Süddeutsche Zeitung

Der Hoffnungsträger:Israelischer Staatspräsident kommt nach Dachau

Lesezeit: 3 min

Reuven Rivlin und sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier besuchen die KZ-Gedenkstätte.

Von Helmut Zeller, Dachau

Erstmals in der Geschichte der KZ-Gedenkstätte Dachau kommt ein israelischer Staatspräsident auf Besuch: Am Mittwoch, 6. September, besichtigen Reuven Rivlin und seine Frau Nechama den Gedenkort, der 1965 entstanden ist. Sie werden begleitet von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Zuvor nimmt Reuven Rivlin an der Einweihung der Gedenkstätte im Olympiapark in München teil, die an das Attentat palästinensischer Terroristen erinnert. Während der Olympischen Sommerspiele 1972 starben bei dem Anschlag elf israelische Sportler und ein bayerischer Polizist. Der Besuch in der KZ-Gedenkstätte erfolgt auf ausdrücklichen Wunsch des israelischen Staatspräsidenten - und weckt große Erwartungen in der jüdischen Gemeinde, die seine Reise als Stärkung der guten deutsch-israelischen Beziehungen sieht und als ein starkes Zeichen gegen den wachsenden Antisemitismus.

Zur neuen Gedenkstätte in München erklärte Rivlin noch vor der Abreise in Jerusalem, sie "muss als Zeuge für die Gefahren des Hasses und die grausame Brutalität des Terrorismus sowie für das Versprechen stehen, dass diejenigen, die den Terrorismus verbreiten und unterstützen, den Preis bezahlen werden". Zwei Jahre davor, am 13. Februar 1970, starben bei einem Brandanschlag auf ein jüdisches Altenheim in München sieben Menschen, darunter zwei Überlebende der Shoah. Der Anschlag ist bis heute nicht aufgeklärt.

Noch bevor sich Israels Präsident bei seinem Deutschlandbesuch dann mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trifft, kommt er nach Dachau, um der Naziopfer zu gedenken. Damit gibt Rivlin ein starkes Signal: Er bezeugt den Toten und den heute noch etwa 400 000 Überlebenden der Shoah, die Hälfte davon lebt in Israel, seinen Respekt. Und seine Geste verdeutlicht: Die deutsch-israelischen Beziehungen stehen auf der Grundlage der gemeinsamen Erinnerung an die Shoah und der daraus resultierenden geschichtlichen Verantwortung Deutschlands. 2015 nahm Rivlin an der Feier zum 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern teil. Er sprach damals von einer "Reise, die uns von den Schrecken der Vergangenheit in die Gegenwart brachte, mit Kooperation und Freundschaft, die uns zu einer vielversprechenden Zukunft führen". Rivlin machte klar, dass "diese Freundschaft keinesfalls eine Entschädigung für den Holocaust" sei.

"Deutschland und Israel sind nicht nur aufgrund der Vergangenheit Partner und Freunde, sondern aufgrund der gemeinsamen Werte und Ziele in der Gegenwart", sagt auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. "Es gibt gute Kontakte und einen fruchtbaren Austausch auf allen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und zivilgesellschaftlichen Ebenen." In Israel herrscht heute ein positives Bild von Deutschland vor.

Der Besuch des israelischen Staatsoberhaupts ist von großer Bedeutung für die jüdische Gemeinde. Charlotte Knobloch erklärt im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, was ihre Gemeindemitglieder bewegt: "Das gemeinsame Gedenken des deutschen und des israelischen Staatsoberhauptes sowie des bayerischen Ministerpräsidenten ist beinahe ein historisches Ereignis. Es ist ein außergewöhnlich starkes Signal in dieser Zeit - drei Wochen, ehe eine rechtsextreme Partei mit nationalistischen, völkischen, rassistischen und antisemitischen Thesen und radikalem Personal in den Deutschen Bundestag einziehen könnte."

Die jüdische Gemeinschaft in Bayern leidet unter dem Erstarken des Antisemitismus. Die Zahl der judenfeindlichen Straftaten blieb laut Landeskriminalamt im ersten Halbjahr 2017 mit 62 Fällen weiter auf einem hohen Niveau. 2015 wurden insgesamt 132 antisemitische Straftaten im Freistaat registriert, 2016 waren es bereits 176. Der Lagebericht der Grünen-Landtagsfraktion dokumentiert eine dramatische Entwicklung: 2016 gab es demnach 2379 Straftaten, die der extremen Rechten zugerechnet werden - eine Zunahme um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr und fast 60 Prozent mehr als 2010.

Doch das sind nur die von Behörden registrierten Straftaten - judenfeindliche Ressentiments verbreiten sich in der ganzen Gesellschaft, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Besuch der Augsburger Synagoge im Juni erklärt hat. "Dabei mische sich ein bis heute tradierter Antisemitismus mit einem neuen Antisemitismus in Teilen muslimisch geprägter Zuwanderergruppen, sagte er in einem Interview der Augsburger Allgemeinen.

Rivlins Besuch, so Charlotte Knobloch, betone, "dass Deutschland - unsere Heimat - und Israel - das Land, zu dem viele jüdische Menschen eine enge emotionale Verbindung haben - entschlossen sind, die großen Gefahren der Gegenwart gemeinsam zu meistern". Noch sei es nicht zu spät, die Schande des möglichen Einzugs einer rechtsextremen Partei in den Bundestag zu verhindern und sich die Lehren der Geschichte vor Augen zu führen. "Ich hoffe, dass die Bilder dieser Reise dazu beitragen können." Charlotte Knobloch hält am jüdischen Mahnmal an der KZ-Gedenkstätte eine Rede. Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nimmt an der Gedenkfeier teil.

Die Visite soll nur eine Stunde dauern. Präsident Rivlin und sein Gefolge, darunter auch Steinmeiers Frau Elke Büdenbender und Karin Seehofer, werden um 16.30 Uhr am historischen Jourhaus empfangen: unter anderem von Jean-Michel Thomas, Präsident des Internationalen Dachau-Komitees, seinem Vize, dem Shoah-Überlebenden Abba Naor , und Karl Freller, Direktor der bayerischen Gedenkstättenstiftung. Nach einem Besuch des Museums legen Rivlin, Steinmeier und Seehofer am Internationalen Mahnmal Kränze nieder. Danach fährt die Gruppe zum jüdischen Mahnmal. Die KZ-Gedenkstätte ist von 14 Uhr an für Besucher geschlossen.

Abba Naor sieht der Begegnung freudig entgegen: "Für mich als Israeli und Überlebender der Shoah ist der Besuch Rivlins sehr bewegend", sagt der 89-Jährige. "Ich hatte nach der Befreiung viele Träume, aber nie hätte ich mir vorgestellt, dass ich einmal unseren Präsidenten auf dem Boden des ehemaligen Konzentrationslagers begrüßen werde."

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Quelle:
SZ vom 31.08.2017
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