Süddeutsche Zeitung

Hotspot in Pflegeheim:Hygienekonzept ohne Sicherheitsgarantie

Lesezeit: 3 min

Der Corona-Ausbruch in einem Karlsfelder Pflegeheim mit bislang 37 Infizierten und einem Todesfall wirft viele Fragen auf - vor allem, wie sich das Virus trotz einer Strategie der Eingrenzung auf den Stationen ausbreiten konnte

Von Thomas Balbierer, Dachau

Nach dem Coronavirus-Ausbruch im Karlsfelder Pflegeheim Haus Anna-Elisabeth mit bislang 37 infizierten Bewohnern und Mitarbeitern und einem Todesfall stellt sich die Frage, wie sich das Virus trotz Hygienekonzepts auf allen Stationen ausbreiten konnte. Vergangene Woche war bekannt geworden, dass es - anders als bis dahin angenommen - Corona-Fälle auch außerhalb des zuerst betroffenen Bereichs gibt. Und das obwohl die Verantwortlichen der Behörden und des Heims eine Strategie der Eingrenzung verfolgt hatten. Durch personelle und organisatorische Trennung der Stationen sollte die betroffene Station isoliert werden. Das schien zunächst auch zu gelingen, noch vor einer Woche erklärte das Landratsamt in einer Pressemitteilung, dass das Hygienekonzept "gegriffen hat und sich das Ausbruchgeschehen auf eine Station beschränkt". Doch inzwischen sind 26 Bewohner und elf Mitarbeiter auf mehreren Stationen positiv getestet worden, das Hygienekonzept hat die Ausbreitung nicht verhindert. Es stellt sich die Frage, ob Bewohner und Mitarbeiter ausreichend geschützt wurden.

"Im Grundsatz war das Hygienekonzept richtig", sagt Landrat Löwl (CSU), dessen Gesundheitsamt für die Überprüfung des Hygienekonzepts zuständig ist. Es habe "keine großen fachlichen Mängel" aufgewiesen. Doch Löwl betont, dass selbst ein gutes Hygienekonzept einen Ausbruch nicht völlig ausschließen könne. "Einen hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben", sagt der Landrat. Wie war es möglich, dass sich das Virus trotz des Hygienekonzepts auf andere Bereiche ausbreitete? Es gebe zwei denkbare Erklärungen, sagt Löwl. Ein Mitarbeiter der Sozialarbeit könnte auf allen drei Stationen tätig gewesen sein und so das Virus unerkannt zwischen den Bereichen verteilt haben - der Mitarbeiter sei inzwischen positiv getestet worden, so Löwl. Eine andere Erklärung ist, dass Pfleger bei einem nächtlichen Notfall auf einer anderen Station helfen mussten und das Coronavirus auf Mitarbeiter und Bewohner des Bereichs überspringen konnte. Es sei jedoch derzeit "nicht komplett nachvollziehbar", wie die Infektionen außerhalb der ursprünglich betroffenen Station zustande kamen, sagt der Landrat. Seine Behörde vermutet, dass die Ansteckungen schon vor Bekanntwerden des Ausbruchs stattfanden.

Eine ganz andere Erklärung als Löwl liefert Anatol Becker, er leitet das Haus Anna-Elisabeth. Er betont, dass das Hygienekonzept keine Lücken hatte, das sei vom Gesundheitsamt bestätigt worden, sondern dass sich das Virus unter den Bewohnern verbreitet haben muss. Die Bewohner der drei Stationen hätten sich vor der Isolation untereinander getroffen und sich möglicherweise nicht an Hygienemaßnahmen gehalten und zum Beispiel keine Masken getragen. Eine Überprüfung aller 162 Bewohner zu jeder Zeit sei nicht möglich, so Becker. "Wir betreiben keinen Freiheitsentzug. Wir sind ein offenes Haus." Dass, wie der Landrat sagt, eine Vermischung des Personals auf den Stationen stattgefunden haben könnte, schließt der Heimleiter aus. Am Montag gab es in dem Heim letzte Reihentestungen, fünf Bewohner sind laut Becker derzeit in stationärer Behandlung, den infizierten Mitarbeitern und Senioren im Heim gehe es gut, so Becker.

Davon können sich die Angehörigen der Heimbewohner bislang nicht überzeugen, die Einrichtung ist für Besucher gesperrt. Ein Dachauer, der seine demenzkranke Mutter seit sechs Wochen nicht mehr besucht hat, sagt, dass Fragen am Telefon ohne Antwort blieben. Doch er wünsche sich endlich mehr Informationen über die Situation in dem Heim. "Wer pflegt jetzt meine Mutter? Und wie geht es ihr unter diesen Umständen?", fragt sich der Mann, der anonym bleiben möchte, um seine Mutter zu schützen. Er könne sie zwar auf dem Zimmertelefon erreichen, doch es sei schwer, mit der dementen Frau zu telefonieren. "Für sie ist die Situation auch sehr verwirrend", sagt er.

Stattdessen wünscht er sich einen Infobrief des Heimes oder des Gesundheitsamtes, der alle Familien der isolierten Bewohner über die Maßnahmen und Regeln informiert. "Die Fragen, die mich quälen, quälen die anderen ja auch", sagt er. Zum Beispiel würde er gerne wissen, ob und wann Besuche bei der Mutter wieder möglich sind. Auch eine Entschuldigung fände er nicht verkehrt, auch wenn ihm das gar nicht wichtig sei, schließlich habe das Pflegeheim bislang immer "sehr gute" Betreuungsarbeit geleistet.

Tatsächlich arbeite das Haus Anna-Elisabeth gerade daran, die Mailadressen der Angehörigen zu sammeln, um künftig in Rundmails über die Lage zu informieren, sagt Becker. Bisher habe man nur die Familien der infizierten Bewohner kontaktiert, das wolle man aber ändern. Falls es keine weiteren Ansteckungen geben sollte, so hofft der Heimleiter, könnte die Einrichtung spätestens Ende September wieder sicher sein. Dann könnte auch der Besucherstopp fallen.

Welche Konsequenzen folgen aus dem Fall Karlsfeld? Heimleiter Becker hält als Lehre aus dem Ausbruch entweder strengere Besucherregeln oder regelmäßige Reihentestungen von Personal und Bewohnern für nötig. Landrat Löwl erklärt, dass sich die Heimaufsicht genau ansehen werde, was im Haus Anna-Elisabeth möglicherweise falsch gelaufen sei, außerdem werde man andere Pflegeheime im Landkreis über die Erfahrungen in Karlsfeld informieren. "Wir lernen immer dazu", sagt Löwl. Man müsse zum Beispiel darüber nachdenken, ob Mitarbeiter, die auf mehreren Stationen tätig sind, mit besserer Schutzausrüstung ausgestattet werden müssen.

Aber, das betont der Landrat wiederholt: Einen garantierten Schutz werde es auch in Zukunft nicht geben. Der Ausbruch in Karlsfeld zeige, dass die Corona-Pandemie weiterhin ernst genommen werden müsse. "Wir dürfen nicht nachlassen", sagt Löwl.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5023895
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.09.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.