Süddeutsche Zeitung

Alles für Coach Bernd:Spiel des Lebens

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Bernd Weißenböck, Trainer des Football-Teams Dachau Thunder, hat einen unheilbaren Tumor. Wie lange er noch lebt, weiß keiner. Doch die Mannschaft kämpft für ihren Coach. Eine Geschichte über unbändigen Willen.

Von David Holzapfel, Dachau

Die Nachricht trifft die Footballer der Dachau Thunder mit voller Wucht. "Dass ihr Bescheid wisst, es ist ein Tumor", schreibt Bernd Weißenböck, den hier alle nur "Coach Bernd" nennen, in die gemeinsame Whatsapp-Gruppe. Ende September war das. Weißenböck wird jetzt für lange Zeit nicht ins Training kommen. Die Spieler der Dachau Thunder sind erschüttert. Dennis Jacobsen, er ist Mitglied der Mannschaft, sagt: "Das war erst einmal ein Schlag ins Gesicht." Nach dem anfänglichen Schock aber ist allen sofort klar: "Wir stehen hinter unserem Coach." Die Footballer wollen Weißenböck unterstützen, stärken, ihm Mut machen, sollte er einmal den Mut verlieren.

"Coach Bernds" Geschichte ist die einer schweren Krankheit, geprägt von Zweifel und Ungewissheit. Es ist jedoch auch die Geschichte einer tiefen Freundschaft und dem unbändigen Willen, das Beste aus einer schwierigen Situation zu machen.

Anfang August. Bernd Weißenböck wird ins Klinikum nach Erding überwiesen, Verdacht auf Pankreatitis, eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse. Schmerzhaft, meist aber nach ein bis zwei Wochen ausgeheilt. Nicht so bei Weißenböck. Er wird ins Universitätsklinikum nach Großhadern verlegt. Auf einem MRT-Bild finden die Ärzte einen Schatten, der ihnen nicht gefällt. Weißenböck wird gründlicher untersucht, er hat bereits ein schlechtes Gefühl. Dann, drei Wochen später, die Diagnose: Neuroendokriner Tumor, inklusive Metastasen, im Lymphknoten, in der Leber.

Es ist ernst. Der Tumor sitzt in der Bauchspeicheldrüse - und ist äußerst selten, nur zwei bis vier Menschen pro 100 000 sind betroffen. Heilbar ist der Tumor nicht mehr, lediglich behandelbar. Ein halbes Jahr, fünf Jahre, 20 Jahre? Wie lange Weißenböck noch bleibt, er weiß es nicht. Die Ärzte wissen es auch nicht. Eine vage Prognose kann erst nach dem ersten Bestrahlungszyklus abgegeben werden. Sicher ist zum jetzigen Zeitpunkt nur eines: Die Krankheit, sie wird Bernd Weißenböck für den Rest seines Lebens begleiten.

"Ich war schon immer ein Fighter, das ist jetzt nur eine andere Art von Kampf"

Ein verregneter Herbsttag in Dachau. Draußen fallen bunte Blätter von den Bäumen. Drinnen, in der Kneipe des ASV, sitzt Weißenböck an einem großen Holztisch und erzählt. Football spielt er, seit er 14 ist. Sogar in der ersten Liga hat er schon gespielt, mit den Erding Bulls war das. Schöne Zeiten, unbeschwerte Zeiten. Er sagt: "Football verbindet unglaublich, es funktioniert nur mit geschlossenen Reihen." Vor seiner Diagnose fährt Weißenböck wöchentlich zum Training nach Dachau, bei den Thunder ist er "Offense-Coach", also hauptsächlich zuständig für die Angriffsmannschaft.

Die Spieler erinnern sich an eine Trainingseinheit mit Coach Bernd. Wie immer habe der Trainer nur Schlappen getragen. Der zuckt mit den Schultern. "Ist bequemer so." Bei dieser Einheit habe Bernd die Spieler samt Stollenschuhen über den Platz geschoben. Alle lachen. Von da an war das Vertrauen da, alle wussten: "Coach Bernd weiß, wovon er spricht." Aufgrund seiner Erkrankung kann Weißenböck erst einmal nicht mehr zum Training kommen. Bei Heimspielen steht er aber dennoch am Seitenrand, feuert seine Spieler an, bei Bedarf weist er sein Team zurecht. "Ich bin das Glücksbärchen." Coach Bernds Rolle ist jetzt eine andere.

Er hat das akzeptiert. "Ich war schon immer ein Fighter, das ist jetzt nur eine andere Art von Kampf." Der Trainer blickt zu seinem kleinen Sohn, der gerade lachend durch das Sportheim springt. "Schau dir alleine ihn an, ich kann jetzt nicht aufgeben." Warum gerade er? Natürlich hat Weißenböck sich diese Frage gestellt. Normalerweise betrifft ein neuroendokriner Tumor Patienten im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, Bernd Weißenböck ist 41. Bis vor zwei Monaten habe auch er sich gedacht: "Krank? Vielleicht mal im hohen Alter". Es kam anders. "Es kann jeden erwischen, ganz schlimm erwischen."

Es gibt noch ein Problem. Weißenböcks Erkrankung ist so selten, in Deutschland gibt es dafür lediglich ein zugelassenes Medikament, eines mit extrem starken Nebenwirkung und geringer Wirkung gegen den Tumor. Eine andere Arznei könnte Abhilfe schaffen, sie spricht Weißenböcks Tumor viel besser an. Das Problem: Es ist ein Krebs-Medikament. Ob die Krankenkasse es bezahlt, ist noch unklar, für die Anwendung gegen einen Tumor gibt es keine Zulassung von der Arzneimittelbehörde, sie wäre wirtschaftlich einfach nicht rentabel für den Hersteller, es gibt zu wenige vergleichbare Fälle. Doch Weißenböck ist zuversichtlich, dass ein "Off-Lable Use", also eine zulassungsüberschreitende Anwendung, genehmigt wird.

"Daheim rumsitzen und sich verstecken bringt ja auch nichts"

Nach einem Heimspiel, es ist Mitte Oktober, überrascht Dachau Thunder ihren Coach mit einem Transparent. "Gute Besserung Coach Bernd", steht da, zwölf Meter ist es lang. Weißenböck will es in seinem Wohnzimmer aufhängen. "Auch wenn's drei Seiten einnimmt, ist mir wurscht." Er lacht. Es sind Gesten wie diese, die den 41-Jährigen spüren lassen, dass er nicht alleine ist. Spieler Dennis Jacobsen sagt: "Wir als Mannschaft kämpfen mit ihm." Das zeigt sich in kleinen wie in großen Gesten. Das Team geht nicht anders als früher mit dem Coach um, das will er auch gar nicht. Es ist der Zusammenhalt, der spürbar wächst in dieser schwierigen Zeit. "Ich kann jeden einzelnen meinen Bruder nennen", sagt Weißenböck, "das ist ein irres Gefühl." Die Mannschaft überlegt, was sie noch tun kann, für ihren Trainer, aber auch für andere Erkrankte. Vanessa Jacobsen, die alle nur "Thunder-Mama" nennen, hat eine Idee.

Der Monat Oktober steht in der NFL, der höchsten amerikanischen Football-Liga, traditionell im Zeichen der Krebs-Vorsorge. "Pinktober" wird das Projekt genannt. Vanessa Jacobsen will es nach Dachau holen. Beim letzten Heimspiel der Saison im Oktober sollen Spenden für die Bayerische Krebsgesellschaft gesammelt, auf die Krankheit aufmerksam gemacht werden. Alle Spieler sind begeistert und voller Tatendrang. "Wir wollten Bernd aber erst einmal außen vor lassen", sagt Jacobsen, "ihn nicht in den Mittelpunkt rücken, wenn er nicht will."

Aber Bernd will. "Daheim rumsitzen und sich verstecken bringt ja auch nichts", sagt er. Der Trainer scheut die Öffentlichkeit nicht, auch er will Aufklärungsarbeit leisten. In den Vordergrund drängen aber will er sich nicht. Ihm geht es auch darum, sein Team für das zu würdigen, was es auf die Beine gestellt hat. Die Aktion zieht weite Kreise. In den Sozialen Medien erreicht die Dachau Thunder eine Welle der Solidarität. Andere Mannschaften fangen selbst damit an, Spenden zu sammeln und Werbung für die Krebshilfe zu machen.

Der Tag des letzten Heimspiels. Die Dachau Thunder empfangen die Ingolstadt Maniacs. Es ist ein bewölkter Nachmittag, kurz flutet das Licht der Herbstsonne das Spielfeld. Aus Lautsprechern an der Seitenlinie wummert amerikanischer Hip-Hop, auf dem Feld machen sich die Spieler warm. Viele sind gekommen. Freunde, Verwandte, Fans. Sie tragen pinke Pullover, Trikots, Bänder, Schals, ein paar haben sich sogar die Haare pink gefärbt. Die Spieler tragen pinke Stutzen. Die Stimmung ist ausgelassen, man freut sich auf das Spiel. Abseits des Feldes hat der Verein Stände aufgebaut. Zu kaufen gibt es Bier, Burger, Trikots und andere Fan-Artikel. Der Erlös fließt direkt in die Dachauer Beratungsstelle der Bayerischen Krebsgesellschaft.

Auch Oberbürgermeister Florian Hartmann ist gekommen, er eröffnet das Spiel. Während der Partie steht Weißenböck am Spielfeldrand. Er feuert seine Mannschaft an, klopft Schultern, wirft die Hände in die Luft bei jedem Punktgewinn. Der Trainer macht all das, was ein "Glücksbärchen" eben so zu tun hat. Am Ende gewinnt Dachau mit 34:6. Doch das Ergebnis ist nicht wichtig. Viel wichtiger ist die Botschaft, welche die Dachau Thunder heute aussenden. Coach Bernd und all die anderen im Landkreis Dachau stehen mit ihrer Krankheit nicht alleine da.

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Quelle:
SZ vom 02.11.2019
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