Süddeutsche Zeitung

Dachauer Moos:Das Moor darf nicht gehen

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Das Dachauer Moos war eine urwüchsige vom Wasser geprägte Naturlandschaft. Der Klimawandel zeigt, wie wertvoll es ist

Von Bernhard Lohr

Robert Rossa muss nur ein paar Meter gehen und schon steckt er mit seinen Schuhen mittendrin in seinem Thema. Er biegt am Parkplatz am Unterschleißheimer See rechts ab und nimmt die Brücke über einen kleinen Bach. Ein Schritt noch, rauf auf den Acker: Rossa bückt sich, greift beherzt in den schwarzen Torfboden und zerreibt das Material zwischen seinen Fingern, bis nichts mehr übrig bleibt. Seine Finger werden braun wie seine Schuhe, aber sonst ist alles weg. "Das ist reine Pflanzenmasse, kein bisschen Mineralien", sagt Rossa, "das löst sich auf." Nur ein paar Steine hat der Agraringenieur und Geschäftsführer des Dachauer-Moos-Vereins noch in der Hand. Mit dem kleinen Trick, bei dem er wie mit Zauberhand Boden in Nichts auflöst, demonstriert Rossa, warum der Erhalt der Mooslandschaft wichtig ist für den Klimaschutz und warum sich die Bewirtschaftung dort schon längst hätte ändern müssen.

Moorboden gilt vielen als hochwertig. Er wird als Torf an Gärtner verkauft, um die Bodenqualität zu verbessern. Dabei bleibt unbeachtet, dass Torf sich von Erde grundsätzlich unterscheidet. Es ist Pflanzenmasse, die sich in nasser Moorumgebung unter dem Ausschluss von Sauerstoff nicht zersetzt und angesammelt hat. Das Kohlendioxid, das die Pflanzen vor Tausenden von Jahren im Wachstumsprozess aufgenommen haben, ist darin als Kohlenstoff gespeichert. Und es wird freigesetzt, sobald der Mensch die Moore bearbeitet: wenn er Torf abbaut, wenn er Moore trockenlegt und dem Sauerstoff aussetzt. Heute noch wird das verbliebene Moos von der "Kohlenstoffsenke", wie es Robert Rossa nennt, zur "Kohlenstoffquelle", wenn auf mageren, nach dem Torfabbau verbliebenen Flächen konventionell Landwirtschaft betrieben wird.

Wenn ein Bauer mit dem Pflug den Boden aufwirft, wird der Zersetzungsprozess beschleunigt. Ein Hektar landwirtschaftlich genutzter Moorflächen emittiert so nach Angaben des Dachauer-Moos-Vereins bis zu 50 Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr. Das ist mehr als ein Fünf-Personen-Haushalt. Das Klima, aber auch der Landwirt selbst ist Leidtragender. Der Boden verschwinde, sagt Rossa. Auf dem Acker, in dem Rossa steht, sind viele Steine zu sehen. "Der Grund verliert an Wert."

An diesem trüben Wintertag sind etliche Spaziergänger am Unterschleißheimer See unterwegs. Sie zieht es raus mit Hund und Nordic-Walking-Stöcken. Dass sie sich durch eine frühere Moor- und Mooslandschaft bewegen, ist den wenigsten bewusst.

Noch um die Wende zum 20. Jahrhundert hielten Landschaftsmaler der Dachauer Künstlerkolonie wie Hermann Stockmann ursprüngliche, wilde, vom Wasser geprägte Naturräume fest. "Wie schnell sich die Landschaft gewandelt hat, das kann man sich gar nicht vorstellen", sagt Rossa. Vor 150 Jahren wäre ein Spaziergang hier unmöglich gewesen, sagt Rossa, der mittlerweile auf der Brücke über dem zwei Meter tiefer plätschernden Bach steht. Einst sei das Grundwasser auf Bodenhöhe gestanden, sagt Rossa und geht in die Knie, breitet die Arme aus und hebt sie an, als wollte er, einem Magier gleich, das Wasser aus seinem Bachbett holen. Aber zu tief liegt der Grundwasserstand heute. Ein Zurück in die Vergangenheit, sagt Rossa, sei nicht mehr möglich. "Das ist hier nicht Natur", sagt er. Und das nicht nur, weil der Unterschleißheimer See ein erst vor ein paar Jahrzehnten ausgehobener Autobahnsee ist.

Mit "Dachauer Moos" wird ein Landstreifen zwischen dem Nordrand der Münchner Schotterebene und dem Tertiärhügelland beschrieben. Er reicht von Germering im Südosten über Dachau die westlichen Gebiete Oberschleißheims und Unterschleißheims bis nach Freising. Die geologischen Voraussetzungen für die Moorlandschaft haben sich in der Eiszeit herausgebildet, als der Isar-Loisach-Gletscher und der Inngletscher Kies mit sich führten. Wo die im Süden mächtigen Schotterflöze nach Norden auslaufen, tritt eine wasserundurchlässige Flinzschicht an die Oberfläche; und mit ihr Grundwasser. So war das zumindest lange Zeit. Man wäre früher im Niedermoor versunken, wäre durch tiefen Boden gewatet, oder der weiche Torfboden hätte unter den Füßen nachgegeben.

Für den Menschen war es unwirtliches Land. Wenige Wege führten hindurch. Bis auf einzelne Höfe war die Region unbesiedelt, wie Rossa erzählt. Auf der Garchinger Schotterzunge wurde ein Streifen bei Feldmoching und Schleißheim landwirtschaftlich genutzt. Das Moos war hier und dort Weideland. Die Veränderung begann damit, dass die Landesfürsten den Schleißheimer Raum für sich entdeckten. Wilhelm V. schuf um 1600 eine Musterschwaige, woraus sich die Schlossanlage entwickelte. Der Würmkanal von Karlsfeld nach Oberschleißheim entstand. Andere Kanäle folgten, um Material zum Bau der Schlossanlagen heranzuschaffen. Von Dachau und Garching her wurden Wasserläufe gelegt, und es bildete sich ein 50 Kilometer langes Kanalsystem heraus, das heute als landschaftsgestalterisches Kunstwerk unter Denkmalschutz steht.

Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Brennwert von Torf entdeckt. 1759 wurden 320 000 Stück Torf über den Dirnismaninger Kanal nach München gebracht. Der Torfabbau nahm industrielle Formen an. Bald heizten Brauereien ihre Sudkessel mit Torf an. Das Hackermoos bei Oberschleißheim erinnert daran. Die Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen befeuerten ihre Lokomotiven mit Torf. Das Material, das etwa so gut brennt wie Braunkohle, war der Treibstoff der angehenden industriellen Revolution, später abgelöst durch Steinkohle, Öl und Gas.

Um einen Millimeter sind über Jahrtausende die Torfschichten im Jahr gewachsen. Mehrere Meter dicke Flöze entstanden. Im Raum Gröbenzell, Karlsfeld und vor allem bei Unterschleißheim, im Hackermoos und im Schleißheimer Moos wurde massiv Torf abgebaut. Im Inhauser Moos sind Rossa zufolge Reste des ursprünglichen Moors erhalten. Und noch mehr im Raum Freising, weil diese Flächen wegen ihrer von der Großstadt München entfernteren Lage weniger ausgebeutet worden seien.

Verloren ging Schritt für Schritt das Moor als Naturreservat mit seltenen Pflanzen, deren Samen die Gletscher aus dem Alpenraum mitgeführt hatten und von denen sich wie bei der Sumpf-Gladiole seltene Abarten herausbildeten. Das Birkhuhn und viele Libellenarten verschwanden, andere Tiere wurden an den Rand gedrängt wie der Kiebitz. Die Landwirtschaft hielt Einzug, als erste Entwässerungsgräben im 18. Jahrhundert entstanden.

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war in Riedmoos bei Unterschleißheim der Boden durchweg feucht. Die Kultivierungsarbeit wurde intensiver. Es ging um Fläche zur Nahrungsmittelproduktion. Systematisch wurden Arbeitslose herangezogen, um schnurgerade Kanäle zu ziehen. 1916 gruben französische Kriegsgefangene den Kalterbach aus. Die russisch-deutsche Autorin Selma Ruoff, die Stefan Gerstorfer in seinem Buch "Das Dachauer Moos. Landschaft im Wandel" zitiert, schreibt 1922: "Besonders schmerzlich (...) sind die Zerstörungen durch die Regulierung der Moosach im unteren Dachauer Moos, zwischen Unterschleißheim und Pulling. Hier, wo sonst tiefe Einsamkeit herrschte, die nur im Spätherbst durch Streumäher unterbrochen wurde, ist jetzt reges Leben. Schienenstränge ziehen sich durch das Moor, der Torfbagger pfeift, es wimmelt von Arbeitern, die hier auch ihre Baracken haben."

Einen tiefen Einschnitt in den Wasser- und Naturhaushalt hat anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1972 der Bau des Regattasees bei Oberschleißheim bedeutet. Im Süden geht es dort 5,5 Meter in die Tiefe. Der Grundwassertrog entwässere, wie Stefan Gerstorfer schreibt, heute große Teile des Dachauer Mooses. Durch die Absenkung des Grundwasserspiegels sei in bedeutsamen Umfang moorspezifische Vegetation verloren gegangen. 600 Liter Wasser pro Sekunde liefen von der Regattaanlage ab, erzählt Rossa.

Der Schwebelbach bei Riedmoos wurde 1960 noch vertieft. Rossa beklagt, dass lange der Glaube geherrschte habe, Torfböden könnten für Feldfrucht-Anbau nutzbar werden. Am Moorversuchsgut in Oberschleißheim wurde geforscht, was gut gedeiht. Nach Kartoffeln und Roggen wurde vermehrt dann Weizen und Gerste angebaut. Bis heute wird auf abgetorften Flächen wie nahe dem Unterschleißheimer See Ackerbau betrieben. Jetzt im Winter ist der Boden mit einer Deckpflanze überwuchert. Robert Rossa registriert das immerhin zufrieden. Da habe jemand richtig gehandelt, um den Abbauprozess des Torfs zu bremsen. Doch eigentlich hält er eine Kehrtwende für notwendig. Heute noch setzen Moore in Bayern nach Angaben des Moos-Vereins 4,9 bis 5,4 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr frei. Das sind sechs Prozent der Emissionen aus der Nutzung fossiler Energieträger.

Es gibt Konzepte. So genannte Paludikulturen, also moortypische Pflanzen wie Schilf, Seggen, Rohrglanzgras, Schwarzerlen oder Kräuter könnten angebaut werden, um Dämmmaterial zu gewinnen. Weideland hält die Oberschicht gedeckt und bremst den Zersetzungsprozess des Torfs. Seltene Arten wie das Murnau-Werdenfelser-Rind könnte im Moos stehen, erzählt Rossa, so wie die Wasserbüffel im Donaumoos. Aber einfach sei die Umstellung etwa für Landwirte, die einen teuren Maschinenpark unterhielten, nicht, erzählt der Naturschützer und Agraringenieur.

Die Eingriffe des Menschen auch nur im Ansatz rückgängig zu machen, hält Robert Rossa nicht für möglich. Er setzt sich für "viele kleine Schritte" ein, um das Klima zu schützen und die Bewirtschaftung nachhaltig zu gestalten. Der Dachauer-Moos-Verein schafft Naturinseln, die vernässt werden. Bereiche um Riedmoos wurden Landschaftsschutzgebiet. Die Stadt Unterschleißheim hat für Eingriffe an der Landshuter Straße zweieinhalb Hektar Ackerfläche renaturiert. Kürzlich wurde der Moos-Informationspfad vom Unterschleißheimer See nach Riedmoos erneuert. Vier Tafeln klären über die Bedeutung der Landschaft auch zur Naherholung auf. "Wenn ich die Landschaft strukturell aufwerte, tue ich auch was für den Menschen", sagt Rossa.

Vieles geht nach seinem Geschmack zu langsam voran. Doch die Klimadebatte bringt etwas in Bewegung. Im Landkreis Dachau macht der Bund Naturschutz Druck, mehr Geld für den Schutz des Mooses freizugeben. Staatliche Programme werden aufgelegt. Rossa berichtet von einem geplanten hydrogeologischen Gutachten, um Vernässungspläne auf Flächen der Staatsforsten im Inhauser Moos anzugehen. Vor Umbrüchen sieht er die Landwirtschaft. "Wir brauchen eigentlich einen Generationenvertrag wie bei der Kohle."

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SZ vom 11.01.2022
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