Süddeutsche Zeitung

Baurecht:"Wir haben eine Preisspirale, die keine Grenzen mehr kennt"

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Der Bayerische Gemeindetag sieht in den steigenden Wohnungspreisen "sozialen Sprengstoff". Gemeinsam mit dem Dachauer OB fordert er den Freistaat auf, den Gemeinwohlgedanken im Bodenrecht zu stärken.

Von Gregor Schiegl, Dachau 

Der Boden: roher Estrich, von der Decke hängen lose Kabel wie Sauerstoffschläuche in einem Flugzeug bei rapidem Druckabfall, die Sonne dringt nur schwach durch die verdreckten Fenster. An einem schmucklosen Tisch sitzen die Vertreter des Bayerischen Gemeindetags, in ihrer Mitte Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD). Verteilt auf drei Stuhlreihen ihnen gegenüber die Journalisten, eine Frau vom Fernsehen kämpft mit ihrer Kamera. Ein ungewöhnliches Ambiente für eine Pressekonferenz. Aber irgendwie auch ganz passend: Dieser unfertige Bau am Amperweg, der ein Vorzeigeprojekt der Stadt Dachau sein könnte, wie man der grassierenden Wohnungsnot mit innovativen Ideen begegnen kann, ist zu einem exemplarischen Beispiel dafür geworden, warum genau dies bisher nicht so recht gelingen will - und unter den derzeitigen Rahmenbedingungen vielleicht auch gar nicht gelingen kann. Doch davon wird später noch die Rede sein.

"Wir haben eine Preisspirale, die keine Grenzen mehr kennt"

Doch erst mal das allgemeine Lagebild: Der Freistaat Bayern ist in den vergangenen 20 Jahren um rund eine Million Einwohner gewachsen, das spürt man auf dem Wohnungsmarkt. Wer wenig Geld verdient, den trifft es besonders hart, die Zahl der gebundenen Sozialwohnungen sinkt seit Jahren kontinuierlich, und auch Leute, die gut verdienen, können sich vielerorts das Wohnen kaum mehr leisten. "Wir haben eine Preisspirale, die keine Grenzen mehr kennt", sagt der Präsident des Gemeindetags Uwe Brandl (CSU), von den steigenden Energiepreisen ganz zu schweigen. Darin stecke "sozialer Sprengstoff". Und natürlich will der Bayerische Gemeindetag nicht tatenlos zusehen, wie dieser Sprengstoff irgendwann überall hochgeht.

Zur Pressekonferenz hat Brandl einen Zehn-Punkte-Katalog mitgebracht, wie die Lage entschärft werden könnte. Es ist eine Hausaufgabenliste für den Freistaat, aber auch für den Bund. Es findet sich allerhand Kleinteiliges darin, etwa zu Miet-, Steuer- und Erbrecht; es gibt die Forderung, den Paragrafen 13b des Baugesetzbuchs noch weiter laufen zu lassen, der Kommunen ein beschleunigtes Verfahren erlaubt. Es findet sich darin auch die Forderung nach einem neuen System zur Kommunalfinanzierung: Dieses müsse so gestaltet werden, dass für Städte und Gemeinden Anreize entstehen, mehr Wohnraum zu schaffen und sie nicht nur auf hohen Folgekosten sitzenbleiben, etwa durch neue Kitas oder Schulen. Wie das im Einzelnen gelöst wird, überlasse Brandl lieber den Experten auf Landes- und Bundesebene, da gebe es ja genügend "findige Juristen".

Grund und Boden müssen dem Gemeinwohl dienen

Bemerkenswert an dem Katalog des Gemeindetags ist die fundamentale Forderung nach einer "Debatte über ein gemeinwohlorientiertes Bodenrecht". Man kann das durchaus als eine Kampfansage an Spekulanten verstehen, die "ohne besonderen Arbeits- und Kapitalaufwand" Gewinne aus ihrem Grundbesitz ziehen, wie es im Positionspapier des Verbands heißt. Dachau hat seine Bodenpolitik bereits in diesem Sinne neu ausgerichtet: Will ein Eigentümer, dass sein Grundstück zu Bauland wird, muss er 50 Prozent davon an die Stadt verkaufen. Die bayerische Verfassung sieht ausdrücklich vor, Zugewinne solcher Art "für die Allgemeinheit nutzbar zu machen". Dennoch gab es an dieser Regelung harsche Kritik: Sie greife zu stark in das Eigentumsrecht ein. Womöglich um allzu heftige politische Erschütterungen zu vermeiden, hat der Gemeindetag seinen Katalog auch eher vorsichtig als "Diskussionspapier" gelabelt.

Längst betreffen die Wohnraumprobleme auch den ländlichen Raum. Uwe Brandl weiß das als Bürgermeister der niederbayerischen Kleinstadt Abensberg mit knapp 15 000 Einwohnern nur zu gut. Wohnen wird auch dort immer teurer. In Dachau ist die Lage schon viel brisanter. Mit rund 10 000 Euro müsse man bei einem Neubau pro Quadratmeter in der Großen Kreisstadt inzwischen rechnen, referiert Hartmann nüchtern, der Grundstückspreis pro Quadratmeter: stolze 2500 Euro. Wer sich hier ein Einfamilienhaus mit kleinem Garten leisten will, muss schon eine Million Euro hinlegen, das können die wenigsten.

In den Augen von Gemeindetagschef Brandl sei das eine katastrophale Entwicklung. Wohneigentum sei die beste Altersvorsorge, sagt er, gleichzeitig sei Deutschland das Land in Europa mit der geringsten Quote an Hausbesitzern. Das müsse die Politik ändern. Genauer: Freistaat und Bund, indem sie die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und den Kommunen die entsprechenden Werkzeuge an die Hand gebe, um den bezahlbaren Wohnraum dort zu schaffen, wo er benötigt werde. Zu diesen Werkzeugen zählt Brandl beispielsweise ein besseres Vorkaufsrecht auf Grundstücke im Ort. Und dann müsse man ihnen natürlich auch mehr Handlungsspielräume im Baurecht eröffnen. Es gebe noch viel zu viele Hürden. Das kann man nirgendwo besser sehen als an dem Bauprojekt am Amperweg.

Stadt baut Kita mit Wohnungen: Eine gute Idee, aber schwierig in der Umsetzung

Vor einigen Jahren war Dachaus OB mit dem Stadtrat in Wien. Dort entdeckte er eine Kindertagesstätte, auf die man Wohnungen gesetzt hatte. "In meinem jugendlichen Leichtsinn dachte ich: Das machen wir in Dachau auch", erzählt Hartmann. Das passende Grundstück hatte die Stadt bereits, am Amperweg hinter dem Feuerwehrhaus. Der Bau ist - trotz Verzögerungen durch zeitweisen Mangel an Bauarbeitern und Baustoffen inzwischen fast fertig: ins Erdgeschoss kommt eine Einrichtung für etwa 60 Kinder, Krippe und Kindergarten, drei Gruppen, obendrauf zwei Etagen mit 19 sozialgebundenen Wohnungen. Nächstes Jahr soll alles fertig sein.

Doch Hartmanns Euphorie ist längst verflogen. "Jetzt würde ich das nicht mehr machen", sagt er ernüchtert. Grund ist der "Wahnsinnsbürokratismus", den er hier in geballter Form erleben musste und den er auf der Pressekonferenz in allen absurden Details schildert: Kindertagesstätten müssen hell sein, das erfordert den Einbau zusätzlicher Lichthöfe. Die Wände einer Kita müssen höher sein als die einer Wohnung, daraus ergeben sich neue statische Vorgaben. Komplizierte Sache. Und wenn eine kommunale Stadtbau GmbH einen Kindergarten baut, den die Stadt betreibt, gerät man ins scheußlichste dornige Gestrüpp des Steuerrechts. Hartmann würde sich hier ein etwas weniger rigide angewendetes Steuerrecht für Kommunen wünschen. "Wir bereichern uns ja nicht, wir schaffen Wohnungen und Arbeitsplätze." Und überhaupt, letztlich sei es ja "derselbe Topf", in dem das Geld lande. Der Staat und die Kommunen: beides öffentliche Hand.

"Wohnraum zu schaffen ist eine Aufgabe, die immer komplexer und schwieriger wird", sagt Gemeindetagschef Uwe Brandl: Rund 3300 Normen regulierten das Baurecht in Deutschland, 600 mehr als noch vor 15 Jahren, klagt er. Kaum ein Bereich sei so verrechtlicht wie dieser. Nach der Pressekonferenz muss Florian Hartmann noch mal die Geschichte von seinem mühseligen Bauprojekt erzählen. Noch einmal wiederholt er den Satz, er würde das heute nicht mehr machen. Aber dann fügt er noch einen Satz hinzu. "Nicht unter diesen Rahmenbedingungen", sagt er. "Aber die kann man ja ändern." Jetzt sind Freistaat und Bund am Zug.

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