Süddeutsche Zeitung

Der Tradition auf der Spur:In Markt Schwaben kehrt der Fensterstock-Hias zurück

Lesezeit: 3 min

Wer Bayern in seiner Urform sucht, wird am Kirchweihmontag in Markt Schwaben fündig. Dort erlebt ein 200 Jahre alter Leitersteiger seine Renaissance.

Von Korbinian Eisenberger, Markt Schwaben

Ein Textblatt? Nicht beim "Fensterstock-Hias". So weit kommt's noch. Josef Blasi, Jahrgang 1929, legt das Blatt zur Seite. Er trägt eine Strickjacke unter der Trachtenjoppe, viel Gewand für so eine warme Stube. Die Kleidung ist mehr geworden bei Blasi, das Bier fließt mit 89 Jahren nicht mehr ganz so schnell. Aber das Volkslied vom Hiasl auf Freiersfüßen, das singt er so flüssig wie eh und je. Auswendig von der ersten bis zur 16. Strophe, als wäre es gestern gewesen. "Das haben wir schon als junge Burschen gesungen", sagt er. Ein schelmisches Grinsen. "Immer wenn die Eltern ned zug'hört haben."

Gar nicht so einfach, das Bayernland noch in seiner Urform zu finden. In Zeiten, in denen Trachtengewänder und Volkslieder bis zur Unkenntlichkeit entstellt und verhunzt werden. Oft sucht man vergeblich nach Echtheit. Fündig wird, wer am Kirchweihmontag im Markt Schwabener Heimatmuseum an einem Biertisch sitzt. Dort hocken Menschen beisammen, die Emmeran, Egidio und Valentin heißen, Orthrud, Roswitha und Philomena. Knapp 150 Leut' sind zum Kirtanudel-Essen gekommen, in Trachtenanzug und Dirndl, die übers Knie gehen. Die "Museumsmusi" spielt, dass Bier kommt vom Holzfass und vorne sitzt ein Mann in Tracht und ließt alte Texte von Ludwig Thoma.

Zum 15. Mal veranstalten sie diesen Abend nun in Markt Schwaben, immer am Kirchweihmontag. Der Tradition nach gibt es Leberkässemmeln, Kirtanudeln und Bier vom Holzfass, gespendet von Freunden des Markt Schwabener Museums. Der Organisator des Abends heißt Bernd Romir, Leiter des Museumsvereins und oft Leidender im Gemeinderat. Im Sitzungssaal schaut er manchmal zwider drein, jetzt grinst er wie ein Bub, der zum ersten Mal Zuckerwatte in der Hand hält. Nur dass er vor kurzem seinen Siebzger gefeiert hat und statt Watte Bierschaum zuzelt. Ganz klar: Dieser Abend ist was Besonderes. Für den ehemaligen Lehrer Romir, und für alle anderen, die hier dabei sind.

Die entscheidende Frage: Wann ist etwas bayerisch? Und wann nicht?

Es geht bei all dem um die Frage, wann etwas bayerisch ist. Und wann weniger. Dies zu ergründen, hat sich an diesem Abend der Markt Schwabener Herbert Weiß zur Aufgabe gemacht, er sitzt in Lederhose vorn am Mikrofon, mit Steinkrug und Kuhglocke. Wenn er bimmelt, hört man im Saal nur noch einzelne Gläser klirren.

Weiß gibt eine 170 Jahre alte Definition der Bewohner zwischen Isar und Inn zum Besten: den Menschen aus Erding, Neumarkt und Ebersberg. "Sie erscheinen als ein kleiner unschöner Menschenschlag, ohne Regelmäßigkeit der Züge, rohgliedrig und ungelenk im Bau, aber von dauerhafter kräftiger Natur, gesund und langlebig". Auweh. Ein Murmeln geht durch den Saal, da hebt keiner mehr das Glas. Doch das war erst der Anfang.

Die präzisen Beobachtungen stammen von Joseph Friedrich Lentner, einem bayerischen Schriftsteller, der damals im Auftrag von Max II von Bayern zu einem Rundumschlag gegen die hiesige Landbevölkerung ausholte: "Ihre geistigen Fähigkeiten belaufen sich auf das geringste Maß, es fehlt ihnen an Lust und Geschick zu denken, sie erfassen und begreifen schlecht und sind dabei kaum zu belehren. Der Unterricht greift ohne Erfolg und das kümmerlich Erlernte wird schnell vergessen." So verhält sich also, wer sich einen Bayer nennt.

Auf der Gästeliste steht beim Pfarrer unter "Vorname": "Pfarrer"

Bernd Romir, der frühere Lehrer, lässt sogleich durchblicken, dass sich zumindest am schulischen Eifer wenig geändert habe. Und so langsam können sie im Saal über sich selbst lachen - was zum Bayerndasein mindestens so dazugehört wie Federhut und Tuba. Auch Teil davon: ein Möbelstück namens Stammtisch.

Im Museum ist das an diesem Abend der Tisch mit der Nummer 1, dort wo Vereinsmitgründer Josef Blasi den Fensterstockhias schmettert. Neben ihm sitzt Karl-Heinz Fuchs, er steht auf der Gästeliste, so wie alle anderen hier, nur dass bei ihm unter "Vorname" nicht Karl-Heinz steht, sondern einfach nur "Pfarrer". Was nur logisch ist. Weil ihn hier niemand mit dem Vornamen anspricht, sondern alle mit "Herr Pfarrer" - irgendwie auch sehr bayrisch.

Karl-Heinz Fuchs ist der evangelische Hochwürden Markt Schwabens, und trotzdem kommt er zum Katholiken-Fest, der Kirta-Montag ist ja ausschließlich Weihetag der katholischen Kirchen. Und trotzdem sitzt hier ein Protestant mit fränkischen Wurzeln mit am Tisch, ganz selbstverständlich. Ein weiterer Beweis, wie wenig das Dogma "Mia san Mia" mit dem traditionellen Bayern zu tun hat. Schließlich, so erinnert Vorleser Weiß, entstand das bayerische Volk vor 1500 Jahren aus einem Völkergemisch von dagebliebenen Flüchtlingen und Zugereisten von überall her, im heutigen Sprachgebrauch also aus Menschen mit Migrationshintergrund - sei es Frankreich oder Franken.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2018
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