Süddeutsche Zeitung

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen:Kunst als Sprachrohr

Lesezeit: 3 min

Der Ebersberger Frauennotruf lädt anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen zu einem Begegnungscafé mit einer Ausstellung ein - der Schwerpunkt liegt heuer auf Frauen mit einer Fluchtgeschichte.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Flucht und Gewalt sind zwei Dinge, die in vielen Fällen gemeinsam auftreten - vor allem dann, wenn es um Frauen und Mädchen geht. Denn häufig sind sie von geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt betroffen. Zum diesjährigen Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, der jedes Jahr am 25. November begangen wird, widmet sich der Ebersberger Frauennotruf in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Kreisbildungswerk genau diesem Themenaspekt. Die Einladung zu einem Begegnungscafé soll Frauen mit Fluchterfahrung in den geschützten Räumen des Frauennotrufs auf eine ganz besondere Weise zusammenbringen - auch mit Kunst.

Neben Frauen, die während ihrer Flucht Gewalt, oft in sexualisierter Form, erfahren, können Frauen mit Gewalt und Flucht auch auf andere Art konfrontiert werden. "Es gibt Frauen, die Gewalt in ihren jeweiligen Herkunftsländern erfahren haben und deshalb überhaupt erst flüchten", erklärt Birgit Dimotsios vom Ebersberger Frauennotruf. Oft wissen sie und ihre Kolleginnen aus der Beratung nicht, um welche Erfahrungen es sich genau handelt. Denn um die Frauen vor einer retraumatisierenden Situation zu bewahren, fragen sie nicht genauer nach, wenn die Betroffenen solche Erlebnisse andeuten - und das geschehe häufig, so Dimotsios.

Ukraine und Iran sind nur zwei Beispiele, wo Frauen aktuell mit Flucht und Gewalt konfrontiert sind

Dennoch lassen sich drei allgemeine gewaltspezifische Bereiche ausmachen, die Frauen zu einer Flucht veranlassen. Das kann häusliche Gewalt sein, wie sie auch in Deutschland jeden Tag geschieht - so wurden laut Kriminalstatistischer Auswertung zur Partnerschaftsgewalt 2020 in Deutschland insgesamt 148 031 Betroffene registriert, in fast 81 Prozent der Fälle waren es Frauen. Daneben spielen auch Vergewaltigungen als Kriegswaffe eine Rolle, wie sie in jüngster Vergangenheit in der Ukraine dokumentiert wurden, sowie Gewalt durch staatliche Institutionen, wie sie im Iran für Frauen zum Alltag gehört.

All diese Umstände haben eines gemeinsam: "Die verschiedenen gewaltvollen Erfahrungen, die Frauen mit Fluchthintergrund erleben, werden in der Öffentlichkeit kaum gesehen und thematisiert", sagt Dimotsios. Sie erzählt von Frauen, die über die Möglichkeit des Familiennachzugs nach Deutschland gekommen und nun von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen seien. Immer wieder säßen den Beraterinnen solche Frauen gegenüber. Und immer wieder sei es äußerst schwierig, Möglichkeiten aufzuzeigen, die aus der Gewaltbeziehung führen. "Wenn Frauen über den Familiennachzug nach Deutschland kommen, muss die Ehe hier drei Jahre bestehen - erst dann ist ein eigener Aufenthaltstitel möglich", erklärt Dimotsios.

Vereinfacht gesagt heißt das: Gewalt hier oder Gewalt dort - welche ist die weniger schlimme? Denn lösen sich die Frauen aus der Beziehung und damit von der Gewalt, müssten sie laut Gesetz in ihr Herkunftsland zurückkehren, wo ihnen meist ebenfalls Gewalt droht. Das entsprechende Gesetz sieht zwar Ausnahmen in Härtefällen vor - jedoch erfordert das ein juristisches Vorgehen, das zunächst mit Kosten verbunden ist, die die Frauen nicht aufbringen können. "Wenn wir uns an Behörden wenden, dann erleben wir ganz viel Wohlwollen", sagt Dimotsios. "Aber eine Garantie, dass sich der Fall für die Frau zum Guten wendet, gibt es nicht - es ist jedes Mal eine Zitterpartie."

Die Kunst nun, die am diesjährigen Aktionstag der Aufhänger ist für ein Begegnungscafé in den Büros des Frauennotrufs, ist im Rahmen des Kunstprojekts "Meine Art - deine Art" entstanden: Samstags einmal im Monat treffen sich Kunstbegeisterte unter der Leitung von Gisela Heide in Grafing, um zu malen und zu zeichnen. Der kostenlose Kurs richtet sich hauptsächlich an Menschen mit einer Fluchtgeschichte - Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche, alle sind willkommen, auch jene, die schon immer hier leben. "Es geht um das Zusammenkommen", sagt Janika Gaßner vom Kreisbildungswerk. Mittlerweile seien die meisten Teilnehmenden geflüchtete Frauen, aber auch ein paar Männer kämen regelmäßig.

"Kunst ist ein Sprachrohr", sagt Gaßner. "Am Anfang herrscht bei vielen eine Sprachlosigkeit, wenn sie hier ankommen." Nicht nur, weil sie die deutsche Sprache erst noch lernen müssen, sondern auch, weil sie teils schlimme Erfahrungen auf ihrer Flucht gesammelt hätten, wie Gaßner weiter sagt. Das Trauma macht sprachlos. Die Kunst sei da eine gute Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten - und um andere Leute, die nun im Landkreis leben, kennenzulernen.

"Wir sind sehr glücklich, dass das Projekt in unseren Räumen einen Platz gefunden hat", sagt Dimotsios. Das Begegnungscafé steht übrigens allen Frauen offen, ob mit oder ohne Fluchtgeschichte. Auch Kinder können kommen - nur Männer müssen an diesem Tag zu Hause bleiben.

Begegnungscafé und Bilderausstellung des Projekts "Meine Art, deine Art", Freitag, 25. November, von 11 bis 14 Uhr im Ebersberger Frauennotruf, Bahnhofstraße 13A. Die Teilnahme ist kostenlos. Der Frauennotruf ist erreichbar unter (08092) 88110, per E-Mail an info@frauennotruf-ebe.de oder per Online-Beratung unter frauennotruf-ebersberg.de . Interessierte der Kunstgruppe "Meine Art - deine Art" können sich hier anmelden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5702817
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.