine entdecken, Fische, Schafe, Bäume, Schmetterlinge und über allem einen dicken, bunten Regenbogen. "Das hat uns wirklich umgehauen", lautet das Lob der Jury.

Ist es eine gute Idee, wenn sich der Mensch Platz verschafft?

Zwar nur gedanklich interaktiv ist ein Spiel, das die zwölfjährige Selina eingereicht hat, doch die Jury war trotzdem begeistert: das Coronavirus als monstermäßige Bowlingkugel, die lauter andere wichtige Themen wie Artenschutz und Klimawandel vom Tisch kegelt. Das ist witzig-frech und auf den Punkt - dafür Platz vier in der Kategorie der Älteren. Diesen Platz auf dem Treppchen teilt sich Selina allerdings mit der 16-jährigen Yoana. Ihre Zeichnung im Manga-Stil zeigt eine Alltagsszene, eine junge Frau in einer überfüllten U-Bahn, Kopfhörer in den Ohren, den Blick gesenkt. Die Stimmung dieses Bildes setzte das Thema des Wettbewerbs toll um, so die Jury, außerdem sei es technisch sehr gelungen. Einen anderen Ansatz verfolgt die zwölfjährige Emilia mit ihrem eindrücklich Objekt "Platz da - der Mensch kommt": Man sieht hier einen silbernen Fuß, der im Begriff ist, auf eine Erdkugel zu treten. In dem Globus stecken lauter Fähnchen mit Nummern, denen auf einer Liste zahlreiche schädliche Eingriffe in Natur und Landschaft wie Rodungen oder Bergbau zugeordnet sind. Wenn sich der Mensch Platz verschafft, ist das also vielleicht gar keine gute Idee. Für diese Umsetzung eines komplexes Themas gibt es einen dritten Preis.

Sehr konkret und lokal verwurzelt ist die Collage von Stefan: Der Zwölfjährige zeigt zwei Bolzplätze, einen vorbildlichen - und einen völlig heruntergekommenen. "Kein Platz da?!" Verdeutlicht wird die Botschaft dabei mit diversen Materialien, das Bild bietet Farbe, Fotos, Karton und sogar zwei "Bodenproben" in Tütchen: in der einen befindet sich Gras, in der anderen Erde. Vor allem diese höchst kreative Umsetzung hat die Jury überzeugt, dieses Werk ist auf Platz zwei.

Das Gewinnerbild ist eine moderne Version einer französischen Kulturikone

Über den Sieg aber darf sich die 14-jährige Alica freuen. Sie hat mit Acryl ein Bild auf Holz gebannt, der Titel lautet "Freiheit für die Menschen". Wie einem Anschreiben zu entnehmen ist, geht es der jungen Künstlerin um Gleichheit, Freiheit, Solidarität und Menschenwürde - am Beispiel der in China unterdrückten, muslimischen Minderheit der Uiguren. Bei Alicas Bild handelt es sich um eine moderne Version einer französischen Kulturikone, des Ölgemäldes "Die Freiheit führt das Volk" von Eugène Delacroix, das die der Julirevolution 1830 in Paris gewidmet ist. Dieses klassische Werk verkörpere für sie die "ultimative Ausstrahlung von Platz da!?", schreibt die junge Malerin. Hauptfigur ist bei ihr eine Frau mit Hijab, die die Uiguren-Flagge schwenkt und "die Maske des Protests" trägt. Eine zu ihren Füßen knieende Frau und ein nach vorne stürmender Mann sind mit den blauen Anzügen der chinesischen Lager bekleidet. Vorne rechts liegt ein toter chinesischer Soldat, "doch durch die Hand der Widerstandskämpfer*innen ist er nicht gestorben". Die bekannte uigurische Menschenrechts-Aktivistin Rebiya Kadeer nämlich hält zwar ein Gewehr in den Händen - aus dessen Lauf allerdings nur eine Blume ragt. Im Hintergrund ragen die Hochhäuser der Pekinger Skyline in einen Himmel voller Rauch. Für die Jury ist dieses Gemälde eindeutig Platz eins - "weil es einen Klassiker neu interpretiert, weil es einem wenig beachteten Thema Raum gibt und weil es von großer handwerklicher Qualität ist". Chapeau!

Ein richtigen "Platz" mit Straßen und Häusern drum herum hat die Klasse 8a der Aßlinger Mittelschule gestaltet - und darf sich dafür über einen Sonderpreis freuen. Auch hier war die Jury beeindruckt von vielen liebevollen Details, aber auch von der Art der Materialien: "Da wurde nichts extra angeschafft, sondern alles recycelt."

Das Publikum kürt eine düster-dystopische Animation zum Liebling

Bemerkenswert ist, dass das Publikum offenbar einen anderen Geschmack hatte als die Juroren: Es votierte eindeutig für Vanessa, die 18-Jährige hatte zwei gezeichnete Animationen eingereicht. In der ersten schwimmt man erst mit "Bob" in einem Meer, das komplett vermüllt ist. Doch Bob weiß Rat, und macht Platz - per Boot und Fischernetz. Anschließend geht es um zwei Menschen, die sich zunächst nah beieinander unterhalten. Aber auch hier sorgt Bob für Ordnung, indem er sie anhält, Abstand zu halten. Der zweite Strip heißt "City of hapyness" und ist um einiges subtiler. In dem düster-dystopischen Kurzfilm kann man einer jungen Frau dabei zusehen, wie sie stoisch einen absolut stupiden Tagesablauf samt Bürojob erträgt, immer und immer wieder. Erst als sie einmal verschläft und in der Hektik ihre kleine Happy-Pille vergisst, sieht sie, wie kaputt ihre Welt eigentlich ist...

Letztendlich zeigt der Jugendkulturpreis also wieder einmal, wie bewusst, engagiert, sozial und politisch der Nachwuchs im Ebersberger Landkreis ist. Diese jungen Künstlerinnen und Künstler haben jedenfalls viele ernst zu nehmenden Botschaften für die Erwachsenen parat. Wie schön, dass ihnen vom Kreisjugendring immer wieder Raum gegeben wird, diese in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Da kann man wirklich nur sagen: "Platz da - für junge Kunst!"

Jugendkulturpreis für den Landkreis Ebersberg, Galerie und Preisverleihung zu finden unter: https://www.kjr-ebe.de/projekte/jugendkulturpreis-2022/

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5533520
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.