Süddeutsche Zeitung

Schulden in Corona-Zeiten:"Für viele wird es wirklich eng"

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Irene Küsters, Fachdienstleiterin der Sozialen Dienste der Caritas Dachau, berät Menschen, die in finanzielle Not geraten sind. Sie empfiehlt, lieber Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, als Zahlungen zu stunden

Von Interview von Mona Marko, Dachau

Kündigungen, Kurzarbeit und so gut wie keine finanziellen Rücklagen - vor allem arme Menschen im Landkreis Dachau trifft die Coronakrise hart. Trotzdem müssen die Rechnungen gezahlt und die Kinder versorgt werden. Irene Küsters, Fachdienstleiterin der Sozialen Dienste der Caritas Dachau, schildert die Sorgen jener Menschen und erklärt, welche Hilfe sich Privatpersonen und Kleinstunternehmern nun holen können.

SZ: Wen trifft denn die Coronakrise und die wirtschaftlichen Folgen, die mit ihr einhergehen, besonders stark?

Irene Küsters: Arme Menschen trifft es wesentlich stärker, als jene, die Rücklagen haben. Auch solche mit begrenzten Wohnverhältnissen sind schlimmer betroffen. Ich denke da besonders an eine Familie, die mit zwei schulpflichtigen Kindern auf sechzig Quadratmetern wohnt. Die müssen in ihrer kleinen Wohnung jetzt den Schulbetrieb und das Lernen nach Hause verlegen. Noch dazu hat diese Familie weder einen Rechner noch einen Drucker und muss alles über das Handy machen. Darüber hinaus ist ihr Einkommen nicht gesichert - das ist schon heftig.

Ist die Verunsicherung im Bezug auf Coronavirus und die wirtschaftlichen Folgen derzeit groß?

Es war erstaunlich ruhig in der ersten Zeit der Ausgangsbeschränkung. Wir haben zwei Wochen lang eine Schockstarre erlebt vonseiten der Menschen. Aber jetzt geht es richtig los, jetzt kommen die Anfragen von allen Seiten, auch von Kleinselbstständigen, die Soforthilfe beantragt haben. Die Menschen haben enorm viele Fragen.

Was für Fragen sind das denn zum Beispiel?

Wem steht das Geld zu, wenn auf meinem Konto eine Pfändung liegt? Ich brauche das Geld für die Fortführung der Selbständigkeit - wie kann ich es vor der Pfändung schützen lassen? Wer ist für die Anträge zuständig? Die Fragen sind vor allem jetzt so brisant, weil zurzeit das ganze System umgewälzt wird, die alten Regeln und Lösungen gelten kaum mehr. Oder wir bekommen Anfragen von Leuten, die bei Zeitarbeitsfirmen beschäftigt sind und die nicht wissen, ob sie unter die Kurzarbeiterregeln fallen oder ihre Stunden abbummeln müssen, von Leuten, denen jetzt die Zuschläge für Nachtarbeit und Schichtdienst fehlen. Das sind für viele Menschen Fragen, die über ihre Existenz entscheiden - vor allem, wenn sie ohnehin schon mit dem Einkommen zu kämpfen haben und dazu auch noch Ratenverpflichtungen haben - dann wird es wirklich eng.

Wozu raten Sie solchen Menschen ?

Meine Hauptratschläge sind: Wenn das Einkommen unter das sozialhilferechtliche Existenzminimum sinkt, dann sollten diese Menschen Anträge beim Jobcenter, beziehungsweise beim Wohngeldamt stellen und den Kinderzuschlag bei der Bundesagentur beantragen.

Geht das denn so einfach?

Die Behörden haben ihre Antragsverfahren vereinfacht, der Zugang zum Jobcenter ist einfacher geworden - auch weil das Jobcenter Dachau jetzt eine eigene Hotline eingerichtet hat. Ich bin dankbar, dass die Ämter so flexibel reagieren und die formalen Hürden gesenkt haben. Natürlich werden später strengere Prüfungen folgen, aber jetzt geht es erst mal darum, die Existenz der Menschen zu retten.

Wie funktioniert Ihre Beratung aktuell ohne persönlichen Kontakt?

Dadurch, dass wir keine persönlichen, also Face-to-Face-Beratungen durchführen können, findet zurzeit alles telefonisch statt, oder per geschützter E-Mail, wenn etwa Dokumente übermittelt werden müssen. Wir bieten auch eine Online-Beratung an, die von den Leuten auch bereits genutzt wird.

Mit welchen Maßnahmen versucht der Gesetzgeber zu unterstützen?

Privatpersonen und Kleinstunternehmen können für drei Monate vom 1. April bis 30. Juni einen Zahlungsaufschub bei Leistungen der Grundversorgung in Anspruch nehmen, wenn ihre Einnahmeausfälle auf die Coronakrise zurückzuführen sind und sie deshalb die Rechnung nicht zahlen können.

Und wie verhält es sich mit der Miete?

Im Mietrecht ist das Kündigungsrecht der Vermieter bei Zahlungsrückständen eingeschränkt worden. Die Mieter müssen aber glaubhaft machen, dass sie wegen der Pandemie nicht mehr zahlen können. Auch diese Regelung gilt zunächst für drei Monate, eine Verlängerung ist jedoch möglich. Diese Maßnahmen nehmen natürlich erst einmal Druck von den Menschen, die um ihre Existenz fürchten.

Was passiert mit diesen aufgeschobenen Zahlungen nach Ablauf der Frist?

Die Forderungen bleiben natürlich bestehen. Die Zahlungen müssen nach Ablauf des Moratoriums, spätestens aber bis zum 30. Juli 2022, nachgeholt werden, schließlich haben die Vertragspartner ihre Leistung ja erbracht und einen Anspruch. Bei der Höhe der Raten auf den Rückstand muss man bedenken, dass diese zusätzlich zu den dann fälligen normalen Mieten gezahlt werden müssen. Manche Menschen, die nur die kurzfristige Erleichterung sehen, kämen dadurch in umso größere finanzielle Schwierigkeiten.

Wie das?

Es ist kaum anzunehmen, dass das Einkommen nach der Krise plötzlich so viel höher ist, dass die Doppelzahlungen locker gestemmt werden können, gerade bei Menschen in prekären Verhältnissen. Deswegen rate ich den Leuten dazu, die Sozialleistungen, die ihnen zustehen, zu beantragen, damit niemand in eine solche Situation kommt.

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Quelle:
SZ vom 22.04.2020
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