Süddeutsche Zeitung

Dachau:Gebremster Fahrradboom

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In der Corona-Pandemie fahren immer mehr Menschen mit dem Rad. Doch wer sich nun ein neues leisten möchte, muss mit langen Wartezeiten rechnen. Die Läden klagen über massive Lieferschwierigkeiten.

Von Julia Putzger, Dachau

Mit dem Radl zur Arbeit, zum Feierabendbier oder in den Urlaub: Nicht erst seit der Pandemie liegt Radfahren voll im Trend. Corona jedoch hat den stetigen Aufwärtstrend beflügelt und so lockt es auch im Landkreis immer mehr Menschen für einen Radausflug nach draußen. Die hohe Nachfrage und gleichzeitige Lieferschwierigkeiten bremsen den Fahrradboom allerdings ein. Das bestätigen auch die Experten im Landkreis. Mehrere Wochen oder gar Monate muss man aktuell auf sein Wunschfahrrad oder Ersatzteile warten.

Gute 30 Prozent oder sogar noch mehr, so viel Wachstum verzeichnet Heike Stürz vom E-Bike-Center Josef Lechenbauer in Altomünster für das vergangene Verkaufsjahr. Doch trotz der positiven Entwicklung, die auch heuer anhält, blickt Stürz besorgt in die Zukunft: "Die Lieferzeiten aktuell sind extrem und es wird noch schlimmer. Wir kriegen ein Problem." Was sie damit meint: "Ich kann Sie jetzt zwar beraten und Sie können sich ein schönes Fahrrad in ihrer Größe im Katalog aussuchen. Aber bis Sie es dann bekommen, vergehen acht Wochen, vielleicht auch drei Monate, oder wer weiß und es dauert sogar noch länger." Denn die Hersteller kämpften mit extremen Lieferengpässen. "So ein E-Bike besteht aus 2000 Einzelteilen. Wenn auch nur eines davon fehlt, kann das Rad nicht ausgeliefert werden", erklärt die Fachfrau aus Altomünster.

"Irgendwas musste man ja machen im Lockdown - also haben sich viele ein Fahrrad gekauft"

Mitverantwortlich für die aktuellen Lieferschwierigkeiten ist die Corona-Pandemie. Aus Angst vor wirtschaftlich unsicheren Zeiten fuhren viele Hersteller ihre Produktion im vergangenen Jahr herunter. Doch die Menschen kauften nicht weniger Fahrräder, sondern stattdessen stieg die weltweite Nachfrage. "Irgendwas musste man ja machen im Lockdown - also haben sich viele ein Fahrrad gekauft", bestätigt Stürz. Sie sieht aber noch eine weitere Ursache des Problems: "Die Fahrradindustrie ist komplett abhängig vom asiatischen Markt." Spätestens als der Suezkanal tagelang blockiert war und den Welthandel lähmte, habe sich das gerächt. Und das nächste Debakel in Sachen Frachtschifffahrt ist in Sicht: Der viertgrößte Hafen der Welt, Yantian in Südchina, ist wegen eines Coronaausbruchs vorerst so gut wie stillgelegt. "Wegen des Staus tätige ich schon die vierte große Bestellung in diesem Jahr, normalerweise genügt eine. Wer weiß wann das alles ankommt", sagt Stürz resigniert.

Die Probleme, die die Fahrradhändlerin aus Altomünster beschreibt, kennt man auch in der Stadt Dachau: "Teilweise warten wir schon seit Januar, Februar auf Fahrräder", erzählt Andreas Nastoll von Fahrrad Böhm. Auch mit Bestellungen bei den Herstellern sehe es schlecht aus, da müsse man die Kunden auf Herbst oder Winter vertrösten. Sogar auf Ersatzteile - Ketten, Ritzelpakete und andere Verschleißteile - warte man in manchen Fällen sechs bis acht Wochen. Denn nicht nur die Nachfrage nach neuen Fahrrädern sei hoch wie nie, sondern auch der Reparaturbedarf: "Man merkt: Die Leute fahren mehr Fahrrad", fasst Nastoll zusammen.

Bestätigen kann diese Aussage auch Julia Gail vom Verein Dachau Agil, der unter anderem die touristischen Angebote im Landkreis koordiniert. Der Fahrradboom sei spürbar, die Nachfrage zu Angeboten rund ums Thema "Radln" seit der Pandemie deutlich gestiegen, sagt Gail. "Viele Besucherinnen und Besucher unserer Tourist-Information Altes Zollhäusl berichteten, dass sie ihre Freizeit in der näheren Umgebung verbringen. Zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten zählen mit Abstand Wandern und Radln." Auch die Radwege-Infrastruktur in Dachau habe sich seitdem verbessert, unter anderem durch Radreparatursäulen. Aktuell werden viele neue Wegweiser im Rahmen des landkreisweiten Radverkehrskonzepts angebracht.

Zwar kann Dachau nicht mit einem großen Fernradweg wie dem Donau- oder dem Elberadweg aufwarten, dafür gibt es mehrere kürzere Themenradwege. Als kleinerer Fernradweg mit immerhin 200 Kilometern ist der Ammer-Amper-Radweg zudem die erste Strecke in Oberbayern, die vom ADFC mit vier Sternen bewertet wurde, betont Gail. Doch auch wer sich gänzlich im Landkreis bewegen möchte, findet genügend Möglichkeiten - etwa mit dem Sieben-Klöster-Weg oder dem Räuber-Kneißl-Weg.

Um für solche Touren gerüstet zu sein, fällt die Wahl beim Fahrradkauf immer häufiger auf ein E-Bike. Deren Marktanteil beträgt laut ZIV (Zweirad-Industrie-Verband) in Deutschland mittlerweile rund 39 Prozent. Und im Vergleich zu 2019 wurden vergangenes Jahr ganze 43 Prozent mehr E-Bikes verkauft. Die Vorteile liegen für die Fachverkäufer klar auf der Hand: "Gerade unsere älteren Kunden sind überglücklich, wenn sie dann wieder Distanzen von zum Beispiel 60 Kilometern schaffen, die vorher einfach nicht mehr möglich waren", erzählt Lea Stiebler von Fahrrad Bayerl Sport Stiebler in Karlsfeld. Heike Stürz aus Altomünster beobachtet zudem immer öfter, dass ihre Kunden aufs E-Bike umsteigen, um auch längere Arbeitswege bequem auf zwei Rädern statt im Auto zurücklegen zu können.

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SZ vom 01.07.2021
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