Süddeutsche Zeitung

Jugendschutz:Unterwegs mit den Undercover-Azubis

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Weil Jugendliche zu leicht an Alkohol kommen, unternimmt das Jugendamt Testkäufe mit Minderjährigen. Fast die Hälfte der Geschäfte im Kreis Ebersberg fallen durch. Ein Rundgang.

Reportage von Viktoria Spinrad

Ein Getränkemarkt im Landkreis Ebersberg. Zwei 17-Jährige streifen durch die Gänge. Wein, Gin, Schnaps, eine greift nach einer Flasche mit 40-prozentigem Whiskey. An der Kasse wartet ein junger Mann, dunkle Haare, Augenringe, fast selber noch ein Teenager. Er schaut kurz zu den Jugendlichen hoch, dann führt er den Barcodescanner an die Flasche, es piepst, 9,99 Euro, das Geld wandert über die Theke. Ein Fehler, den auch ein Zivilpolizist beobachtet hat. Dieser wird gleich die Daten des Verkäufers aufnehmen - und dann wird der junge Mann auch noch Vertretern des Jugendamts erklären müssen, wieso er Hochprozentiges an Minderjährige verkauft.

Weil das nicht erlaubt ist, sind die beiden jungen Frauen, die Jugendschützer und der Polizist an diesem Dienstagnachmittag im Landkreis unterwegs. Sie machen Testkäufe, um zu kontrollieren, welche Supermärkte und Tankstellen entgegen des Jugendschutzgesetzes branntweinhaltigen Alkohol und Tabak an unter 18-Jährige verkaufen. Mithilfe ihrer Auszubildenden als Testkäufer will das Landratsamt Verkäufer und Händler für das Gesetz sensibilisieren und die Jugendlichen vor sich selbst schützen. Ein Thema, das jetzt im Frühjahr mit alkoholgetränkten Maibaumwachen und Volksfesten wieder besonders akut wird.

Im Getränkemarkt sind die beiden Testkäuferinnen gerade raus, da piepst der Barcodescanner wieder. Der Verkäufer schaut runter auf die Theke, Schorlen, Gummibärchen, Bier, er will fast den Dienstausweis von Ingo Pinkofsky scannen, da schaut er plötzlich erschrocken hoch. "Jetzt haben wir ein Problem, oder?", fragt er. "Sie haben ein Problem", entgegnet der Mann, der im Landratsamt für präventive Jugendhilfe zuständig ist. Während sein Kollege Bernhard Wacht draußen die Mädchen betreut und ihnen ins Gedächtnis ruft, ihr Wissen nicht privat auszunutzen, bittet Pinkofsky den Verkäufer, sich ablösen zu lassen und den Geschäftsführer hinzuzuholen. Er will den Verkäufer nicht öffentlich bloßstellen, sondern ihm in Ruhe erklären, welche Konsequenzen jetzt folgen werden.

"Zumindest die eine hat ausgesehen wie 18."

Wenn die Jugendlichen mit Hochprozentigem an der Kasse stehen, gibt es drei Szenarien. Ideal ist, wenn der Verkäufer nach dem Ausweis fragt und die Jugendlichen ohne Whiskey oder Jägermeister wegschickt. Schlechter sieht es aus, wenn er oder sie zwar nach dem Ausweis fragt, die Alkoholika aber trotzdem über die Theke wandern lässt. Das Worst-Case -Szenario: Der Verkäufer kassiert ab, ohne überhaupt nach dem Ausweis gefragt zu haben. In den letzten beiden Fällen zitiert das Jugendamt den Verkäufer in eine ruhige Ecke.

Im Getränkemarkt haben sich Pinkofsky und der Polizist zusammen mit dem Geschäftsführer und dem Verkäufer in ein Mitarbeiterzimmer zurückgezogen. Letzterer tritt nervös auf der Stelle und versucht sich an einer Entschuldigung. "Tut mir leid, ich hab nicht dran gedacht", sagt er, "zumindest die eine hat ausgesehen wie 18." - "Dann müssen Sie erst recht den Ausweis kontrollieren", entgegnet Pinkofsky ruhig. Seine Rolle gleicht einer Gratwanderung: Auf der einen Seite muss er Verkäufer und Geschäftsführer unmissverständlich klarmachen, dass hier gegen das Gesetz verstoßen wurde und so etwas nicht wieder vorkommen darf. Auf der anderen Seite weiß er, dass Stress und Müdigkeit nicht selten eine Rolle spielen, viele Verkäufer unzureichend geschult sind und wenig verdienen.

Während sich der Verkäufer verzweifelt mit der Hand über das Gesicht reibt, schimpft sein Chef los. "Ich hab's euch doch erst letztes Mal gesagt!" Pinkofsky erfährt, dass der Getränkemarkt kein System hat, das den Verkäufern auf dem Bildschirm mit dem Scannen vom Alkoholika automatisch anzeigt, ab welchem Geburtstag diese über die Theke wandern dürfen. Der Verkäufer hätte also selber ausrechnen müssen, dass die Käuferin erst 24 Tage nach diesem Einkaufsversuch ihren 18. Geburtstag feiert.

Trotzdem hat hier der Verkäufer das Problem und nicht der Geschäftsführer. Solange dieser nachweisen kann, dass er seinen Verkäufer im Sinne des Jugendschutzgesetzes geschult hat, ist er aus dem Schneider. Der Knackpunkt: Wie diese Schulung aussehen soll, steht den Geschäftsführern offen. Pinkofsky wäre es am liebsten, wenn die Geschäfte die Situation in Rollenspielen üben würden. Doch gerade größere Ketten setzen eher auf Online-Schulungen. Im Zweifel reicht es gar, wenn ein Verkäufer unterschrieben hat, dass er zum Thema geschult worden ist.

Bei Verstößen drohen bis zu 2000 Euro Strafe

"Was passiert jetzt?", fragt der Verkäufer. Pinkofsky erläutert ihm das Prozedere: Der Verkauf gilt zwar nicht als Straftat, wohl aber als Ordnungswidrigkeit, für die das Landratsamt als Verfolgungsbehörde laut Bußgeldkatalog des Jugendschutzgesetzes bis zu 2000 Euro verlangen kann. Eine beachtliche Summe für Verkäufer, weswegen das Landratsamt auch "mildernde Umstände" in Betracht zieht. Um diese zu klären, rät Pinkofsky dem Verkäufer, nach Eingang des Anhörungsbogens zu einem persönlichen Gespräch ins Landratsamt zu kommen: "Nehmen Sie sich meinen Rat zu Herzen."

Der Getränkemarkt ist eine von sieben Test-Stationen an diesem Nachmittag. Drei von ihnen fallen durch. Sie alle aber zeigen, welcher Stress und welche Ängste im Verkaufspersonal schwelen: Da ist der Druck, auch dann den Überblick zu behalten, wenn viel los ist. Da sind die Zweifel, wenn ein aufgebrezeltes Mädchen vor ihnen steht und eher wie 26 als wie 16 aussieht. Da ist die Angst, dass das Jugendamt es öffentlich macht, wenn eine Einrichtung durchfällt. Pinkofsky besänftigt die oft aufgebrachten Menschen, holt sie ab mit Sätzen wie: "Sie sind in der Bredouille, man sieht den jungen Leuten das Alter nicht an", "Unser Erfolg ist, wenn die Jugendlichen nichts kriegen", "Die Daten geben wir nicht weiter."

Nur einmal schlägt er die Hände vor sein Gesicht. Er reagiert auf eine Szene in einem in der Vergangenheit durchgefallenen Supermarkt, die beispielhaft dafür steht, wie sehr der Stress die Verkäufer ablenken kann: Die junge Verkäuferin ist wegen eines fehlenden Barcodes auf einem verpackten Fisch im Stress. Als die Testkäuferinnen mit einer Flasche Whiskey vor ihr stehen, lässt sie sich zwar den Ausweis zeigen, rechnet dann aber das Alter falsch aus. Typisches "Augenblicksversagen", wie es Pinkofsky nennt. Auch ihr rät er, zum persönlichen Gespräch ins Landratsamt zu kommen.

Szenen wie diese werfen die Frage auf: Lernen die Märkte aus ihren Fehlern, bringen die Testkäufe etwas? Die Ebersberger Zahlen deuten einen gewissen Lerneffekt an. Während in der ersten systematischen Kontrollserie des Landratsamtes 2017/2018 mit 62 Prozent fast zwei Drittel der 69 Geschäfte durchgefallen waren, ist es mit 47 Prozent der 30 bisher kontrollierten Geschäfte immerhin heuer nur noch knapp die Hälfte. Wobei offen ist, ob die Verkäufer einfach besser darin werden, Testkäufe als solche zu enttarnen. Mehr Gewissheit dürften langfristige Testkäufe bringen, die das Jugendamt auch weiter plant - stets in der Hoffnung darauf, dass ihre Testkäufer auf sensibilisierte Verkäufer treffen.

Wie zum Beispiel an einer Tankstelle. Nachdem der Verkäufer, Glatze, Goldkettchen, den Mädels einen Schnapskauf freundlich verwehrt hat, steht Pinkofsky mit einem Zertifikat vor ihm. Der Mann lacht erleichtert, bedankt sich, schiebt ein Schränkchen auf, holt einen Stempel raus und setzt mit einer schwungvollen Bewegung stolz seine Unterschrift drunter: Test bestanden.

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Quelle:
SZ vom 27.04.2019
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