Süddeutsche Zeitung

Politik im Landkreis:Gegen alle Widerstände

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Noch immer stellen Menschen mit Migrationshintergrund auch in der Dachauer Politik eine Minderheit dar. Das liegt eher an fehlender Zeit als an fehlender Toleranz, glauben einige. Über vier Menschen, die sich trotzdem engagieren

Von Nicole lamers, Dachau

Bürger mit Migrationshintergrund sind bei der Kommunalwahl im März auf vielen Listen im Landkreis Dachau nicht oder nur spärlich vertreten. Offensichtlich scheint Herkunft und Religion nach wie vor ausschlaggebend für politische Partizipation zu sein. Ein Negativbeispiel hierzu wurde unlängst aus der schwäbischen Marktgemeinde Wallerstein bekannt. Die CSU-Basis lehnte den Bürgermeisterkandidaten Sener Sahin mit der Begründung ab, ein Muslim passe nicht zu den Werten der Christlich Sozialen Union. Ein Einzelfall? Die Dachauer SZ hat bei Menschen mit Migrationshintergrund nachgefragt, die sich politisch engagieren.

Berkay Kengeroglu (SPD) ist genauso in Dachau geboren und aufgewachsen wie drei Generationen seiner Familie zuvor. Dennoch hat auch er "hin und wieder Schwierigkeiten mit Leuten, die der Migrationshintergrund stört". "Ich frage mich schon, was man eigentlich tun muss, damit das kein Thema mehr ist", sagt der 19-jährige Jurastudent. Er kandidiert nach langjährigem Engagement im Dachauer Jugendrat bei der kommenden Kommunalwahl erstmals für den Dachauer Stadtrat.

Die Rückendeckung der eigenen Partei hält er für sehr wichtig. "Ich habe von der SPD trotz meiner Erstkandidatur den sehr guten Listenplatz 7 bekommen", betont er. In einer Partei wie der CSU hätte er als Muslim sich das nicht vorstellen können. Was in Wallerstein passiert ist, bezeichnet Kengeroglu als "sehr unschön". Er hält es für absolut richtig, dass Sener Sahin sich von der örtlichen CSU-Spitze nicht doch noch zu einer erneuten Kandidatur überreden ließ. Durch diese Konsequenz habe die Geschichte zu Recht größere Wellen geschlagen.

Auch Sophie Kyriakidou (SPD) hätte an Sener Sahins Stelle genauso gehandelt. "So etwas darf einfach nicht sein", betont die Dachauer Stadträtin, die sich Integration als besonderes Anliegen auf die Fahne geschrieben hat. Allerdings führt sie die faktische Unterrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund auf den Listen für Kommunalwahlen weniger auf die CSU als Partei und deren konservative Ausrichtung zurück.

"Es liegt wohl eher daran, dass die Leute in dörflichen Umgebungen oft noch etwas engstirnig sind", meint die gebürtige Münchenerin. In der Stadt Dachau selbst beispielsweise habe es dahingehend in den knapp zwanzig Jahren, in denen sie hier lebe, viele positive Entwicklungen gegeben. "Dachau steht für Vielfalt und Toleranz", erklärt sie. Das motiviere natürlich, sich für ein politisches Amt aufstellen zu lassen. Allerdings erzählt sie, dass es auch in Dachau Zeit gebraucht habe, bis sich Ressentiments abgebaut hätten.

Huda Ikid-Berhanu, die auf Platz 7 der Dachauer Stadtratsliste von Wir steht, erzählt, dass sie im Alltag durchaus schon Menschen begegnet sei, die sich durch ihr Kopftuch zu rassistischen Äußerungen veranlasst sahen. Bei ihrer Kandidatur für den Stadtrat sei ihr Kopftuch allerdings kein Problem gewesen. "Im Gegenteil, ich wurde sogar gezielt von Wolfgang Moll angeworben." Moll saß bereits im Stadtrat und gründete 2018 die politische Vereinigung Wir.

Ikid-Berhanu erzählt, dass der Kontakt über ihr Engagement in der Taekwondo-Abteilung des TSV Dachau 1865 zustande kam. Die 45-jährige Kinderpflegerin zog zwar erst vor einigen Jahren aus München her, war aber schon zuvor lange Jahre fest im TSV eingebunden. Sie rechnet hinsichtlich der Wahlen zwar damit, dass es "Menschen geben wird, die mit einer Frau mit Kopftuch Probleme haben". Andererseits habe sie aber das Gefühl, dass die Dachauer, nicht zuletzt aufgrund des historischen Hintergrunds, etwas sensibler hinsichtlich der Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen seien.

Auch Timo Laskaris bewertet die Lage im Landkreis eher positiv. Der griechischstämmige Karlsfelder engagiert sich seit 15 Jahren für die CSU im Gemeinderat. "Ich selbst hatte persönlich nie Probleme mit Anfeindungen oder Ähnlichem." Ihm sei auch kein Fall bekannt, der Parallelen zu den Ereignissen in Wallerstein aufweise. Dass die Beteiligung ausländischer Mitbürger in der Kommunalpolitik eher gering sei, ist aber auch ihm aufgefallen.

Es fehlt den potenziellen Kandidaten aus den griechischen und türkischen Gemeinden des Landkreises aus seiner Sicht vor allem noch an Kapazitäten. Viele hätten mehrere Jobs und deswegen kaum Zeit sich politisch zu engagieren. Aufgrund der steigenden Bildungschancen für Menschen mit Migrationshintergrund rechnet er in den nächsten Jahren aber mit immer mehr Bereitschaft zu politischer Teilhabe.

"Es müssten in der Tat erst einmal Leute mit Migrationshintergrund da sein, die Interesse haben sich politisch zu engagieren", gibt auch Berkay Kengeroglu zu bedenken. Aber zuletzt entscheide dann doch der Wähler, und daher seien die Wahlerfolge der AfD natürlich gewissermaßen abschreckend. "Das sollte aber kein Grund sein, es gar nicht erst zu probieren", meint er. Und Religion sollte dabei ohnehin keine Rolle spielen, betont seine Parteikollegin Sophie Kyriakidou.

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SZ vom 20.01.2020
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