Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremismus:Der Staat muss sich wehren

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Es ist schlecht, dass sich der Staat nur über den Umweg des Jugendschutzes zu helfen weiß, um gegen ein Portal vorzugehen, das an öffentliche Pranger-Methoden aus dem Mittelalter erinnert.

Kommentar von Thomas Radlmaier

Es ist gut, dass das Pranger-Portal "Nürnberg 2.0 Deutschland" jetzt auf dem Index für jugendgefährdende Medien steht. Denn für diesen ganzen Hass-Müll, der im Netz kursiert, sind auch Jugendliche empfänglich. Traurige Beispiele: Die antisemitischen Klassenchats am Ignaz-Taschner-Gymnasium in Dachau und am Max-Mannheimer-Gymnasium in Grafing. Es ist gut, dass "Nürnberg 2.0" bei Google nicht auffindbar ist. Denn weniger Verkehr auf der Seite bedeutet weniger Aufmerksamkeit für Hetzer. Andere Suchmaschinenanbieter müssen Google folgen. Aber es ist schlecht, dass sich der Staat scheinbar nur über den Umweg des Jugendschutzes zu helfen weiß, um gegen ein Portal vorzugehen, das an öffentliche Pranger-Methoden aus dem Mittelalter erinnert.

Dessen rechtsextreme Betreiber wollen in ihrer abscheulichen Vorstellung Politiker, Journalisten und Prominente vor ein Gericht stellen - nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse gegen NS-Verbrecher. Das ist kein Vergehen gegen Jugendschutzrechte. Es vielmehr ein gefährlicher Geschichtsrevisionismus, der vorgedrungen ist in unterschiedliche Gesellschaftsschichten. Diese Verschwörungstheorien bestätigen gewaltbereite Rechtsextremisten und Rassisten in ihren Weltbildern. Deshalb sind auch die Attentäter von Hanau und Halle alles andere als Einzelgänger. Sie werden bestärkt durch die Ansichten, wie sie auf Portalen wie "Nürnberg 2.0" verbreitet werden.

Es ist deshalb verheerend, dass diese Seite seit mindestens neun (!) Jahren existiert, obwohl sie von Anfang an auf dem Radar der Behörden auftauchte. Und es ist schlicht zum Fürchten, dass die deutschen Behörden scheinbar machtlos sind, sobald Hetz-Seiten vom Ausland aus betrieben werden. Dass sich für dieses Problem in den vergangenen Jahren keine Lösung gefunden hat, ist leider bezeichnend: Die Gefahr durch Rechtsextremismus ist in Deutschland viel zu lange unterschätzt worden. Ein Großteil der Politik und der staatlichen Behörden hat die Brisanz des Themas über Jahre verkannt. Es ist traurig, dass erst nach Anschlägen Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, um Rechtsextremismus und Hasskriminalität verstärkt zu bekämpfen.

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Quelle:
SZ vom 08.04.2020
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