Süddeutsche Zeitung

Franziskuswerk:Bauen am neuen Schönbrunn

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Die Franziskanerinnen bereiten sich auf den Durchbruch bei der Gestaltung der gesamten Einrichtung zum Modell der Inklusion vor.

Von Wolfgang Eitler, Schönbrunn

Die Franziskanerinnen von Schönbrunn, die gemeinnützige Franziskuswerk GmbH und mit ihnen der Bezirk Oberbayern als maßgeblicher Zuschussgeber nähern sich dem Point of no Return, also dem Zeitpunkt, an dem die Entwicklung Richtung Inklusion unumkehrbar wird. Organisatorisch ist er bereits am 1. Januar 2016 vollzogen, wenn sich der Orden von seinem gesamten Vermögen trennt und in die Victoria-von-Butler-Stiftung überführt, verbunden mit dem Auftrag, sämtliche Einrichtungen im Sinne der Inklusion voranzutreiben. Inhaltlich wird dieser Zeitpunkt erreicht sein, wenn die Ergebnisse des städtebaulichen Wettbewerbs vorliegen, der vergangene Woche gestartet ist. Er soll die gestalterischen und strukturellen Probleme klären, die mit diesem Umbau und der Reorganisation des Unternehmens verbunden sind.

Die Haimhausener Gräfin Victoria von Butler hatte Mitte des 19. Jahrhunderts die Einrichtung für geistig behinderte Menschen gegründet. Die Franziskanerinnen führen sie seit mehr als 150 Jahren. In dieser ganzen Zeit war Schönbrunn in der damaligen Diktion eine Anstalt mit Dorfcharakter. Teilweise lebten bis zu 1500 geistig behinderte Menschen in diesem Dorf mitten im Landkreis Dachau. Erst nach intensiven Recherchen des medizinhistorischen Instituts vor einigen Jahren stellte sich heraus, wie eng Schönbrunn in die NS-Euthanasieprogramme verwickelt war. Die erschütternden Erkenntnisse spielten bei der Entscheidung der Franziskanerinnen eine maßgebliche Rolle, sich der Idee der Inklusion nicht nur zu öffnen, sondern sich als Vorreiter der Idee zu verstehen. Inklusion bedeutet die maximale Selbständigkeit behinderter Menschen und deren optimale gesellschaftliche Einbindung.

Schönbrunn ist die erste Einrichtung dieser Art in Bayern, die den radikalen Umbau riskiert. Alle Bewohner sollen selbst entscheiden, wo sie leben und arbeiten wollen. In ihrem Beschluss werden sie von den Fachkräften begleitet und betreut. Schon jetzt wohnen viele geistig behinderte Menschen in Außenwohngruppen, die gleich Satelliten das Mutterschiff Schönbrunn umkreisen. Zusätzlich entwickelt Schönbrunn Arbeitsplätze außerhalb der in Förder- und Werkstätten vorhandenen Angebote. Diese Entwicklungen werden sich rasant verstärken. Zudem wünscht sich der Bezirk Oberbayern das Franziskuswerk als Motor der Inklusion in der gesamten Region München. Eine Vielzahl von Schützlingen stammen nicht aus dem Landkreis Dachau. Der Bezirk will erreichen, dass behinderte Menschen ihre heimatliche Umgebung nicht verlassen müssen. Zusätzlich muss sich das Franziskuswerk als Anbieter sozialer Leistungen profilieren, die von behinderten Menschen im Einklang mit der fachlichen Betreuung abgerufen und über den Bezirk finanziert werden.

Diese Aufgaben soll die gemeinnützige Franziskuswerk GmbH im Einklang mit der Victoria-von-Butler-Stiftung übernehmen, die offiziell am Dienstag, 8. Dezember, gegründet wird. In einer ersten offiziellen Ankündigung wird die Generaloberin des Ordens Schwester Benigna Sirl mit den Worten zitiert: "Mit der Gründung der Viktoria-von-Butler-Stiftung stellen sich die Franziskanerinnen von Schönbrunn der Verantwortung, den Gründungsauftrag der Kongregation, für Menschen mit Behinderung in christlich-franziskanischem Geist zu arbeiten, auf Dauer in der Errichtung einer kirchlichen Stiftung zu sichern und weiterzuführen." Entscheidend sei dabei die enge Verknüpfung von Franziskuswerk und Stiftung durch die Personalunion von künftigen Vorsitzenden und Geschäftsführern. Markus Tolksdorf übernimmt beide Positionen. Auch der engere Vorstand besteht aus Tolksdorfs Führungskreis mit Michaela Streich und Markus Holl. Der Orden der Franziskanerinnen zieht sich somit komplett und endgültig aus allen operativen Angelegenheiten zurück. Ein Kontrollgremium soll die Aufsicht über Stiftungsvorstand und Geschäftsführung des Franziskuswerks übernehmen. Ihm sitzt die Generaloberin vor.

Am 1. Januar 2016 nimmt die Victoria-von-Butler-Stiftung ihre Tätigkeit auf. Bereits am 15. April nächsten Jahres sollen die Wettbewerbsbeiträge von acht Architekturbüros vorliegen, wie das "Modelldorf der Inklusion" tatsächlich ausschauen könnte. Dabei geht es vor allem um gestalterische Fragen, wie und wo neue, attraktive Baugebiete besonders für Familien geschaffen werden. Wichtig ist Tolksdorf auch die Beteiligung der Gemeinde Röhrmoos an dem Verfahren: "Die Umsetzung der Ideen kann nur unter Einbeziehung und in enger Abstimmung mit der Gemeinde geschehen und muss immer auch die Interessen der umliegenden Dörfer im Blick haben." Deshalb sind im Sachpreisgericht neben Markus Tolksdorf auch der Röhrmooser Bürgermeister Dieter Kugler, Landrat Stefan Löwl und der oberbayerische Bezirkstagspräsident Josef Mederer vertreten. Er zeigt sich begeistert von den Franziskanerinnen: "Sie sind mutig und konsequent, im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung für den Menschen."

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SZ vom 05.11.2015
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