Süddeutsche Zeitung

Bildung im Landkreis:Eine ganze Schule liest und lauscht

Lesezeit: 4 min

In Glonn wird der bundesweite Vorlesetag stets in großem Stil begangen. Warum man hier so viel Wert auf Leseförderung legt - und was Eltern dazu beitragen können.

Von Michaela Pelz, Glonn

Wie so ein Kindergesicht strahlen kann! Und das nur, weil sich die vorher unverständlichen Zeichen auf dem Papier wie durch Magie in etwas verwandelt haben, das daheim im Kühlschrank liegt: Sa-la-mi. Solche Glücksgefühle kennt Catharina Strehle gut, die Glonner Lehrerin hat solche Momente schon oft in ihren ersten Klassen erleben dürfen. Doch genauso gut weiß sie, dass der Grundstock für erfolgreiches Lesen schon viel früher gelegt wird, und dass man die Liebe zum geschriebenen Wort hegen und pflegen muss. Wie gut also, dass die Leseförderung an der Glonner Grund- und Mittelschule fest implementiert ist - mit zehnköpfigem Arbeitskreis, einer Bücherei, die gerne und oft frequentiert wird, regelmäßigen Besuchen in der Gemeindebibliothek und von dort bereitgestellten Bücherkisten.

Das sichtbarste Zeichen für dieses Engagement aber ist der bundesweite Vorlesetag, der heuer am Freitag, 18. November, stattfindet. Für dieses im großen Stil begangene Lesefest nimmt man sich in Glonn stets einen ganzen Tag lang Zeit, schafft einen Brückenschlag zwischen Grund- und Mittelschule und lädt Gäste ein: externe Vorlesende aus Schulfamilie und Gemeinde - vom Bürgermeister bis zu Gewerbetreibenden.

In der Pädagogik gängig ist heute der Begriff "Literacy", wobei damit nicht nur die Fähigkeiten des Lesens und Schreibens gemeint sind, sondern auch Text- und Sinnverständnis, Erfahrungen mit der Lese- und Erzählkultur der jeweiligen Gesellschaft, Vertrautheit mit Büchern oder sogar Medienkompetenz. Warum diese Form der Bildung eine so wichtige Basis ist für alles, was danach kommt, und die Verzahnung zwischen Lesen und Schreiben so eng, erklärt Catharina Strehle so: "Die Kinder lernen auf diese Weise spielerisch, dass ein Text eine Überschrift hat, es verschiedene Kapitel gibt und unterschiedliche Figuren, die einen Namen besitzen, eine Rolle spielen. Das wirkt sich später auf die eigene Textproduktion aus." Die Glonner Konrektorin Claudia Zetl, die sich vor allem im Mittelschulbereich für das Thema engagiert, ergänzt: "Lesen vergrößert nicht nur den Wortschatz, sondern auch das Weltwissen. Es regt die Fantasie an und fördert die Konzentration."

Und gerade, wer sich selbst mit dem Lesen schwerer tue, profitiere in einer Vorlesesituation, weil er sich komplett auf das Verarbeiten des Inhalts konzentrieren könne. Außerdem sei da ja noch die wichtige soziale Komponente, die Nähe zwischen Vorleser und Zuhörer. Die erreicht man in Glonn durch Tandems: Für jede Grundschulklasse wurde eine Partnerklasse aus der Mittelschule gefunden. In Kleingruppen lesen sich die Schülerinnen und Schüler vor, teilweise auch gegenseitig.

Vorlesen tut allen gut, nicht nur den Kleinen, denn laut Zetl gibt es gerade in der Mittelschule zahlreiche Schülerinnen und Schüler, denen es schwerfällt, flüssig zu lesen, gleichzeitig den Sinn des Textes zu erfassen und die Informationen zu verarbeiten. Entsprechend wird der Vorgang als anstrengend empfunden - und gemieden. Außer, wenn sich plötzlich ein junges Publikum über die Darbietung freut. Wobei man auch sagen müsse, dass die Schere bei diesen Kompetenzen weit auseinandergehe, so Zetl: "Manche Kinder lesen hervorragend und überdurchschnittlich gut."

Unabhängig vom jeweiligen Niveau darf sich aber an diesem Vormittag jeder und jede einzelne der 370 Mädchen und Buben über eine ganz persönliche Vorleseeinheit freuen. Dafür sorgen die Lehrkräfte und Gäste, denen die Schülerinnen und Schüler die Einladungsbriefe zu diesem Aktionstag persönlich vorbeigebracht hatten. "Sie haben sich damit sowohl zum Bürgermeister als auch zum Pfarrer getraut - so wurde außerdem die kommunikative Kompetenz geschult," erläutert Zetl einen gewünschten Nebeneffekt.

35 Bücher, 35 Vorleser, 35 Räume

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 35 Vorleser präsentieren 35 Bücher in 35 Räumen - vom Rektorat über die Werkstatt des Hausmeisters und den Sanitätsraum bis hin zum Dachboden. "In manche Zimmer haben die Kinder vielleicht noch nie einen Fuß gesetzt." Alles ist besonders dekoriert, wo machbar, gibt es Lampen und Sessel. Zudem dürfen die Kinder Decken, Kissen und Kuscheltiere mitbringen. So soll die Schule auch als Ort erlebt werden, an dem man sich fallenlassen und wohlfühlen kann.

Von Anfang an waren die Schülerinnen und Schüler in die Organisation mit eingebunden, denn die Lektüre unter dem Motto "Gemeinsam einzigartig" wurde ihnen nicht etwa zugewiesen, vielmehr konnten sie sich im Vorfeld für einen Titel entscheiden, sogar selbst Vorschläge machen. Bei der Auswahl der Bücher sollte allerdings die Vielfalt der Gesellschaft betont werden. So werden die klassenübergreifenden, bis zu zwölf Personen großen Gruppen nun Geschichten sowohl von Helden und Mutmachern, als auch von Außenseitern lauschen. Dieser ganze Prozess habe neben dem Demokratieverständnis auch Einfluss auf Selbst- und Methodenkompetenz, so Strehle. Was interessiert mich? In welche Liste trage ich mich ein? Wie kann ich mich an diesem Tag durchs Schulgebäude bewegen?

Allerdings betonen Zetl und Strehle, dass es natürlich mit dem Lesen oder Vorlesen alleine nicht getan sei. Mindestens ebenso wichtig: im Nachgang über das Gehörte zu sprechen und die Geschichte zu reflektieren. Versuche man immer wieder, sich im Rahmen eines Perspektivwechsels in die Protagonisten hineinzuversetzen, sensibilisiere das für die jeweiligen Themen. So könne sich Empathie entwickeln und der Gerechtigkeitssinn festigen.

Allein: Lesen lernen ist Arbeit. Zwei Buchstaben zu Silben zusammenschleifen und sie dann zu Wörtern zu verknüpfen, sei wirklich anstrengend, sagt Strehle. Auch darum habe das Vorlesen eine so entscheidende Bedeutung: Werde es als genussvoll erlebt, vergrößere dies automatisch den Anreiz, es selbst zu lernen. Dazu aber gehört Übung - und die wiederum gibt es am besten daheim.

Ein paar Tricks können bei der Motivation behilflich sein. So werden mehrere Durchgänge von Lautlese-Hausaufgaben gleich viel weniger langweilig, wenn man sie nicht nur für sich selbst erledigt, sondern Opa, Oma und dem Haustier etwas vorträgt. Auch die Auswahl der Lektüre spielt natürlich eine Rolle: Vor allem dem Kind sollte der Stoff gefallen. Auf zahlreichen Internet-Plattformen finden sich Anregungen, man kann oft auch gemeinsam nach Schlagworten filtern (siehe Kasten). Oder die Mitglieder der Familie präsentieren sich untereinander ihre jeweiligen Lieblingsbücher. Denn das Beispiel lesender Eltern, Geschwister, Großeltern ist nach wie vor unschlagbar.

Aber auch ein schulisches Highlight wie der Vorlesetag kann die Lust am Lesen befeuern. Die Vorfreude der Kinder in Glonn ist in jedem Fall groß. Aufs gemeinsame Lauschen, auf spannende, lustige und berührende Geschichten ebenso wie darauf, das Gehörte im Anschluss auf vielfältige Weise kreativ nachbereiten zu können. Die Gäste wiederum dürfen sich auf Häppchen freuen. Käse gefällig? Oder doch lieber Salami?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5696343
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.