Süddeutsche Zeitung

Aufregendes Pilotenleben:Der Überflieger aus Pöring

Lesezeit: 4 min

Seit 60 Jahren ist Pilot Dieter Verbarg auf den Luftstraßen der Welt unterwegs. Unlängst hat der 74-Jährige in einem Film über die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf mitgespielt. Nun will er einen Landeplatz in Zorneding beantragen.

Von Viktoria Spinrad, Zorneding

Rasselnde Filmmusik, ein Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes senkt sich über dem Fußballplatz im oberpfälzischen Schwandorf. Mit skeptischer Miene wartet dort bereits der Landrat. Während der Pilot nach rechts zu seinem Passagier schaut, der sich nun aus dem Hubschrauber helfen lässt, kommt ihm der Landrat mit entschlossenen Schritten entgegen. Für den Piloten wird es eine kurze Wartezeit: Am Tag nach den bürgerkriegsähnlichen Protesten in Wackersdorf macht der Landrat dem aufstrebenden Staatssekretär aus München klar, dass er bei seinem "nein" zur hochumstrittenen atomaren Wiederaufarbeitungsanlage bleiben wird. Mission gescheitert: Nach ein paar Minuten hebt der Hubschrauber mit seinem Passagier ab in den weiß-blauen Himmel.

"Nach dem Dreh wollte man mich anzeigen", sagt Dieter Verbarg mit einem Schmunzeln, "wegen Fliegens ohne Kennzeichen: Das mussten wir ja abkleben." Es ist ein sonniger Vormittag in Verbargs Garten am Pöringer Ortsrand von Zorneding. Es wird ein Vormittag mit ihm und seiner Frau, an dem klar wird, dass der Name des 74-jährigen Grenzgängers nicht zufällig im Abspann des "Wackersdorf"-Films gelandet ist: In der Flugszene ist er eine lebende Legende. Doch wo Freunde sind, gibt es naturgemäß auch Gegner - und die dürften demnächst wieder auf den Plan treten, wie sich im Gespräch noch zeigen wird.

Auch auf dem Mont Blanc ist er schon gelandet

Verbarg ist in der Flugszene bekannt wie ein bunter Hund. Er ist als Kampfpilot den berühmtem "Starfighter" geflogen und hat als Rettungsflieger Frühchen in die Intensivstation hinübergerettet. Er hat eine der größten Flugschulen Deutschlands geleitet, selbstkonstruierte Flugzeuge nach Afrika verschifft und einen Bentley-Wagen auf ein Münchner Hochhaus geflogen. Verbarg war der erste, der mit einer Bell UH-1D auf dem Mont Blanc gelandet ist - und ist als Entwicklungshelfer in Pakistan nichtwissend über Osama bin Ladens Versteck geflogen. 60 Jahre Fliegerei sind es heuer - und noch mehr Geschichten, die der Pilot in den Lufträumen dieser Welt gesammelt hat.

Im kleinen Pöring zwitschern die Vögel. Hört man sich um, berichten Zornedinger von einem sympathischen Zeitgenossen mit Humor. Er deutet auf die Höhensonne, die für kalte Tage auf seiner Terrasse montiert ist. "Ich bin ein sehr temperaturempfindlicher Mensch", sagt er. Empfindsam sind aber auch seine Gegner: Diejenigen, denen seine Fliegerei lästig ist. Mit seiner historischen Bell47, einem Klassiker der Luftfahrt, fliegt er zahlfreudige Kunden über Oberbayern - danach trudeln stets verlässlich die Lärmbeschwerden ein. "Wenn zwei auf einmal über Zorneding fliegen, dann sitze ich in zwei Hubschraubern", sagt Verbarg: "C'est la vie."

Widerstände scheinen ihn sowieso nur zu beflügeln. Bereits mit jungen 14 Jahren flog er mit einem Segelflugzeug über die Sylter Dünen, mit 19 das erste Mal alleine im Hubschrauber. Um weiter fliegen zu können, ging er nach dem Abitur zur Bundeswehr - mitten im Kalten Krieg, "der wesentlich heißer war, als man es sich vorstellen konnte", sagt er. Der blonde Sunnyboy hatte sich eins in den Kopf gesetzt: Er wollte nicht nur Hubschrauber fliegen, sondern auch Jets. Und so wechselte er von den Gebirgsheeresfliegern zur Luftwaffe.

Er ist Pragmatiker - und Lebenskünstler

Im Garten malt Verbarg eine Linie in die Luft: dorthin wo sein Grundstück endet, und noch weiter hinaus. Der umtriebige Pöringer hat einen Plan. Er möchte einen Landeplatz im Zornedinger Außenbereich beantragen. Dafür braucht er die Genehmigung der Regierung von Oberbayern - was angesichts der vielen Vorschriften kein allzu leichtes Unterfangen werden dürfte. Doch Verbarg wäre nicht Verbarg, wenn er es mit seiner Unbekümmertheit nicht einfach mal versuchen würde - Gegenwind ist er gewohnt.

Verbarg schlägt ein leicht vergilbtes Buch auf und deutet auf Seite 75-F - seine Flugklasse an der Luke Air Force Base in Arizona. "Die anstrengendste und beste Zeit meines Lebens", sagt er. Die Bundeswehr hatte ihn für seine zweijährige Jetausbildung zusammen mit seiner damaligen Frau und dem Sohn in die USA geschickt. Und dort wurde ein Traum für ihn wahr: Verbarg durfte endlich den Starfighter fliegen, den Ferrari unter den Flugzeugen. Für Verbarg "eines der besten Flugzeuge, das die Bundeswehr je hatte".

Eine Katze schleicht sich an die Terrasse an und gibt ein hungriges "Miau" von sich. "Wir sind ja nur die Dosenöffner", sagt Verbarg und lacht. Er ist Pragmatiker - und Lebenskünstler, wenn es die Umstände erfordern. Zum Beispiel, als er nach seiner Frühpensionierung beim Militär unbedingt weiterfliegen wollte - und wegen des Golfkriegs in einen Einstellungsstopp geriet. Statt Linienflugzeuge durch die Welt zu fliegen, tüftelte er fortan an eigenen Entwicklungen, konstruierte ein eigenes Ultraleichtflugzeug. "Ich bin halt verrückt", sagt er mit einem schelmischen Lachen.

Noch verrückter klingt, was er mit seinen selbst konstruierten "Albatrossen" machte: Als Flugschulen-Besitzer verschiffte er sie in Containern nach Kenia und Sri Lanka, um dort zu überwintern und unterrichten - und mit seinen Abenteuern Geld im Wert eines Einfamilienhauses in den Sand zu setzen. Denn so unkompliziert, wie es sich Verbarg erhofft hatte, war es dann doch nicht. Die Behörden wollten immer mehr Geld sehen - passten die Gegenleistungen nicht, gab es auch keine Flugstunden am Strand. Als er zurückkam, sei er "im Grunde genommen pleite" gewesen, sagt er.

Ein Vermögen war auch nicht in seiner Zeit in Afrika zu holen. Wohl aber Erinnerungen an einen Jungfernflug mit einem Massai in voller Stammestracht und Flugstunden am Strand von Mombasa - bei der Verbarg auch illustrer Kundschaft die Kunst des Fliegens näherbrachte. Einer seiner Schüler war ein in die Schlagzeilen geratener Hotelbetreiber: Joe Brunnlehner hatte sich mit seinem Nachbar, dem Welfenprinz Ernst August von Hannover angelegt und von ihm eine Watschn kassiert.

Jedes halbe Jahr muss er einen Checkflug machen

Eine Zeit als Vermögender erlebte Verbarg auch nicht in seinem zweiten Leben als Rettungsflieger - wohl aber die Phase seines Lebens, in der er sich am meisten für Menschen einsetzte. Wenn nachts das Telefon klingelte, ging es um Leben oder Tod: verunglückte Autofahrer, Frühchen, in der Landwirtschaft Verunglückte mussten so schnell wie möglich in die Klinik. Besonders stolz ist er auf einen Bergeinsatz bei Füssen, wo ein Soldat im Schneetreiben verschwunden war. Verbarg flog so lange, bis er ihn fand. "Der wäre erfroren", sagt er. Die Bundeswehr dankte es ihm mit einer förmlichen Anerkennung. Ausland, Flugschule, Rettungseinsätze, eine aufreibende Zeit auch für Verbargs Frau: "Es war manchmal grenzwertig, aber immer interessant", sagt sie.

Wie lange der 74-Jährige selber noch über Wälder und Seen fliegen wird, hängt von der Einschätzung eines Fliegerarztes und eines Checkpiloten ab. Mit letzterem muss er jedes halbe Jahr einen Checkflug machen. "Wenn ich mal zu der Erkenntnis komme, dass ich eine moving danger area bin, muss ich mit dem Fliegen aufhören", sagt er. Um dann in seiner burschikosen Art nachzuschieben: "Der Fliegerarzt müsste mich schon vom Knüppel meißeln."

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Quelle:
SZ vom 26.10.2019
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